Materialsammlung Erster Weltkrieg

Gedichte

John McCrae (1872-1918): Auf Flanderns Feldern

Auf Flanderns Feldern blüht der Mohn
Zwischen den Kreuzen, Reihe um Reihe,
Die unseren Platz markieren; und am Himmel
Fliegen die Lerchen noch immer tapfer singend
Unten zwischen den Kanonen kaum gehört.
Wir sind die Toten. Vor wenigen Tagen noch
Lebten wir, fühlten den Morgen und sahen den leuchtenden Sonnenuntergang,
Liebten und wurden geliebt, und nun liegen wir
Auf Flanderns Feldern.
Nehmt auf unseren Streit mit dem Feind:
Aus sinkender Hand werfen wir Euch
Die Fackel zu, die Eure sei, sie hoch zu halten.
Brecht Ihr den Bund mit uns, die wir sterben
So werden wir nicht schlafen, obgleich Mohn wächst
Auf Flanderns Feldern.
Download: John McCrae: Auf Flanderns Feldern
» als PDF » als Audio

Else Lasker-Schüler (1869-1945): Wir können nicht mehr schlafen...

Ein winziger Mensch ist oft ein ganzes Volk
Doch jeder eine Welt
Mit einem Himmelreich wenn
Er der Eigenschaften uredelste pflegt:
Gott
Gott aufsprießen läßt in sich
Gott will nicht begossen sein
Mit Blut.
Wer seinen Nächsten tötet
Tötet im Herzen aufkeimend Gott
Wir können nicht mehr schlafen in den Nächten.

Mit freundlicher Genehmigung der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, Wuppertal. Das Gedicht stammt aus dem Nachlass, ist möglicherweise nicht ganz fertig geworden.

Download: Else Lasker-Schüler: Wir können nicht mehr schlafen...
» als PDF » als Audio

Ernst Toller (1893-1939): Den Müttern

Mütter. Eure Hoffnung, Eure frohe Bürde
Liegt in aufgewühlter Erde,
Röchelt zwischen Drahtverhauen,
Irret blind durch gelbes Korn.
Die auf Feldern jubelnd stürmten,
Torkeln eingekerkert, wahnsinnschwärend,
Blinde Tiere durch die Welt.
Mütter!
Eure Söhne taten das einander.
Grabt Euch tiefer in den Schmerz,
Laßt ihn zerren, ätzen, wühlen,
Recket gramverkrampfte Arme,
Seid Vulkane, glutend Meer:
Schmerz gebäre Tat!
Euer Leid, Millionen Mütter,
Dien' als Saat durchpflügter Erde,
Lasse keimen
Menschlichkeit.
Download: Ernst Toller: Den Müttern
» als PDF » als Audio

Ricarda Huch (1864-1947): Frieden

Von dem Turme im Dorfe klingt
Ein süßes Geläute;
Man sinnt, was es deute,
daß die Glocke im Sturme nicht schwingt.
Mich dünkt, so hört ich's als Kind;
Dann kommen die Jahre der Schande;
Nun trägt's in die Weite der Wind,
Dass Friede im Lande.
Wo mein Vaterhaus einst fest stand,
Wächst wuchernde Heide;
ich pflück, eh ich scheide,
einen Zweig mit zitternder Hand.
Das ist von der Väter Gut
Mein einziges Erbe;
Nichts bleibt, wo mein Haupt sich ruht,
bis ich einsam sterbe.
Meine Kinder verwehte der Krieg;
Wer bringt sie mir wieder?
Beim Klange der Lieder
Feiern Fürsten und Herren den Sieg.
Sie freuen sich beim Friedensschmaus,
die müß'gen Soldaten fluchen -
Ich ziehe am Stabe hinaus,
mein Vaterland suchen.

Mit freundlicher Genehmigung der Erbengemeinschaft Alexander Böhm.

Download: Ricarda Huch: Frieden
» als PDF » als Audio

Jean Marc Bernard (1881-1915): De profundis

Aus der Tiefe unsres Grabens
Erheben wir zu dir die Hand,
O Herr! Erbarm dich über uns,
Die Seele ist uns ausgebrannt.
Denn mehr als unser Fleisch noch ist
Die Seele ohne Kraft und Mut.
Ein Sturm ist über uns gekommen
Von Eisen, Brand und Flut.
Du siehst, wir sind von Schmutz bedeckt,
Ermattet, abgezehrt, zerrissen...
Doch hast du unser Herz erblickt?
Mein Gott, dies eingestehn zu müssen:
Wir sind der Hoffnung so beraubt.
Der Frieden ist noch so weit fort,
Daß wir es manchmal kaum mehr wissen,
Ob hier die Pflicht, ob dort.
Schenk uns in diesem steten Tode
Dein Licht und deinen Trost - der schafft
Die Furcht aus unsern müden Herzen;
Erfülle uns mit neuer Kraft!
Doch all den Toten, die zur Erde
Und in den Sand gebettet sind,
Gib, Herr, die unsagbare Ruhe!
Sie haben es verdient.
Download: Jean Marc Bernard: De profundis
» als PDF » als Audio

Georg Schwikart (*1964): Einsicht an einem Sommertag

Auf der Rückseite der Rechnung
(Smutjeteller, also Hering mit Bratkartoffeln,
dazu ein Pils, der Nachtisch in der Hopfenlaube
lockte nicht besonders) notiere ich
die Namen von Ostfriesen aus Esens
und anderen Dörfern und Weilern:
Johann Gerhard Folkerts
Harm Heinks Willms
Cornelius Christoph Haag -
drei nur von den vielen, die da stehen
auf dem Ehrenmal vor St. Magnus -
junge Männer, Bauern und Gesellen,
vielleicht ein Student auch, dahingemetzelt
vor Metz, Sedan, oder wo auch immer.
Ein Mahnmal mahnt so wenig wie
ein Denkmal denkt und ein Grabmal gräbt
man wollte sie nicht vergessen, die Burschen
man wollte allerdings vergessen die Tränen
der Frauen, Geliebten, der Eltern, Geschwister
verdrängen das Ende: zerschossen, zerfetzt
verhungert, erfroren, von Krankheiten dahin-
gerafft. Neue Kriege, neue Tote, neue
Ehrenmale. Bis heute geht es weiter. Bis heute
erinnert man sich an Johann, Harm und Cornelius,
ihre Namen bleiben, in Stein konserviert.
Sie sollen bleiben. Nicht aber der Satz,
der niemals stimmte: Nicht vor hundert oder
tausend Jahren, nicht in Reich und Republik.
Erklär mir diese Ehre mal!
Der Satz, er prangt am Ehrenmal
wo der Soldaten Tod verbrämt wird
zur Großtat. Gefallen, heißt es verhüllend,
doch wer fällt, kann wieder aufstehn.
Sie bleiben liegen. Es ist noch nicht vorbei.
Opfer für Mars, Indra und den Gott Kapital.
Meißelt ihn weg, er verdummt das Volk,
er bedroht unsere Jugend, der Satz:
Sie starben fürs Vaterland.
Vaterland stirbt, Muttersprache verstummt.
Sie starben ohne Sinn. - Jetzt wär's Zeit
für ein Eis. Shoppen in Esens. 18 Uhr:
Orgelstunde in St. Magnus. Urlaub eben.

in: Rhythmusstörung. verdichtetes Leben. Steyler Verlag 2012

Download: Georg Schwikart: Einsicht an einem Sommertag
» als PDF » als Audio