Toleranz

Männer unterschiedlicher Herkunft im Gespräch

Sind Sie tapfer? Sind Sie tolerant? Oder doch eher unduldsam und aufbrausend? Haben Sie die Bereitschaft und auch die Kraft, gegensätzliche Überlegungen und Handlungen anderer Menschen zu ertragen? Sind Sie versucht, diese durch offenen oder versteckten Zwang zu unterdrücken? Ist die gegenteilige Meinung einer Person für Sie ein Grund, mit ihr ein Gespräch zu führen. Oder gehen Sie ihr lieber aus dem Weg?

Dass gegenseitige Duldung eine Notwendigkeit, ja eine Überlebensnotwendigkeit für alle Zeiten und alle Rassen ist, gehört zu den teuer erkauften Erfahrungen unserer Geschichte. Toleranz ist nicht nur ein Schlüsselwort. Sie ist die Basis für den Frieden. "Duldung", wusste schon Mahatma Gandhi, indischer Freund der Freiheit und des Friedens, "erfordert nicht, dass ich das, was ich dulde, auch billige. Alkohol-, Fleisch- und Tabakgenuss missfallen mir im höchsten Grad, und doch dulde ich das alles bei den Hindus, den Muslimen und Christen, wie ich von ihnen auch erwarte, dass sie meine Enthaltsamkeit in diesen Dingen dulden, auch wenn sie ihnen missfällt." Das lässt sich ausweiten auf Eigenheiten, Sitten und Gewohnheiten, Lebensentwürfe und Lebensformen. Da muss man gelegentlich über den Schatten springen. Keine Frage, dass Duldsamkeit auch schon mal Größe erfordert.

Toleranz. Früher wurde das Wort oft im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit verwendet. Viel Streit und Schlimmeres rührt daher, dass einer den anderen durch Gewalt zu seiner Ansicht bekehren will. Dabei ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses in den Menschenrechten wie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben. Ob wir Mut haben, erweist sich, wenn wir in der Minderheit sind. Mit der Toleranz verhält es sich genau umgekehrt. Die Gleichheit und Ausgeglichenheit, der Gemeinsinn und die Solidarität zählen zu ihren Geschwistern. Die Gewalt aber ist ihr Feind. Freilich: Es steht nicht gut um sie. Besorgt fragen viele, ob wir in einer Kultur leben, die die Toleranz auszutreiben droht. Es wäre paradiesisch, aber es ist eher utopisch, dass wir gewaltfrei miteinander leben können. Gewalt ist, da genügt ein Blick in die Medien, alltäglich und allgegenwärtig. Schlecht kann einem werden. Gewalt ist so präsent, dass es scheint, sie gehöre zum Leben. Frauen und Fremde, Kinder und Alte, Lehrer und Schüler, Missbrauchte und Ausgebeutete erleiden sie gleichermaßen. Gewalt ist eine Seuche. Terror und Folter, Vertreibung und Verstümmelung ziehen ihre grausame Spur hinter sich her. Sie hat 1000 hässliche Fratzen. Sie entstellt alles Menschliche. Sie tötet.

Gerade hat Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin mehr öffentliche "Einmischung für Toleranz" gefordert. Ausgelöst durch die sich mehrenden Anzeichen von Rechtsextremismus und Fremdenhass im Land. Viele Täter könnten sich in ihrem Umfeld bestätigt fühlen. Die Ministerin macht zu viel klammheimliche Zustimmung aus. Und es schauen zu viele weg. Nur aus Feigheit?

Aber da sind nicht nur die vordergründigen und offenen Aggressionen krimineller Täter, sondern auch die versteckten und subtilen Formen von Gewalt, die sich in Vorurteilen und Klischees äußern. Oder Menschen brandmarken, indem sie sie zu Sündenböcken machen. Was würde wohl Johann Wolfgang von Goethe heute denken, der einst meinte, dass Toleranz eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein könne, die zur Anerkennung führen müsse, da dulden beleidigen heiße? Es ist jedenfalls am Tage, dass es des "unmissverständlichen Mutes einer Mehrheit" bedarf, zu dem der Schriftsteller Ralph Giordano aufrief, um der Lebensart Toleranz einen Lebensraum zu sichern.

"Man kann in einem großen Land etwas anpflanzen", schreibt Tennessee Williams in seinem Theaterstück "Die Katze auf dem heißen Blechdach", "das wichtiger ist als Baumwolle: Toleranz!" Pflanzen wir!

Hans-Albrecht Pflästerer