Freiheit

Freiheitsstatue in New York

Wo fühlen Sie sich frei? In einem Raum, der schützt und birgt? Unter weitem Himmel? In vertrauter Umgebung? In der Fremde, an einem fernen, durchsonnten Gestade? Im Abenteuer, das eine Zigarettenmarke bewirbt? Oder über den Wolken, wo die Freiheit grenzenlos sein soll?

Ich bin frei. Ich kann zwischen mehreren Möglichkeiten wählen und mein Leben ein gutes Stück weit nach eigenem Willen bestimmen. Ich kann tun, was ich will. Und ich kann lassen, was ich nicht will. Ich kann mir und anderen Freiräume schaffen. Ich kann meine Meinung sagen. Ich kann meinen Beruf wählen. Und meinen Partner oder meine Partnerin. Vor finanziellen Risiken bei Krankheit oder Unfall schützt mich weithin die Versicherung. Ich kann reisen und meinen Wohnort selbst bestimmen. Ich kann zwischen politischen Parteien wählen, mich für diese oder jene Religion entscheiden. Oder auch für keine. Ich kann mir die Zeitung meiner Wahl kaufen und zwischen Dutzenden von Fernsehprogrammen zappen. Gegen Risiken kann ich eigenverantwortlich Vorsorge treffen und gegen Nebenwirkungen den Arzt oder Apotheker befragen. Ich kann mich mit anderen versammeln. Und ich kann demonstrieren. Der Satz "Ich bin so frei" verrät auch Lebensart. Ich habe das Glück, frei zu sein.

Bin ich frei? Öfter muß ich tun, was ich nicht will. Die Rede von der uneingeschränkten Berufswahl ist zum Märchen verkommen. Inzwischen muß ich froh sein, überhaupt einen Job zu haben. Die Wahl des Wohnsitzes hat sich allemal danach auszurichten. Ein Feind der Freiheit ist auch die Manipulation. Ständig versucht die Werbung mir Dinge aufzunötigen, die ich gar nicht brauche, für Geld, das ich gar nicht habe, um damit jemandem zu imponieren, den ich gar nicht mag. Die Medien sind immerzu angefochten, mir eine gesäuberte Wirklichkeit zu präsentieren. Der Konkurrenzkampf und Erfolgsdruck macht einen zum Workaholic. Der Computer zerstört die Beziehungsfähigkeit. Freiräume sind zur Leerformel geworden. Stress ist ja fast schon ein geflügeltes Wort.

Groß ist zu allen Zeiten die Sehnsucht nach Freiheit. Sie fordert all unsere Fantasie heraus. Wir entfalten Träume und Visionen, um sie zu erlangen, wie der schwarze amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King. Wir stürzen uns in Todesstreifen, springen aus Fenstern und über Mauern der Freiheit entgegen. Wir ersticken jubelnd Hans-Dietrich Genschers Prager Botschaft von der kommenden Freiheit zum vielleicht bekanntesten Halbsatz der Geschichte.

Der Satz des Schriftstellers Bohumil Hrabal "Ich lebe immer in Gasthäusern, also brauche ich keine Freiheit" ist eher das Bonmot eines einzelnen. Denn der Freiheitsdrang ist jede Strapaze wert. Der jahrzehntelange Marsch des Volkes Israel durch die Wüste ist ein einziger Aufbruch in die Unabhängigkeit. Und die inwendigsten religiösen Gesänge, die Spirituals, verdanken wir den Sklaven. Die beleben den Satz des Schriftstellers Peter Bamm, dass die Liebe zur Freiheit die stärkste Waffe des Menschen in dem alten Kampf um seine Würde ist.

Freiheit muß erlernt werden. Die Freiheit, Ihre Fäuste zu bewegen, ist begrenzt durch die Nase Ihres Nachbarn. Eine Weisheit aus dem Volksmund. Dass jemand, der sich nur mit Hilfe von Anwälten, Steuerberatern und Psychiatern zu bewegen vermag, kein freier Mensch ist, leuchtet ein. Freiheit besteht nicht nur aus Privilegien, sondern auch aus Pflichten. Freimut, Verbindlichkeit, Dienstbereitschaft und Wachsamkeit sind ihre Kinder. Wenn Freiheit sich von der Verantwortung löst, wird der Weg zu ihrem Tod kurz. "Der Unterschied zwischen Freiheit und Freiheiten ist so groß wie zwischen Gott und den Göttern", weiß der Schriftsteller Ludwig Börne. Auf der Suche nach Leitlinien für die Gestaltung des Lebens in einer Zeit, in der wir mehr können als wir dürfen, entdecken wir die Zehn Gebote wieder, eines der Grunddokumente des Christentums, dieser Religion der Freiheit (2. Mose 20). Wir verabschieden uns dabei von dem Gedanken, dass es sich hier um Gesetze handelt, deren Übertreten Strafe nach sich zieht. Wir erfahren sie als nützliche Lebensordnungen, als Angebote Gottes, "den Menschen und ihrer Freiheit mit dem Ziel gegeben", so Jörg Zink, "dass ihr Leben gelingt".

Hans-Albrecht Pflästerer