Weisheit

Salomo der Weise spricht Recht

Wer ist weise? Und was? Halten Sie sich selbst für weise? Wo vermissen Sie die Weisheit am meisten? Vielleicht in der Politik? Was unterscheidet eine weise Entscheidung von einem klugen Schritt? Sind Sie mit Ihrer Weisheit auch manchmal am Ende? Weisheit. Nicht selten wird das Wort abwertend und ironisch gebraucht, wenn damit abgeklärte Distanz, erhabene Überlegenheit oder gar Besserwisserei bezeichnet werden sollen. Tatsächlich kann einem ein Neunmalkluger empfindlich auf den Senkel gehen. Und als jemand zu gelten, der die Weisheit mit Löffeln gefressen hat, ist nicht eben ein Kompliment.

Dabei zeichnet sich Weisheit durch Einfachheit aus. Meyers Großes Taschenlexikon definiert sie ­ im Unterschied zur Klugheit ­ als "menschliche Grundhaltung, die auf einer allgemeinen Lebenserfarung und einem umfassenden Verstehen und Wissen um Ursprung, Sinn und Ziel der Welt sowie um die letzten Dinge gegründet ist". Wie Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit gehört sie schon zu den antiken Tugenden. Die Eule oder auch das Buch sind ihr Symbol. Wenn Lebenserfahrung und tiefe Einsicht als Weisheit gelten, können die Wahrheiten über das Leben, die alte Menschen erfahren haben, für unsere eigene Zukunft nur nützlich sein. Wie eine Bibliothek steht der Rat der Alten, steht ihr Wissen der Gesellschaft zu Gebote. Man muss sich ihrer nur bedienen.

Im alten Israel gilt als weise, wer geübt und fähig ist, etwas richtig, meisterhaft zu tun. Dies kann sich in geistigen wie auch handwerklichen Fähigkeiten erweisen. "Der Weise ist selten klug", schreibt Marie von Ebner-Eschenbach in ihren Aphorismen. Dass Weisheit nur in der Wahrheit ist, weiß Johann Wolfgang von Goethe. "Wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämen", lesen wir in den Weisheitssprüchen der Bibel. Dort steht auch, dass die Weisheit laut auf der Straße ruft und ihre Stimme hören lässt.

Überhaupt: Das Alte Testament bringt uns die Weisheit als Gottes Liebling nahe. Und einen König, der im neunten Jahrhundert vor Christus lebt und mit seiner Umsicht, seiner Phantasie und seiner Begabung die Weisheit geradezu verkörpert. Salomo ist sein Name. Er ist ein Segen für sein Land Israel und für sein Volk, das ein goldenes Zeitalter erlebt. Seine Weisheit und Weitsicht belegt eine längst klassische Geschichte, ein beispielhafter Rechtsfall: Zwei Huren erscheinen vor dem König. Sie wohnen in demselben Haus, beide haben einen Sohn geboren. Eines der Kinder stirbt. Beide Frauen behaupten, das lebende Kind sei ihres, das tote gehöre der anderen. Die eine bezichtigt die andere, sie habe des Nachts das tote gegen das lebende Kind getauscht. Da die Frauen allein in dem Dirnenhaus leben, gibt es keine Zeugen. Was also tun? Salomo verlangt nach einem Schwert. Er möchte das lebende Kind zerteilen und jeder der beiden Frauen eine Hälfte überlassen. Was so grausam anmutet, ist nur eine List. Was eine der Frauen gut heißt, bricht der anderen das Herz. Sie verzichtet, um das junge Leben zu retten. Woran der König die wahre Mutter, die das Leben höher achtet als das Recht, erkennt und ihr das Kind zuspricht.

Von der Geschichte zweier streitender Frauen und eines weisen Richters wird auch in anderen Völkern erzählt. Salomo bewährt sich als König. Weisheit, von Gott zugesprochen, verleiht ihm Autorität. Für den jüdischen Philosophen Philo von Alexandria ist die Weisheit der "erstgeborene Sohn Gottes" und der "Anfang der Schöpfung". Haben wir Anteil an ihr? "Ich wäre gerne auch weise", schreibt der Dichter Bertolt Brecht ,An die Nachgeborenen" "In den alten Büchern steht, was weise ist: Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit ohne Furcht verbringen. Auch ohne Gewalt auskommen, Böses mit Gutem vergelten"

Hans-Albrecht Pflästerer