Liebe

Junges verliebtes Pärchen

 Lieben Sie Brahms? Ein flottes Auto? Ein schönes Essen? Oder Macht? Lieben Sie sich selber? Sind Sie liebesfähig oder liebenswürdig? Lieben Sie Ihren Nächsten wie sich selbst? Und können Sie Ihre Feinde lieben, wie es Jesus gerne möchte?

Lebensart Liebe. Sie ist Humus für die Dichter. Der Stoff, aus dem die Träume sind, die großen Romane, die Schlager und die Schnulzen. Die ziehen Geld aus dem Herzschmerz. Ihre banale Botschaft ist, dass die Liebe allein uns leben lässt. Richtig ist, dass sie uns verzaubert, uns aus der Balance bringt und um den Schlaf. Gelegentlich auch um den Verstand. Sie ist lebensgefährlich und sehr schön, freizügig und ganz profan. Sie schüttet Adrenalin aus und erhöht die Herzschlagfrequenz, stiftet feuchte Hände und rote Ohren. Sie ist Kult und Sünde, ein raffiniertes Spiel und ein romantisches Gefühl. Immer auch ein Geheimnis. Sie ist des Wunders liebstes Kind. Ihr verdanken wir das Kribbeln im Magen und die Schmetterlinge im Bauch. Seltsam: Obwohl sich gewiss leicht Einvernehmen über den hohen Stellenwert der Liebe in unserem Leben herstellen lässt, tun wir uns schwer mit der Bestimmung dessen, was sie sei. Vielleicht von all dem etwas: ein Gefühl der Zuneigung, des Angezogenwerdens, der Wertschätzung; der Spannung, die Anziehung und Vereinigung zwischen Menschen erzeugt; eine dauerhafte persönliche Zuwendung zu etwas oder zu jemandem.

Die Liebe, die wir geben, gründet in der Liebe, die wir ­ vor allem als Kind ­ empfangen haben. Weil es daran oft genug krankt, haben wir manche Schwierigkeiten mit ihr. Angst und Unterdrückung, Beschränktheit und Antriebsschwäche, Mangel an Selbstwertgefühl und Verständnis sind ihr im Wege. Und es gibt garstige Entartungen. Wie Eifersucht, jene Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft, die tyrannisiert. Oder Gewalt. Noch immer ist es an der Tagesordnung, dass Männer Frauen schlimm misshandeln. Es ist das Verdienst der Kirchen, dass dies mehr und mehr zur Sprache und ans Licht kommt. Freilich gilt auch, dass der Widerstand, der sich gegen die Sexualerziehung, die Geburtenkontrolle und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in den Kirchen noch immer ausmachen lässt, zu den Feinden der Liebe gehört. Und Druck auf Homosexuelle, die sich offen zu ihrer Partnerwahl bekennen, weil Verbergen und Verdrängen den Sinn menschlicher Sexualität zerstört, bleibt ein Anschlag auf die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott.

Die Liebe treibt uns um. Sie löst auch Verzweiflung aus und Abschied, der ein bisschen wie Sterben ist. Jüngst hat das Hamburger Abendblatt daran erinnert, dass es für alle Defekte und Wechselfälle der Liebe Reparaturanleitungen gibt: "Unmengen von Ratgebern, Workshops, Paarseminaren bieten Tipps und Hilfe: fürs Kennenlernen, für besseren Sex, für gelungene Gespräche, für die Familienplanung, fürs Rollenverständnis und die Trennung.³ Der Schiffer, dem die sagenhafte Loreley einst den Kopf verdrehte, müsste heute nicht mehr im Rhein ertrinken, sondern könnte in eine Selbsthilfegruppe gehen. Dem Dichter Max Frisch verdanken wir die Feststellung, dass wir mit Menschen, solange wir sie lieben, nicht fertig werden, weil sie sich ständig wandeln und entfalten. Wie auch die Liebe selbst mit einem Menschen nie fertig wird. Der Apostel Paulus nahm wahr, dass ein Mensch, der liebt, gütig und geduldig ist, sich nicht ereifert, nicht prahlt und sich nicht aufspielt, sich nicht taktlos verhält und nicht seinen eigenen Vorteil sucht, keinem Menschen etwas nachträgt und niemals jemanden aufgibt. Liebe: Nichts geht über sie, wenig geht ohne sie. Hat Paulus Recht? Überfrachten wir die Liebe nicht selten mit Erwartungen, die sie gar nicht erfüllen kann? Es stimmt: Je größer die Liebe, desto verwundbarer der und die Liebende. Doch wo wir unser Verhalten ändern, wenn es der Liebe nicht gut tut, lassen sich Schmerzen lindern. Die Liebe ist diese Anstrengung allemal wert.

Hans-Albrecht Pflästerer