Tanz

Spiritualität

tanzende Frauen

Dass der Tanz der Spiegel der Seele sei, ist die Einsicht eines unbekannten Autors. Die Erkenntnis, dass Tanzen die Poesie des Flusses ist, verdanken wir dem englischen Dichter und Literaturkritiker John Dryden. Der allzeit pfiffige Satiriker Stanislaw Jerzy Lec urteilt: "Das Tanzen ist die Kunst, bei der die Beine denken, sie seien der Kopf." Und vom Kirchenvater Augustinus stammt die Aufforderung: "Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel mit dir nichts anzufangen!"

Warum tanzen Menschen? Um Götter zu verehren. Um Naturmächte mit Regen- und Fruchtbarkeitsreigen milde zu stimmen. Im rituellen Tanz lassen sich die Agierenden mit rhythmischer Bewegung, mit Rufen, Singen, Stampfen, Klatschen auf die verehrten Mächte des Kosmos ein. Das Mittelalter kannte Abwehrtänze gegen die Pest.

"Im 20. Jahrhundert haben die Stammestänze Schwarzafrikas als Schütteltänze und Totalvibrato des Körpers die Welt erobert.  Fern jedes religiösen Anspruchs", stellt die Tanzpädagogin Maria-Gabriele Wosien fest, "werden sie heute gleichsam als Therapie getanzt: Weltweit werden die durch die Zwänge des Zivilisationsapparates angestauten Energien tanzend herausgeschleudert und durcheinandergerüttelt."

Tanz gehört zu den ursprünglichsten Lebensäußerungen des Menschen. In ihm drückt sich das Machtgefühl des Einzelnen aus, zugleich stiftet er Gemeinschaft. Seit der Antike ist das gesellige Tanzen zu Hochzeiten verbreitet. Den abendlichen Besuch einer Disco begleitet auch die Hoffnung, eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Schließlich werden durch das Tanzen nicht nur der Körper trainiert und die Motorik gefördert. Das Zusammenspiel von Bewegung und Musik schüttet Glückshormone aus. Wer das brasilianische Capoeira beherrscht, wird die Mittanzenden beeindrucken. Unterm Strich: Tanzen macht Spaß, das ekstatische besonders. Techno lässt grüßen.

Manche Kulturen verstehen den Tanz als Opfer, das die Götter erfreut. Wie in Indien oder Indonesien. Die frühchristliche Zeit kannte Tänze zu Ehren der Gottesmutter oder der Märtyrer. Die junge Kirche hat den Tanz als liturgische Form bejaht, an der selbst Bischöfe als Vortänzer teilnahmen. Ganz unverdächtig war er freilich nie. Der Streit um die Zulassung des Kirchentanzes zog sich durch Jahrhunderte hin. Gaukler und Vaganten, die die Musik zum Tanz beisteuerten, wurden lange Zeit als "unehrliche Leute" angesehen. Der Tanz galt im Mittelalter als gefährlich, weil aus den Tiefenschichten Urtümliches ans Licht drängte. Als der Deutsche Evangelische Kirchentag 1973 in Düsseldorf mit der Liturgischen Nacht eine sensationelle neue Form von Fest und Feier anbot, beeilte sich Heinz Zahrnt, sein Präsident, zu beteuern, man werde die Wahrheit auch in Zukunft nicht ertanzen.

Dessen ungeachtet: Dass das Tanzen träumen mit den Beinen ist, empfindet Herwig Mitteregger. Und Fred Astaire, diese Inkarnation der Leichtigkeit des Seins, sieht im Tanz "ein Telegramm an die Erde mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft".


Hans-Albrecht Pflästerer