Freundlichkeit

Geistliche und ein Punk im Gespräch

Sind Sie freundlich? Gibt es Leute, die Sie für unfreundlich halten? Ist dies berechtigt, oder verstellen Sie sich nur? Falls Sie (manchmal) unfreundlich sind, warum? Aus Ungeduld, Wut, Überforderung, Laune, Arroganz, Depression? Glauben Sie auch, dass man Freundlichkeit für ein paar Groschen kaufen kann? Lächelt Ihnen manchmal jemand scheinbar grundlos zu ­ auf der Straße, im Zug, am Schalter, im Restaurant? Lächeln Sie dann zurück?

Freundlichkeit. “Gram im Herzen eines Mannes beugt ihn nieder, ein freundliches Wort macht ihn wieder froh³, heißt es in den Sprüchen Salomos in der Bibel. Die nennt die Freundlichkeit eine Frucht des Geistes. In ihr wird vielfach betont, dass Gott selber geduldig und freundlich ist. Ein Hinweis auf den hohen Stellenwert, den die Freundlichkeit genießt. Und wir lesen die Aufforderung “Lass dir Zeit, freundlich zu antworten.³ Auch jenen, die einem Löcher in den Bauch fragen.

In der Freundlichkeit steckt die Kraft zur Veränderung. Sie vermag das Eis der Seele zum Schmelzen zu bringen. Sie kann die Spannung aus einer gereizten Atmosphäre nehmen, eine verfahrene Situation entschärfen und entgiften. Sie kann das Klima in einer Gemeinschaft erwärmen. Freundlichkeit kann Frieden stiften, kann versöhnen: durch ein Wort, eine Geste, einen Gruß, einen Besuch. Höflichkeit und Hilfsbereitschaft sind Spielarten wie Einfühlungsvermögen und Gastfreundschaft. Die Aufmerksamkeit wohnt nicht allzu weit entfernt, die Heiterkeit auch nicht. Und dass sich selbst die Liebe in der Heiligen Schrift über die Freundlichkeit definiert, ist ja nicht schlecht.

Freundlichkeiten erweist man einander. Freundlichkeit hat nichts Berechnendes, aber durchaus etwas Ansteckendes. Sie kann verwandeln. Sie ist eine innere Haltung, nicht die Summe von Regeln und Drill. Sie ist eine gute Basis dafür, dass Liebe gelingt und Leben glückt. Ein Griesgram kann ätzend sein, ein launischer Mensch wird einem den Tag vergällen. Mit Unfreundlichkeit allein werden wir das Leben nicht verteidigen.

Freundlichkeit verschenkt sich in Symbolen, wo Worte nicht reichen: in einem kleinen Bronzeengel vielleicht oder einem Kartengruß mit dem alten, irischen Segenswunsch, einem Blumenstrauß als Dankeschön. Sie kann freilich auch eine Maske sein, die verbirgt, wie uns in Wahrheit zumute ist. Dann lächeln wir, wiewohl wir uns versteinert fühlen. Brauchen wir Masken, um andere zu narren? Und geht wirklich keinen an, wie es dahinter aussieht?

Freundliche Menschen haben etwas Liebenswertes. Bringen Licht ins Grau. Sie sind vielleicht weniger streitbar, aber deshalb noch lange keine Weichlinge. Harmonie ist ihnen wichtig. Gute Nachbarschaft muss sein. Anteilnahme ist eine gute Voraussetzung dafür: Wie geht es den Eltern, den Kindern, den Enkeln? Freundliche Menschen würden nie grußlos das Haus verlassen und auch nicht versäumen, sich im Büro umzuschauen, ob sie vielleicht jemandem noch einen guten Abend wünschen können. Und wenn Nachbars Buben versehentlich einen Ball über den Zaun wuchten, entgleisen nicht gleich alle Gesichtszüge. "Die Liebe der Menschen sei mit dir und Freundlichkeit und nie ein Harm", lautet eine alte Segensformel. Ein Segenswunsch will bewirken, was er sagt. Es möge ihm gelingen. Damit der Dichter Bert Brecht mit seinem Eingeständnis "An die Nachgeborenen" nicht das letzte Wort behält: "Ach, wir / Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit / Konnten selber nicht freundlich sein."

Hans-Albrecht Pflästerer