Predigt beim Feierabendmahl auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2007 (1. Könige 19, 4-8)

Wolfgang Huber

08. Juni 2007

Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun Herr meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss!

Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.

Und der Engel des Herrn kam zum zweiten mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.


I.
Elia will nicht mehr weitergehen. Müde und erschöpft bricht er zusammen. Er sinkt in den Schatten eines Wacholders, ohne Zuversicht auf das Morgen.
Dabei ist Elia ein tatendurstiger Mensch, voller Ideale, fest verwurzelt im Glauben, ein Prophet Gottes, begabt mit der Fähigkeit zu überzeugen. Einen schwindelerregenden Konflikt hatte er durchgestanden: Konnte Jahwe, der Schöpfergott, dem opferhungrigen Baal das Wasser reichen? Dieser Götze brauchte zur Dürrezeit Nahrung und verlangte von seinen Gläubigen Opfer. Er wollte mit Gebeten gefüttert werden – und schwieg doch weiter. Elia errang einen mordsmäßigen Sieg in einer erschütternd siegreichen Schlacht für seinen Gott wider den Götzen. Der gefräßige und nutzlose Götze wurde vom Schöpfergott überschüttet mit Zorn und Regen durch das Gebet des einen, dazu auserwählten Propheten. Aber nun fürchtet er, das alles könne an ihm gerächt werden. Er fürchtet um sein Leben.

Dabei müsste Elia eigentlich wissen, dass Gott reichlich gibt und den am Leben erhält, der auf ihn seine Hoffnung setzt. Doch Elia bleibt entmutigt liegen unter dem Wacholderbusch und fleht um das Ende seiner Tage. Er verliert aus dem Auge, was ihm doch anvertraut ist. Er flüchtet sich in Resignation und Fatalismus.

II.
Eine solche Reaktion ist uns keineswegs fremd. „Es hat doch keinen Sinn, sich um die Umwelt zu kümmern!“, sagen viele. Sie meinen damit, dass ihr eigenes Handeln angesichts des globalen Klimawandels doch nichts ausrichten kann. Sie schieben die Verantwortung auf andere Menschen oder andere Nationen. Sie wissen viel über die komplexen Zusammenhänge des Klimawandels; doch wer seine Verantwortung nicht selbst wahrnimmt, sitzt am Ende einträchtig neben denen, die einen globalen Klimawandel generell bestreiten, ihn für eine Angstphantasie halten oder doch leugnen, dass es irgendwelche menschlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf ihn gäbe.

Dabei erhält die Einsicht, dass der globale Klimawandel durch menschliches Handeln verursacht ist, in unseren Tagen eine erdrückende Wahrscheinlichkeit. Alle ernsthaften wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen dreierlei: Wir müssen ernsthaft mit einer Klimakatastrophe rechnen. Wir müssen anerkennen, dass sie in erheblichem Umfang durch menschliches Handeln ausgelöst ist. Um die globale Erwärmung zu begrenzen, müssen wir zu schnellen und entschlossenen Maßnahmen bereit sein.

Alle Menschen, die sich neben dem resignierten Elia lagern, müssen sich fragen lassen: Wie lange wird der Wacholder noch stehen bleiben und Schatten spenden? Wie lange wird es noch dauern, bis der Bach neben uns zum Rinnsal vertrocknet oder zu einem Strom anschwillt, der alles mit sich reißt? Wollen wir weiter wegsehen und weghören, obwohl wir wissen können, was es mit dem Klimawandel auf sich hat? Setzen wir unser Vertrauen auf falsche Propheten, die uns mit angenehmen Botschaften beruhigen wollen? Müssen erst Katastrophen eintreten, bevor wir anerkennen, was wir längst vorher wissen konnten?

Vor einer Woche traf ich den Bischof einer kleinen christlichen Kirche in Bangladesch. Als er vor mir stand, bestürmten mich in meinem Innern die Bilder davon, was diesem Land widerfahren wird, wenn der Wasserspiegel des Indischen Ozeans steigt. Die Bewohner der Deltaregionen unserer Erde hatte ich vor Augen, die nicht rechtzeitig fliehen können und denen dann in gigantischem Maß widerfährt, was die Opfer des Hurricans Catrina in New Orleans erlebten. Die Resignation unter dem Wacholder ist keine Zuflucht.

