EKD-Ratsvorsitzender bekennt sich zur öffentlichen Verantwortung der Kirche

Engelhardt: Unsere Präsenz liegt im Interesse des Gemeinwohls

2. November 1997 (2. Tagung der 9. Synode der EKD)

Zur öffentlichen Verantwortung der Kirche hat sich nachdrücklich der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, bekannt. In seinem Bericht zum Auftakt der Tagung der EKD-Synode in Wetzlar sagte Engelhardt, wenn die Kirche die Bibel "mit ihren Sehnsuchtstexten nach Gottes neuer Welt" ernst nehme, werde sie auch zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung nehmen. Sie müsse sich auch öffentlich äußern, "wenn sie damit gegen den Strom vorherrschender Meinungen in Gesellschaft und Politik" schwimme, erklärte der Ratsvorsitzende unter Verweis auf kritische Reaktionen zum gemeinsam mit der katholischen Kirche und weiteren christlichen Kirchen im Sommer veröffentlichte Wort zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht.

Als "Essentials" dieser Erklärung nannte Engelhardt die Bekämpfung der Ursachen von Migration und Flucht, die Forderung nach einer Gesamtkonzeption für Zuwanderung und Eingliederung und die Aufgabe der Kirchen, Beistand für bedrängte Menschen zu geben. Dabei nehmen die Kirchen nach den Worten des Ratsvorsitzenden keine höhere Moral für sich in Anspruch. Sie hätten aber beim "Umgang mit Fremden' aufgrund ihrer ökumenischen Beziehungen Kompetenz und Kenntnisse über die Situation in den Heimatländern erworben. Diese sollten mehr als bisher von der Politik in Anspruch genommen werden, betonte Engelhardt.

Der Ratsvorsitzende begrüßte das Menschenrechtsübereinkommen des Europarates zur Biomedizin als einen ersten "Schritt auf dem Weg zu europaweit einheitlichen biomedizinischen Standards". Dieser Versuch sei aber noch unvollkommen. Mängel sieht Engelhardt insbesondere bei den Regelungen zur Embryonenforschung und der Ausklammerung der Fragen des Schutzes am Lebensbeginn und -ende. In Deutschland bestehe bereits ein höheres Schutzniveau, das durch einen Beitritt der Bundesrepublik zu der Konvention nicht abgesenkt werden dürfe. Engelhardt äußerte Verständnis für "gewichtige Gründe" der Bundesregierung, eine Unterzeichnung der Konvention anzustreben. Er bat sie aber nachdrücklich, sich auch weiterhin für eine Vervollständigung der Schutzbestimmungen einzusetzen.

Die öffentliche Verantwortung der Kirche äußere sich auch in institutioneller Gestalt, betonte der Landesbischof weiter. Die "gute Tradition der geregelten Partnerschaft zwischen Staat und Kirche" habe sich bewährt. Engelhardt zeigte sich erfreut darüber, daß in das Europäische Vertragswerk eine Erklärung eingefügt wurde, welche die Europäische Union verpflichtet, den Status der Kirchen in den Mitgliedsstaaten unangetastet zu lassen.

Biblische und christliche Traditionen hätten zwar an Kenntlichkeit verloren, wirkten aber als "Formkräfte unserer heutigen Lebenswelt" fort. "Menschenwürde, personale Unantastbarkeit und Freiheit bleiben Gewährungen des Christentums an die Welt", bekräftigte der Ratsvorsitzende. "Unser Land braucht die Institution Kirche, damit diese Erinnerung wachgehalten wird." Diese Präsenz der Kirche liege auch im Interesse des Gemeinwohls. So verdanke die Soziale Marktwirtschaft mit ihrem Ausgleich von Eigennutz und Gemeinwohl ihre Entstehung wesentlich den Impulsen gerade auch protestantischer Ethik und sei auch für ihren Fortbestand auf diese prägenden Einflüsse angewiesen. Die Fähigkeit zur Eigenverantwortung und die gemeinsame Verpflichtung zur Solidarität und Gerechtigkeit müßten "aus der Quelle der christlichen Tradition gespeist und lebendig erhalten" werden. In diesem Zusammenhang signalisierte Engelhardt die nachdrückliche Unterstützung der EKD für den von der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche angestrengten Volksentscheid in Schleswig-Holstein zur Rückgewinnung des gesetzlichen Schutzes für den Buß- und Bettag.

Wetzlar, 2. November 1997
Pressestelle der EKD