Grußwort des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock

auf der Internationalen Grünen Woche am 20. Januar 2001 anlässlich des Podiumsgespräches zur Studie der EKD-Kammer für Entwicklung und Umwelt "Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung"

20. Januar 2001

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen haben sich seit Jahrzehnten immer wieder mit den Veränderungen in der Landwirtschaft auseinandergesetzt. Sie tun dies, weil Landwirtschaft die Grundlage für die Ernährung aller Menschen ist. Das Zusammenleben der Menschen auf dem Lande hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch gewandelt. Die Kirchengemeinden begleiten diesen Wandlungsprozess und die Menschen, die davon betroffen sind. Veränderungen im landwirtschaftlichen Bereich wirken sich jedoch auf die ganze Gesellschaft und damit auf uns alle aus. Die Globalisierung des Agrarhandels und die Agrarverhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft und die Patentierung von Tieren und Pflanzen sind mit vielen Fragen und Entscheidungen verbunden und beziehen sich auf komplexe Sachverhalte, die nicht leicht zu erschließen sind.
Die Studie "Ernährungssicherung und nachhaltige Entwicklung" der EKD-Kammer für Entwicklung und Umwelt möchte über die derzeit international diskutierten Konzepte von Welternährung, Landwirtschaft und Agrarhandel informieren und ihre Bedeutung für Ernährungssicherung und eine nachhaltige Entwicklung aufzeigen.

Werte- und Interessenskonflikte prägen die Diskussion, auf welchen Wegen nachhaltige Entwicklung erreicht werden können. Auch eine kirchliche Stellungnahme kann nicht objektiv sein und bedarf darum auch der Kritik. Aber ich möchte deutlich betonen, dass die Kirchen sich zu solchen Themen mit einer eigenen Kompetenz zu Wort melden. Fachleute verschiedener Fachrichtungen arbeiten mit beim Verfassen kirchlicher Studien. Wenn sich die Kirchen zu komplexen und umstrittenen Themen als Gesprächspartner einbringen, steuern sie Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen bei, die sie aus dem christlichen Glauben heraus entwickeln. Damit unterstreichen sie zugleich die ethische Relevanz des biblischen Zeugnisses. Dies geschieht im Zusammenspiel von Sach- und Problemanalyse einerseits, der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Ziel- und Wertvorstellungen andererseits.

Die Kirche verkündigt Gott, den Schöpfer und Erhalter dieser Welt. Er hat den Menschen als sein Ebenbild beauftragt, die Erde zu bebauen und zu bewahren, sie nicht auszubeuten und zu zerstören. Die Kirche gewinnt aus der Versöhnungsbotschaft Jesu Christi den Maßstab für die Gerechtigkeit im Umgang mit der Schöpfung und auch im Blick auf kommende Generationen.

Die Gefährdung menschenwürdigen Lebens in der Zukunft darf nicht gegen die Armut und Marginalisierung heute ausgespielt werden. Nachhaltige Entwicklung hat sich - gemäß der Studie - auf folgende Ziele zu beziehen: Schutz der Umwelt, Effizienz der Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit.

Die Studie weist vor allem auf die Gefährdungen der Zukunftsfähigkeit in der Landwirtschaft durch den Verlust von Regionalität, der biologischen Vielfalt und auf die Risiken des Einsatzes der Gentechnik in der Landwirtschaft hin. Insbesondere zu diesen Bereichen möchte die EKD-Kammer für Entwicklung und Umwelt einen Beitrag zur kritischen Diskussion leisten und Anstöße für nötige Reformen geben. Viele dieser Probleme sind so komplex, dass sie bisher vor allem in Expertenkreisen diskutiert wurden. Doch sie betreffen uns alle. Die Zukunft unserer Kinder und Enkel wird von heutigen Weichenstellungen geprägt. Deshalb ist es wichtig, dass möglicht viele Menschen sich Kenntnisse erwerben und begreifen, dass jetzt die Entscheidungen darüber fallen, was wir morgen essen und wer morgen genug zu essen hat.

Wir können heute nicht über Ernährungssicherung und nachhaltige Entwicklung sprechen, ohne die Querbeziehungen zur BSE-Krise herzustellen. Ich beschränke mich auf drei kurze Anmerkungen: Die BSE-Krise macht einmal mehr deutlich, wie schlagzeilenorientiert wir in Gesellschaft und Politik mit gravierenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Problemen umgehen und wie wenig es gelingt, den Problemen nachhaltig zu Leibe zu rücken. Seit Jahren ist die BSE-Gefahr bekannt. Die Vorgänge in Großbritannien haben kurzfristig zu Schlagzeilen und zu Aufregung geführt. Aber nach kurzer Zeit sind die Probleme verdrängt worden, und wir haben im großen und ganzen weitergemacht wie bisher. Die Hauptakteure scheinen alle von der Vorstellung erfüllt zu sein: Irgendwie wird es schon gutgehen. Diese Problemverdrängung rächt sich. In der BSE-Krise zeigt sich auch - das ist die zweite Anmerkung -, wie leichtfertig wir mit ernsthaften Risiken umgehen. Dazu gibt es im übrigen zahlreiche Parallelen, man braucht aus jüngster Zeit nur an die Verwendung von uranhaltiger Munition zu denken. Man behilft sich mit dem Argument, ein Zusammenhang im Sinne von Ursache und Wirkung sei bisher nicht nachgewiesen und daher bestehe kein akuter Handlungsbedarf. Die Verfütterung von Tiermehl und Milchaustauscher war früh unter erheblichen Verdacht geraten. Dennoch wurden von verschiedenen Seiten Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausgestellt, und die bisherige Fütterungspraxis ging weiter. Wann endlich werden wir dahin kommen, beim Vorliegen gravierender Verdachtsmomente vorbeugend zu handeln? Es ist doch besser, einmal zu viel Vorbeugung vorgenommen zu haben, als einmal zu leichtfertig weitergemacht zu haben wie bisher. Schließlich macht uns die BSE-Krise ein weiteres Mal darauf aufmerksam, dass Expertenwissen, so unerlässlich seine Heranziehung ist, keine eindeutigen Schlussfolgerungen erlaubt. Die Evangelische Kirche in Deutschland ist schon in ihrer Studie "Einverständnis mit der Schöpfung" aus dem Jahr 1991 dafür eingetreten, die Balance zwischen Expertenwissen, Bürgerbeteiligung und politischer Verantwortung neu auszutarieren: "Sich widersprechende Expertenmeinungen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel ... In dem Maße, in dem die Überforderung der Experten steigt, sinkt ihre Glaubwürdigkeit. Die Wiederermächtigung der Laien ist auch eine zwingende Folgerung aus der demokratischen Verfassung des Gemeinwesens" (S. 37f).

Ich freue mich sehr, dass diese Podiumsdiskussion es ermöglicht, verschiedene Meinungen und Stimmen aus der Bauernschaft, von Experten aus Wissenschaft und Produktion, aber auch von Verbrauchern und aus der Kirche miteinander ins Gespräch zu bringen. Ich wünsche uns eine spannende Diskussion, die uns auf der Suche nach einer nachhaltigen Landwirtschaft ein Stück weiterbringen kann.

Hannover / Berlin, 20. Januar 2001
Pressestelle der EKD