III.
Wir brauchen einen, der zu uns sagt: Steh auf und iss, nimm hin und trink; du hast einen weiten Weg vor dir. Einen, der uns zur Umkehr hilft. Denn wir brauchen eine Umkehr; in der Sprache der Bibel heißt sie metanoia, also „Umdenken“. Den Ruf Gottes, der Elia durch den Engel erreicht, können wir auch hören: Nehmet hin und esset; nehmet hin und trinket alle daraus. Die Wegzehrung, für die Jesus sein Leben gab, gilt nicht nur einem, sondern allen.  Uns allen wird der Durst nach Leben und der Hunger nach Gerechtigkeit gestillt.

Und wir machen uns auf den Weg. Wir gehen kleine Schritte zu dem großen Ziel. Zu verantwortlichem Handeln angesichts des Klimawandels können wir als einzelne, aber auch als Kirchen und Kirchengemeinden einen erheblichen Beitrag leisten. Jeder einzelne Beitrag zum Klimaschutz ist sinnvoll, denn die Wirkungen verstärken sich. Je mehr Menschen in dieser Richtung aktiv werden, desto eher wird sich dies auch in politisches Handeln übertragen. Viele konkrete Schritte sind möglich; an vielen Orten sind sie bereits bewährte Praxis. Durch Energiesparen in privaten Haushalten, Kirchengemeinden und kirchlichen wie diakonischen Einrichtungen können Energiekosten in hohem Umfang gesenkt werden. Die Kirchen sind in der Lage, mit kleinen Anlagen, die erneuerbare Energiequellen nutzen, zu Energieerzeugern zu werden. Gegenüber Autokonzernen können sie sich verstärkt für die Reduktion des Kraftstoffverbrauchs, die Senkung der CO2-Emissionen oder den Einbau von Filtern in Dieselfahrzeuge einsetzen.

„Steh auf ...“, denn die Erde ist uns anvertraut. Christen sind zum Lob der Schöpfung aufgerufen. Unser Glaube führt uns in eine Lebenshaltung der Dankbarkeit und der ehrfürchtigen Demut. Aus ihr erwachsen Freude am Leben und bewusstes Genießen.

„Steh auf ...“, denn unsere Nachbarn sind uns anvertraut. Der Klimawandel bedroht vor allem die Armen. Die Länder, in denen besonders viele Schadstoffe emittiert werden, tragen besondere Verantwortung für die Kontinente und Nationen, die unter dem Klimawandel besonders leiden.

„Steh auf ...“, denn unsere Kinder und Enkel sind uns anvertraut. In all diesen Tagen habe ich meinen neugeborenen ersten Enkel, Jonas, vor Augen; er war der letzte, von dem ich mich in Berlin verabschiedete, bevor ich zum Kirchentag fuhr. Wir tragen Verantwortung für die kommenden Generationen. Und in der Gemeinschaft der Generationen müssen wir füreinander Vorbilder werden, nicht nur die Alten für die Jungen, sondern ebenso die Jungen für die Alten. In ungekanntem Ausmaß wachsen die heute Zehnjährigen bereits in dem Bewusstsein dramatischer Klimaveränderungen auf. Ihnen Gottes Verheißung in Wort und Tat zu bezeugen, ist eine Aufgabe, der wir nur miteinander gerecht werden können.

IV.
„Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir!“ Ein anstrengender Weg ist es, zwischen Zynismus und Fatalismus hindurch zu schreiten. Es ist ein Weg, den wir jetzt betreten müssen, bevor es zu spät ist. Die Zeit drängt. Miteinander wollen wir uns für diesen Weg stärken. Heute Abend wollen wir miteinander den Weg der Verantwortung vor Gott und den Menschen einschlagen. Der Weg lohnt; der Hunger auf Gerechtigkeit und der Durst nach Leben werden auf ihm gestillt. Erschöpfungen und Niederlagen bleiben nicht aus; doch sie rücken in das Licht der Verheißung.

Elias Weg führt zum Horeb, zum Berg Gottes. Dort wird Elia auf Gott treffen; Gott wird sich ihm in einem sanften und stillen Sausen offenbaren. Dieses Vorrecht wird denen zuteil, die sich von Gott stärken und auf den Weg schicken lassen; es wird denen zuteil, die auf Gottes Wegen unterwegs sind.

So rufe ich es Euch allen zu: „Steh auf und iss, nimm hin und trink; du hast einen weiten Weg vor dir.“ Gott segne euren Weg; jede und jeder von euch erfahre auf ihm Gottes Nähe. Amen.