Das Salz

Menschen umringen Salzhügel beim Kirchentag Stuttgart

"Ihr seid das Salz der Erde!" So stand es im Juni als Losung über dem Deutschen Evangelischen Kirchentag, und mehr als hunderttausend überwiegend junge Menschen haben sich von diesem Satz aus der Bergpredigt Jesu nach Stuttgart locken lassen. Sie fühlten sich angesprochen von dieser Zusage, herausgefordert von der Chance, sich einzumischen, ihren Beitrag zu leisten, um Pep in den Alltag, Geschmack ins monotone Einerlei zu bringen. Zugegeben, ein anderes Wort aus der Bergpredigt leuchtet eher ein: Ihr seid das Licht der Welt.

Es macht Sinn, daß Christinnen und Christen durch ihre überzeugende Umsetzung der Spielregeln Jesu die Welt heller und wärmer machen können. Aber Salz sein? Es lohnt, näher hinzusehen, was Salz seit biblischer Zeit bedeutet. Klar, es würzt und schärft, reinigt, bewahrt, konserviert. Eine Suppe ohne Salz ist fad, wo Salz gestreut wird, rutscht man nicht mehr so leicht aus, Salz bringt sogar Packeis zum Schmelzen.

Magische Kräfte werden ihm zugeschrieben. Die unbegrenzte Haltbarkeit der Kristalle verlieh ihm einen Hauch von Ewigkeit. Kriege wurden um das "weiße Gold" geführt, in den alten Kulturen war das Salzmonopol eine der Haupteinnahmequellen, eine Salzsteuer erhob das antike Griechenland ebenso wie Ägypten und China, im Venedig des sechsten Jahrhunderts war Salz der wichtigste Handelsartikel. Bevor das Kühlen und Eindosen erfunden wurden, war Salz Hauptkonservierungsmittel für Fleisch, Fisch und Gemüse. Ein Gramm bindet 100 Gramm Wasser und verhindert Bakterienwuchs.

Salz ist eine Verbindung aus Natrium und Chlor ­ ein aggressives Metall das eine, ein giftiges Gas das andere. Erst zusammen werden sie lebenswichtig. Salz leitet Nervensignale weiter, steuert den Stoffwechsel und bildet Magensäure. Salz gibt es, solange die Erde steht. Es war die Würze in den Meeren, nährte die ersten Einzeller. In Europa begannen um 1000 vor Christus die Kelten in den Alpen mit dem Salzbergbau. Im Mittelalter entstanden die großen Salzstraßen: München, Lüneburg und die Hansestädte wurden beim Salzhandel reich. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts war Salz als Würzmittel den Fürstenhöfen vorbehalten, die einfachen Leute behalfen sich mit Pflanzenasche.

Was Salz bedeutet, ist vor allem zu ermessen, wenn es fehlt. Es ist zu nichts nütze ohne Verbindung zu etwas anderem. Salz pur ist ungenießbar. Es wirkt erst, wenn es gebraucht wird. So nähern wir uns dem Jesus-Wort wieder an. Ist es nun anmaßend, anspruchsvoll, wie manche meinen, zeichnet Jesus damit eine Elite aus, einen besonderen Menschenschlag, ohne den nichts läuft auf der Welt? Von solchen Gedanken können wir uns schnell verabschieden, denn Jesu Zuhörer waren Bauern und Fischer, einfache Leute vom See Genezareth.

Besondere Stärken und Begabungen hatten sie nicht. Braucht es auch heute nicht. Und doch kann jeder nach seinen Fähigkeiten Salzkorn sein. Vielleicht hin in jene Richtung, die der rheinische Präses Manfred Kock in seiner Auslegung der Kirchentagslosung vorgegeben hat: "Unsere Welt braucht Menschen, deren Herzen nicht in sozialer Kälte erstarren, die sich vom Unfrieden nicht zur Gewalt hinreißen lassen, sondern Phantasie für den Frieden entwickeln und sich der Zerstörung der Schöpfung widersetzen. Auch wenn die Welt nicht danach fragt, braucht sie die Botschaft, die sich dem einzelnen Menschen zuwendet. Ich behaupte sogar, je weniger die Gesellschaft nach dieser Botschaft fragt, desto mehr braucht sie sie."

Hans-Albrecht Pflästerer