Umweltbeauftragter der EKD zur geplanten Massenschlachtung von Rindern

02. Februar 2001

Tiere müssen getötet werden, wenn sie Menschen gefährden oder wenn Menschen sich von ihnen ernähren. Viele Menschen empfinden jedoch Trauer, Wut oder das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der Überlegungen, 400.000 Rinder zu töten, nur weil sie sich nach dem Nachweis von BSE auch in Deutschland nicht mehr vermarkten lassen. Allerdings muss man sich klar machen, dass diese Tiere immer dazu bestimmt waren, geschlachtet zu werden; diese Tiere können nicht auf Dauer von Landwirten durchgefüttert werden, die ihre Produkte nicht mehr verkaufen können. Viele Menschen erkennen durch dieses Ereignis, was Umweltschützer, auch in den Kirchen, seit Jahrzehnten beklagen: Derart billige Preise für Lebensmittel sind erst möglich, wenn Nutztiere nur als ökonomisches Gut, als Ware betrachtet und dementsprechend behandelt werden.

Die BSE-Krise hat einen sehr tiefgreifenden Schock ausgelöst. Ein Umdenken zu einer am Prinzip der Nachhaltigkeit orientierten, standortgerechten Landwirtschaft braucht jedoch einen sehr langen Atem.

Der Prozess der Umstellung ist mühselig und unspektakulär. Er wird die Nahrungsmittel verteuern, und er wird die "rund-ums-Jahr-Verfügbarkeit" aller Nahrungsmittel, an die wir uns gewöhnt haben, zumindest in Teilbereichen wieder reduzieren. Ein Umsteuern wird nur erfolgreich sein, wenn sich die Menschen sehr viel bewusster mit der Art der Ernährung befassen, und ihren Lebensstil teilweise umstellen. Erst auf dem Weg der Umstellung wird erkennbar werden können, dass damit ein deutlicher Zugewinn an Lebensqualität verbunden sei kann. Eine Umstellung ist auch nur möglich, wenn den Landwirten in der Umstellungsphase massive Unterstützung zuteil wird. Die Landwirte sind in einen ruinösen Wettbewerb hineingezwungen worden, aus dem sie sich aus eigener Kraft nur in wenigen Fällen lösen können.

In dieser Situation der Krise ist es nicht sehr sinnvoll, einzelne Schuldige zu suchen oder nach dem Abflauen des Interesses der Medien resignierend zur Tagesordnung überzugehen. Wichtiger wäre es, wenn sich alle Beteiligten fragen würden, was ihr eigener Anteil an der Krise ist und was sie tun können, um eine Umstellung der Landwirtschaft zu begünstigen.

Verbraucher müssen bereit sein, für möglichst naturbelassene, regional erzeugte, qualitativ hochwertige Lebensmittel mehr Geld zu bezahlen. Es bedarf aber einer sehr sorgfältigen Analyse, warum ökologisch orientierte Lebensmittel teurer sind als andere: Welchen Anteil des Mehrpreises bleibt beim Groß- und Einzelhandel, welcher beim Transport, welcher kommt tatsächlich den Landwirten zugute?

Die Lobby der Landwirte müsste bereit sein, sich verstärkt auf eine Umstellung der Landwirtschaft einzulassen. Vermutlich würde es recht wenig einbringen, wollte man einfach nahtlos an dem jahrzehntelangen Streit zwischen "konventioneller" und "ökologischer" Landwirtschaft anknüpfen. Der Schock der BSE-Krise müsste zum Anlass eines Neubeginns, einer verbesserten Gesprächskultur zwischen allen Beteiligten - den Verbrauchern, den Landwirten und ihren Interessenvertretern - genommen werden.

Bei einer Umstellung der Landwirtschaft müsste eine Art Bilanz gezogen werden, was die Produkte der agrochemischen Industrie betrifft: Welche Produkte werden in welchen Situationen des Landbaus und der Tierhaltung wirklich benötigt? Die Landwirtschaft sollte sich nach ihrer eigenen Logik entwickeln können und nicht an der Logik, die sich am Absatz industriell erzeugter Produkte im Agrarsektor orientiert. Auch hier werden Umstellungsprozesse langwierig und mühselig sein.

Eine derartige Umstellung wird maßgeblich von den Energiepreisen beeinflusst. Je teurer Energie ist, desto leichter wird die Umstellung fallen - schon allein, weil durch steigende Transportkosten regional erzeugte und mit wenig energie-intensiven Inputs produzierte Nahrungsmittel einen Vorteil haben. Auch dies ist eine Tatsache, die wahrzunehmen zunächst einmal sehr unbequem ist. Vor allem fossile Brennstoffe waren in den letzten Jahrzehnten so billig, dass eine Landwirtschaft, die diese Energieträger reichlich einsetzte, gegenüber anderen Anbaumethoden einen Wettbewerbsvorteil hatte. Landwirten, die zur Umstellung auf andere Produktionsmethoden und Vermarktungswege bereit sind, ist es nicht möglich, hier alleine und aus eigener Kraft gegenzusteuern.

