"... und der Fremdling, der in deinen Toren ist."

Vorstellung des Gemeinsamen Wortes der Kirchen zu Migration und Flucht

Statement Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, Ratsvorsitzender der EKD, 4. Juli 1997

Ungewollt hat die Veröffentlichung dieses Gemeinsamen Wortes zu den Herausforderungen durch Flucht und Migration mit dem Titel "... und der Fremdling, der in deinen Toren ist" unheimliche Aktualität gewonnen. Angesichts der Ereignisse in Husum und Lübeck genügt es nicht, Betroffenheit zu zeigen. Die Bewährung von Nächstenliebe, Solidarität und Gerechtigkeit gegenüber Fremden gehört zum Elementarsten einer Sozialkultur. Die Kirchen werden ihren Beitrag dazu unbeirrt leisten. "Es ist ein Alarmzeichen, daß in Deutschland nur noch mit Hilfe der Kirche die Mitmenschlichkeit zu gewährleisten ist, die den Verfolgten durch das Grundgesetz garantiert wird." Mit diesen Worten hat uns der Bundestags-Vizepräsident Burkhard Hirsch in diesen Tagen ermutigt. Die gesellschaftliche Diskussion und die politischen Entscheidungen im Bereich von Migration, Flüchtlingen und Asylsuchenden müssen sich in erster Linie am christlichen Menschenbild, an den allgemeinen Menschenrechten und an den Grundformen einer gerechten Sozialordnung orientieren. Die Bekämpfung der Fluchtursachen, nicht der Flüchtlinge muß Priorität haben.

I. Wie ist der Text entstanden

Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland haben sich in einer gemeinsamen Erklärung zur Aufnahme von Flüchtlingen und zum Asylrecht Ende November 1992 öffentlich geäußert. Wir appellierten damals an die politisch verantwortlichen Kräfte in Bund, Ländern und Gemeinden, "eine Asyl- und Flüchtlingspolitik in die Wege zu leiten, die das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte schützt und in erforderlichem Umfang die Zuwanderung steuert und begrenzt". Damals wurde vereinbart, in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen eine umfassende Ausarbeitung vorzubereiten, die die vielfältigen Aspekte und Zusammenhänge von Migration, Flucht und Vertreibung darstellt und zugleich einen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog in diesen Fragen leistet.

II. Die wichtigsten Aussagen des Wortes

1. Fremdenangst und fremdenfeindliche Gewaltbereitschaft haben sich in den vergangenen Jahren zu einer ernsthaften Bedrohung entwickelt. Das ist auch darauf zurückzuführen, daß die Entwicklung der Zuwanderung nicht aktiv gestaltet wurde. Wir haben faktisch eine Einwanderungssituation in Deutschland. Die Reformen des Einbürgerungs- und Staatsangehörigkeitsrechts, die Umsetzung der Vereinbarungen über Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge und europäische Konzepte stehen aber weiter aus. (Teil 2 des Gemeinsamen Wortes)

2. Das Gemeinsame Wort unterstreicht in Teil 3: Eine differenzierte Sicht der Ursachen von Migration und Flucht ist notwendig. Die Bekämpfung der Ursache ist eine vordringliche Aufgabe. Sie ist als gemeinsame europäische Aufgabe wahrzunehmen. Wir fordern eine auf europäischer Ebene abgestimmte Konzeption für die Gesamtregelung von Zuwanderung; sie muß Verfolgte, Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, Integrationsmaßnahmen und die Bekämpfung von Fluchtursachen umfassen. Europa darf sich nicht gegen die weitere Aufnahme von Verfolgten sperren, sondern muß einen Rechtsanspruch auf Asyl festschreiben und die Flüchtlingseigenschaften klarer definieren.

3. Der Titel des Gemeinsamen Wortes "... und der Fremdling, der in deinen Toren ist", ist ein Zitat aus dem Alten Testament. Es weist auf eine lange theologische Tradition der Auseinandersetzung mit dem Schicksal und dem Recht des Fremden hin. "Die Fremden stehen unter dem unbedingten Schutz Gottes." (98.) Die biblische Verankerung des Themas bildet die Grundlage und die Zielrichtung für die Verpflichtung und das Engagement der Kirchen. Aus dem Geist des Evangeliums treten sie für Menschen ein, die in ihren Rechten, ihrer Würde, ihrem Wohlergehen oder ihrer Existenz bedroht sind.

4. Zu der aktuellen Diskussion um eine Einwanderungsgesetzgebung stellen wir fest, daß auf eine Gesamtkonzeption für Zuwanderung und Eingliederung nicht mehr verzichtet werden kann. Es ist von nachrangiger Bedeutung, ob diese in einem oder mehreren Gesetzen zusammengefaßt wird. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz ist zu überarbeiten. Elemente des Territorialprinzips ("ius soli") müssen aufgenommen werden. Das Ausländerrecht ist aus dem Bereich des Polizeirechts zu lösen.

Eine Gesamtregelung muß gleichermaßen eine Verbesserung der politischen, sozialen, kulturellen und auf den Berufs- und Lebensalltag bezogene Elemente der Integration umfassen. So sind nach Auffassungen der Kirchen die Lösungen für Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, spürbar zu verbessern. (Teil 5 des Gemeinsamen Wortes)


5. Ich möchte unterstreichen, daß sowohl in Kirchen und Gemeinden als auch im diakonischen Bereich und in freien Initiativen sehr wichtige und gute Arbeit für und mit Flüchtlingen und Migranten und zu Integration von Fremden geleistet wird. Die jährliche Woche der ausländischen Mitbürger ist ein wichtiger Beitrag der Kirchen in ökumenischer Zusammenarbeit.
Die Zusammenarbeit mit ausländischen Gemeinden in Deutschland muß verstärkt werden wie auch das Gespräch mit anderen Religionen. Gerade im Dialog mit Muslimen besteht ein deutlicher Nachholbedarf. (Teil 6 des Gemeinsamen Wortes)

III. Zusammenfassung und Ausblick

Die EKD hat in den vergangenen Jahren mit ihren beiden Berichten zur Lage von Asylsuchenden und Flüchtlingen fundierte Erfahrungen vorgelegt. Die deutlichen Besorgnisse und kritischen Anfragen, die in diesen Berichten geändert wurden, haben leider zu wenig Aufmerksamkeit und Resonanz gefunden. Wie möchten noch einmal davor warnen, gerade gegenüber Flüchtlingen die Prinzipien von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit als nachrangig einzustufen.

Die Kirchen haben sich auf dem Gebiet "Umgang mit Fremden" besondere Kompetenz erworben. Sie haben auf Grund ihrer ökumenischen Beziehungen Kenntnisse über die Situation in den Heimatländern der Flüchtlinge. Teilweise sind sie sachkundiger als staatliche Stellen. Warum werden ihr Rat, ihre Vorschläge und Bitten nicht in größerem Umfang gehört? Diese Ausarbeitung soll eine breite Öffentlichkeit informieren und diejenigen, die in der Arbeit mit Fremden engagiert sind, ermutigen gegen alle Entmutigung.

Bonn/Hannover, 4. Juli 1997
Pressestelle der EKD