Der Samen

Sonnenblume

Als in diesem Sommer prominente Protestanten nach ihren Hobbies befragt wurden, gab eine verblüffend große Zahl von ihnen an, daß die Betätigung im Garten, das Säen und Ernten, das Pflanzen und Roden, das Hegen und Pflegen, das Formen und Gestalten zur ihren bevorzugten Neigungen gehört. Verwundern muß das nicht. Gärten sind Leben im Ursinn, Symbol von Schönheit und Phantasie. Gewohntes mischt sich mit Überraschendem, Wildheit kann die Ordnung unterbrechen. 18 Millionen gibt es in Deutschland: Blumen, Stauden, Rosen, Gehölze, Obst, Gemüse, Kräuter - die Vielfalt der Gestaltungs- und Nutzungsmöglichkeiten läßt das Gärtnern zur Entspannung und Erholung werden. Die Hängenden Gärten der Semiramis in Babylonien im sechsten Jahrhundert vor Christus, ein System übereinander angeordneter Terrassen mit künstlicher Bewässerung, gehörten zu den sieben Weltwundern der Antike., der biblische Garten Eden galt als Paradies. Viel geben die Städter für einen Flecken Erde in der Laubenkolonie. Auf einer Bank sitzen, in die verwilderte Ecke des Gartens schauen und wahrnehmen, was für den Rhythmus des Lebens wichtig ist: Wurzeln schlagen - sprießen - erblühen - gedeihen - Frucht ansetzen - sich vermehren - sterben - zerfallen und das Entstehen neuer Generationen ermöglichen (Lennart Bernadotte). Alles Elend dieser Erde begann damit, daß Menschen einst ihren Ungehorsam mit der Vertreibung aus dem Garten Eden büßen mußten.

Säen ist ein anderes Wort für Zukunft. "Die erbärmlichsten Meldungen, die den Weg aus Dritte-Welt-Ländern in unsere Zeitungen finden", schreibt der Theologe Eduard Kopp, "sind die, daß die Bauern aus Hunger ihr Saatgut selber essen müssen. Was werden sie in der nächsten Saison anpflanzen können? Der Lebenskreislauf ist unterbrochen, die Zukunft steht auf dem Spiel. Hunger gebiert Hunger."

Samen keimen, Keimlinge wachsen zu lassen, das braucht Geduld, kundige Pflege und einen Schutz Hoffnung. Denn natürlich macht so ein Stück Land auch Arbeit, und nicht immer wird die Mühe durch Erfolg gekrönt. Manche Saat gerät, andere nicht. Was auf den Weg fällt, fressen die Vögel. Was auf dem Felsen landet, findet weder Nahrung noch Halt. Was unter die Dornen gerät, wird ersticken. Manchem Korn schaden Hitze oder Flut. Aber viel mehr drängt kraftvoll und gegen alle Hindernisse ins Leben. Das ist schon in den Gleichnissen des Neuen Testaments so, die die Zuversicht des Sämanns nähren und in denen ein kleiner Teil der Saat vielfältige Frucht trägt. Sämlinge entwickeln durch aus auch Widerstand, heben Platten an und kriechen in Dachrinnen. Eindrucksvoll, wie der Löwenzahn den Asphalt sprengt. Wer sät, legt den Keim zum Leben. Am Ende der Sintflut steht Gottes Zusage an Noah, daß Saat und Ernte nicht aufhören werden, solange die Erde steht. Was für ein Segen. Bei der Weltausstellung in Brüssel 1958 leitete den deutschen Pavillon ein Motto, das Martin Luther zugeschrieben wird:" Wenn morgen die Welt unterginge würde ich noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen." Es geht auch eine Nummer kleiner: ein Samenkorn aussäen, eine Sonnenblume vielleicht, die gute Keimchancen bietet. Getreu einem schönen Buchtitel der Theologin Elisabeth Moltmann-Wendel: "Wer die Erde nicht berührt, kann den Himmel nicht erreichen."

Hans-Albrecht Pflästerer