Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Tagung der EKD-Synode in der Kreuzkirche zu Dresden

Jochen Bohl

04. November 2007

„Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihrs denn nicht?“
Jesaja 43,19

Liebe Gemeinde,

vielleicht haben Sie beim Betreten der Kirche schon einen Blick auf die Ausstellung „Der gefährliche Schmied“ werfen können, die an die Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ erinnert und an das denkwürdige Friedensforum im Februar vor 25 Jahren hier in der Kreuzkirche. Die Zeit war damals bestimmt von dem Geist und der Logik des Wettrüstens, dem Europa sich über Jahrzehnte ausgeliefert hatte. Jugendliche erkannten in dieser Situation die Herausforderung, ihren Glauben an Jesus Christus zu bezeugen, der die Menschen zum Frieden und zur Versöhnung ruft.

Im Rückblick erkennen wir, dass es sich um die allerersten Anfänge vom Ende der Mächtigen handelte – aber damals war es ein mutiger Akt des Bekennens, denn vieles war unklar, die Zeichen der Zeit mehrdeutig, die Zukunft offen, wie sie es immer ist; auch für bösen Ausgang.

Das Geschehen zu verfolgen, die Veränderungen in der Zeit zu erkennen, ihre Bedeutung einzuschätzen, und das zu tun, was die Situation fordert, ist eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe. Nichts in dieser Welt ist eindeutig, und jeder Beobachtung steht eine andere gegenüber, die sie in Frage stellt. Was ist wichtig? Was nur bloße Aufgeregtheit? Vollzieht sich in der Tiefe anderes als an der Oberfläche? Wird es gut werden – oder haben wir, ohne dass wir es bemerkt hätten, schon eine abschüssige Bahn zum Schlechten hin betreten?

All das gilt auch für unsere Zeit, vielleicht sogar in besonderem Maße, denn sie trägt so vielfältige,  gegensätzliche und unübersichtliche Entwicklungen in sich, sie ist so schnelllebig geworden, dass es ungewiss erscheint, was sie uns aufgibt zu tun.

Viele Menschen sorgen sich – um den Weg, den ihre Kinder gehen; um ihren Arbeitsplatz und vor sozialem Abstieg, dass die Gerechtigkeit unter den Rädern der Globalisierung bleibt.

Aber zugleich sind auch vielfältige Signale der Hoffnung zu sehen. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, endlich findet die Familie wieder Aufmerksamkeit, der Frieden unter den Völkern Europas steht nicht in Frage. Nach einer langen Phase der Genügsamkeit, der geistigen und geistlichen Dürre, entdecken viele, dass der Mensch nicht allein vom Brot lebt. Sie fragen in einer neuen Weise nach dem Woher und Wohin des Lebens, sie suchen in unübersichtlicher Zeit Halt und Vergewisserung über die Grundlagen des Lebens. Der Gedanke an Gott gewinnt eine neue Anziehungskraft, und überall sind Suchbewegungen zu beobachten. Wir haben soeben gehört, wie Menschen die Botschaft von dem liebenden Gott annehmen und sich zu unserer Freude taufen lassen – aber die Suche der meisten ist nicht zielgerichtet, es gibt Scharlatanerie, Wahrsagerei, neues Heidentum, esoterische Verstiegenheiten zu Hauf. Erneuerte Hoffnungen richten sich auch auf die Kirche; aber als sei anderes wichtiger, scheint sie mit sich selbst und ihren Strukturfragen beschäftigt zu sein.

Wohin man sieht: Ungewissheiten, Widersprüchliches, Verwirrung. Viele Menschen reagieren auf die unübersichtliche Lage so, dass sie wenig von der Zukunft erwarten. Stellte man sie vor die Frage, ob die Verhältnisse so bleiben sollten, wie sie sind, würden sie sich wohl ohne großes Zögern gegen das unbekannte Neue entscheiden. Man fürchtet, dass die nächsten Jahre nicht vieles bringen werden, was besser ist als das Bestehende.

Ob es anders ist mit uns, die wir mit und in unserer Kirche leben? Welche Erwartungen haben wir an ihre Zukunft? Wagen wir mehr und anderes zu hoffen, als dass es nicht schlechter werden möchte? Worauf kommt es jetzt an, wozu sind wir herausgefordert?

Der Predigttext ist die Jahreslosung für dieses Jahr,
„Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihrs denn nicht?“ Jesaja 43

Gott spricht durch den Propheten zu seinem Volk Israel in schwerer Zeit, er redet die Verbannten im babylonischen Exil an. Drückende Jahre und Jahrzehnte hatten wenig Hoffnung gelassen, dass es jemals würde besser werden können, es lag ein Schleier der Depression über den Deportierten, und es gab keine Vorstellung von einer Wende, einer segensreichen Veränderung. An Befreiung aus der Knechtschaft wagte niemand zu denken.

