Einbringung des Berichtes des Rates - Teil B - schriftlich (Christoph Kähler)

(6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

Dresden, 04. November 2007

Es gilt das gesprochene Wort.

Verehrte Frau Präses,
hohe Synode,
liebe Schwestern und Brüder,

ein Blick bereits auf die Inhaltsübersicht des schriftlichen Teils des Ratsberichts zeigt: Die Arbeit des Rates der EKD vollzog sich mit erheblicher Intensität und betraf eine Fülle von Gegenständen. Ich bin froh, dass die Debatten sehr konstruktiv verlaufen, sehr sorgfältig vorbereitet sind und sich die Gemeinschaft der Ratsmitglieder gut ergänzt.

Aus der Dichte und Fülle der Themen will ich sehr subjektiv drei herausgreifen.

Die Vorlage steht dann als Ganze zur Aussprache.

I.

Als erstes möchte ich meinen Dank und meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass am 1. Januar 2007 das Verbindungsmodell in Kraft treten konnte. Damit ist ein Prozess zum Abschluss gekommen, der genau genommen einen entscheidenden Beginn markiert. Nämlich, den evangelischen Landeskirchen in Deutschland eine gemeinsame organisatorische Basis im Kirchenamt der EKD zu geben, um die Stimme des Protestantismus zu stärken.

Die beiden „Väter“ dieses Modells sitzen unter uns, eine Gelegenheit zu einem herzlichen Dank: „Wir müssen ... sehen, wie die Aufgaben dieser [konfessionellen] Zusammenschlüsse neu organisiert und Doppelarbeiten vermieden werden können, um Kräfte zu bündeln und Geld zu sparen.“ So hatte es der damalige Ratvorsitzende, Klaus Engelhardt, vor der EKD-Synode 1997 in Wetzlar formuliert. Dieser Impuls wurde dann im Januar 2002 von Eckhart von Vietinghoff mit einigen „Unfrisierte[n] Gedanken zur verbesserungsbedürftigen Kooperation aller Landeskirchen in der EKD“ aufgenommen. Die Vertiefung der Kooperation zielte nicht auf einen Einheitsbrei. Wann immer mit einem solchen Rezept im Laufe der Geschichte evangelischer Kirchen gekocht wurde, war das eher nicht geistlich nahrhaft. Eckhart von Vietinghoff formulierte es so: „Die Vielfalt ist ein Reichtum des Protestantismus, keine Last, kein Nachteil“. Es geht nicht um Uniformierung, sondern darum, das Einende zu stärken und nach dem zu suchen, was dem Glauben evangelischer Christen Grund und Verheißung gibt. Nun sind die organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen, die bestehende Kirchengemeinschaft zu vertiefen, die Gemeinsamkeit in den wesentlichen Bereichen des kirchlichen Lebens und Handelns zu fördern und so die Gemeinschaft der lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen und damit die Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland zu stärken. Erste Auswirkungen besserer Kooperation unter einem Dach lassen sich bereits erkennen. Dass dies sich seit dem 1. Januar 2007 für jedermann sichtbar vollziehen kann, dafür danke ich stellvertretend für alle, die an diesem Prozess mitgewirkt haben, Klaus Engelhardt und Eckhart von Vietinghoff von Herzen!

II.

Als zweites möchte ich Sie mit hinein nehmen in die Erinnerung an einen Moment, der mich selbst, aber auch andere Mitglieder des Rates in besonderer Weise berührt hat.

Der Rat der EKD ist in diesem Jahr als ganzer nach Israel und Palästina gereist. Er hat damit ein deutliches Zeichen der Solidarität sowohl mit Israel als auch mit den Christen in Palästina gesetzt. In zahlreichen Gesprächen mit hochrangigen politischen und religiösen Vertretern beider Seiten haben die Ratsmitglieder auf beiden Seiten nach Momenten des Friedens und der Versöhnung gesucht. Zugleich hat der Rat das sehr vielfältige evangelische Engagement in Israel und Palästina gewürdigt.