Die Politik muss sich in den nächsten Monaten der Aufgabe stellen, innerhalb der Funktionsmechanismen der Weltagrarmärkte und der EU-Agrarordnung Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Umstellung auf einen ökologischen orientierten, standortgerechten Landbau ermöglichen. Andere europäische Länder sind hier etwas weiter als die Bundesrepublik Deutschland. Aber man kann von der Regierung auch keine Wunder erwarten. Von den Landwirten, vor allem aber von den Verbrauchern müssten deutliche Signale ausgehen, dass eine solche Umstellungen gewollt wird und dass man bereit ist, dafür auch Kosten auf sich zu nehmen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat vor 17 Jahren (!) mit der Denkschrift "Landwirtschaft im Spannungsfeld" bereits auf grundlegende Fehlentwicklungen und Steuerungsprobleme im Agrarsektor hingewiesen: Unter dem Begriffspaar "Wachsen und Weichen" wurden hier agrarsoziale Fragen angesprochen, mit dem Begriffspaar "Ökologie und Ökonomie" auf das Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlicher Rentabilität und der gesamtgesellschaftlich notwenigen Bewahrung der Schöpfung hingewiesen, mit dem Begriffspaar "Hunger und Überfluss" wurden entwicklungspolitische Fragestellungen thematisiert. Die Denkschrift forderte eine sozial, generativ, ökologisch und international verträgliche Agrarpolitik.

Zu nennen ist weiterhin die Erklärung der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung und des Deutschen Bauernverbandes vom Januar 1989 - "Neuordnung der Agrarpolitik als gesellschaftliche Aufgabe" -, in der eine stärkere soziale, ökologische und entwicklungspolitische Ausrichtung der EG-Agrarpolitik gefordert wurde.

Zum Thema Tierschutz speziell hat der damalige Wissenschaftliche Beirat des Beauftragten für Umweltfragen des Rates der EKD im Jahr 1992 einen Diskussionsbeitrag - "Zur Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf" - herausgegeben. Darin wird zur Nutztierhaltung unter anderem ausgeführt: "Nutztiere (dürfen) nicht ausschließlich unter dem Nutzungsgesichtspunkt betrachtet werden, als seien sie bloße Maschinen... sie als Mitgeschöpf zu achten heißt, sich an ihrem Wohlbefinden zu freuen und es zu fördern. Schon die bloße Wahrscheinlichkeit haltungsbedingter Schmerzen und Leiden macht schonendere Haltungsformen zur Pflicht." Die Schrift enthält im weiteren dann ein eindrückliches Plädoyer für den artgerechten Umgang mit Tieren.

Das Gemeinsame Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz vom 1997 mit dem Titel "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" fordert eine Vernetzung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Problematik, eine stärkere Ausrichtung der Landwirtschaft, die Abkehr vom rein quantitativen Wachstum und eine Aufwertung der Entwicklungspolitik.

Schließlich hat die Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt erst im September 2000 eine Studie zum Thema "Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung" vorgelegt, in der der Verlust der Regionalität als eine der Hauptgefahren der Entwicklung der Landwirtschaft gesehen und die Hinwendung zu einem standortgerechten Landbau gefordert wird. In dieser Studie werden vor allem auch die internationalen Rahmenbedingungen thematisiert, die für eine solche Umorientierung des Agrarsektors geschaffen werden müssten.

Auch die Kirchen müssen sich in der nächsten Zeit vermehrt mit dem Thema einer Umorientierung der Landwirtschaft befassen. Sie können zeigen, warum das gegenwärtige System der Landwirtschaft weder mit dem Ziel der Bewahrung der Schöpfung verträglich noch zukunftsfähig ist. Sie können versuchen, jenseits der Tagesaktualität, die zu einer vermehrten Aufmerksamkeit für das Thema geführt hat, auf die grundlegenden Zusammenhänge zwischen unserem Lebensstil, dem Umgang mit Tieren und der Natur und den Lebensbedingungen der Menschen hinzuweisen, die in der Landwirtschaft tätig sind. Es ist vor allem notwendig, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und ihnen auch zuzuhören, wenn sich das Hauptaugenmerk der Medien wieder anderen Themen zuwendet.

Hannover, 02. Februar 2001
Pressestelle der EKD