In dem Prophetenwort klingt so etwas an wie Ungeduld, oder gar Verzweiflung angesichts der Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen, zu gemeinsamer Erkenntnis zu finden. Ihr müsstet den Aufbruch Gottes doch eigentlich sehen – warum nur fällt es euch so schwer, das Heraufziehen des Neuen zu erkennen? Ist da ein blinder Fleck auf euren Augen?

Seht doch auf, vertraut eurem Gott – und ihr werdet den Aufbruch, den Beginn der Veränderung erkennen. Gott ist treu, und jetzt, mitten in dunkler Not schafft er ein Neues.

Hier wirbt Gott um Glauben, er müht sich um das Vertrauen des Gottesvolkes, er ist ein liebender Gott, der Hoffnung stiften und  Glauben wecken will. Tatsächlich endete der Weg Israels nicht in Babylon; ein Neues begann, das klein angefangen hatte, so klein, dass sein Aufwachsen kaum zu erkennen war. Tatsächlich: das Volk kehrte heim nach Israel.

Ob heute, unter uns etwas wächst? In dieser unübersichtlichen Zeit, die gekennzeichnet ist von Sehschwächen, von Unentschiedenheit, von der Erwartungshaltung der Menschen, die Gott nicht kennen - und doch auf der Suche sind nach Ihm?

Liebe Gemeinde,
zuversichtlich dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott in diesen Tagen um unseren Glauben wirbt, dass er sich um uns müht – uns evangelische Christen in Deutschland redet er an:
„Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihrs denn nicht?“

Hier und jetzt sind wir von unserem Herrn aufgefordert, die Möglichkeiten zu ergreifen, die sich für unsere Kirche und ihren Auftrag ergeben und zu tun, was unsere Sache ist: das Evangelium von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi in Wort und Tat zu bezeugen. Wir stehen vor der Notwendigkeit, unsere Mission zu den Menschen zu tragen, einen Aufbruch zu wagen. Wir sollen uns nicht genügsam in Selbstbezüglichkeit einrichten, sondern neu anfangen.

Das Prophetenwort ist ein Werben Gottes; um unser Vertrauen, dass wir uns auf die neuen Wege trauen, die er uns zeigt. Es erinnert uns, dass die Blickrichtung entscheidend ist, worauf wir sehen, welches Ziel im Blick ist. Wir Christen nehmen den Kopf hoch, wir sehen auf unseren Herrn Jesus Christus und richten unseren Blick auf das Kreuz.  So werden wir die Herausforderung, die vor uns liegt, annehmen; ihr in fester Glaubenshaltung begegnen. Die Blickrichtung bestimmt auch die Haltung. Wer nach unten sieht, lässt die Schultern hängen. Wer aufsieht, strafft die Muskeln und spannt die Kräfte an.

Wir werden uns also nicht an das Vergangene klammern, sondern Gott danken für seinen Segen in der Vergangenheit – und zugleich auf das Neue sehen, das aufwächst und darin Gottes Anrede an uns erkennen! Wir wollen unseren Glauben nicht diskret für uns behalten, als sei er etwas privates, dass nur uns anginge. Vielmehr wollen wir in Liebe auf unsere Nächsten zugehen und davon sprechen, was uns hält und trägt; wir geben uns als Christenmenschen zu erkennen und finden zu einer offensiven Haltung des Bekennens.

Wir werden von unseren Gaben und Kräften teilen, den Schwachen Teilhabe ermöglichen, und insbesondere denen, die niemand mit liebendem Blick ansieht.

Wir vertrauen auf die geistlichen Kräfte, die unsere Evangelische Kirche bis heute geprägt haben und freuen uns an dem unverwechselbaren Profil der Kirche der Freiheit – das Lesen der Schrift in der zuversichtlichen Erwartung, in ihr Gott zu begegnen, die Predigt im Mittelpunkt des Gottesdienstes, das persönliche Gebet, der wunderbare Reichtum der Musik, die Bewährung des Geglaubten im Alltag des Lebens. Das ist das Eigene unserer Konfession, und es ist uns lieb.

In all dem, liebe Schwestern und Brüder, liegt eine Herausforderung, die nicht klein ist, der wir aber nicht ausweichen werden – und das brauchen wir auch nicht, denn es ist ja der barmherzige Gott, der zu uns spricht. Er wirbt um uns.

Wir vertrauen unserem Herrn. So hat es auch mit den Schwertern zu Pflugscharen begonnen. Christen ließen sich auf die Friedensbotschaft der Heiligen Schrift ein im Vertrauen auf Gott. Von ihm empfangen auch wir die Kräfte, die wir brauchen. Er ist gegenwärtig in den Herausforderungen, die uns gestellt sind. Seine Gnade ist nicht am Ende. Sie ist alle Tage neu.

Amen.  
  04. November 2007