Am Beginn der ungemein großen Zahl von Gesprächen und Begegnungen stand selbstverständlich ein Besuch in Yad Vashem, dem Ort des Gedenkens an die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten Juden. Die Begegnung mit diesem Ort bleibt tief bewegend. „In Demut und Beschämung“ (so Wolfgang Huber) hat der Rat der Opfer gedacht. Er hat bekräftigt, dass die Evangelische Kirche in Deutschland alles in ihren Kräften Stehende dafür tut, dass sich Derartiges nie wiederholt.

In besonderer Weise angerührt hat mich an diesem Ort die „Children Memorial Hall“. Das Denkmal ist ein unterirdischer Raum, in dem das Licht einer einzelnen Kerze brennt. Ihr Schein wird vieltausendfach gespiegelt; die Spiegelungen symbolisieren die Anzahl der 1,5 Millionen jüdischen Kinder, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Im Hintergrund werden die bis heute bekannten Namen, das Alter und der Geburtsort von Kindern und Jugendlichen eingespielt. Die Konfrontation mit der Vielzahl unvollendeter Hoffnungen und abgebrochener Perspektiven trägt in bedrückender Intensität die Zeichen der brutalen Gewalt des Holocaust. An diesem Ort gewinnt die Mahnung, für die Würde des einzelnen Menschen vom Beginn des Lebens an einzutreten, besondere Dringlichkeit. Wir wollen uns als evangelische Christen dieser Verantwortung stellen.

III.

Schließlich: Dieses Jahr stand in der evangelischen Kirche zurecht im Zeichen des 400. Geburtstages von Paul Gerhardt. Er hat nicht nur die Kirchen der Reformation mit einem reichen Schatz an Liedtexten und Trostworten beschenkt. Als überzeugter Lutheraner verkündete er das Evangelium der Rechtfertigung des Gottlosen durch das wohlüberlegte und gestaltete Wort.

Darüber hinaus haben einige Landeskirchen - zusammen mit katholischen Diözesen - eine andere Zeugin des Evangeliums gefeiert: Dieses Jahr brachte die Wiederkehr des 800. Geburtstages von Elisabeth von Thüringen. In einer ermutigenden Weise wurde dieser Geburtstag über Landeskirchengrenzen hinweg und gemeinsam mit unseren katholischen Geschwistern gefeiert, zuletzt noch durch eine Briefmarke und eine Gedenkmünze für die sich die hessischen Kirchen und unser EKD-Büro in Berlin besonders eingesetzt haben. Katholische Christen sprechen von Elisabeth als einer Heiligen. Wir evangelische Christen haben in diesem Jahr immer wieder unterstrichen, dass auch evangelische Christen ein positives Verhältnis zu Heiligen haben. Die Reformatoren haben trotz des ausufernden Heiligenkultes in der damaligen katholischen Kirche positiv festgehalten: „Vom Heiligendienst wird von den Unseren so gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist; außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf.“ (CA XXI)

Wer sich in dieser Weise mit Heiligen beschäftigt, stößt unmittelbar auf die Probleme ihrer Zeit. Wie Elisabeth nach der Herkunft der Lebensmittel auf ihrem Tisch fragte, ob sie denn Raub oder ehrlich erworben seien, wie sie eine Hungersnot in Thüringen großzügig bekämpfte und wie sie von ihrem Vermögen ein Spital in Marburg errichtete, ja, wie sie selbst Aussätzige pflegte, das alles beweist, wie sie sich den Problemen ihrer Zeit buchstäblich hautnah widmete. Sie wäre aber als Sozialreformerin missverstanden. Sie hat hinter den von Not gezeichneten Gesichtern das Antlitz des Gottessohnes gesucht. Sie sah das Ebenbild des Gekreuzigten gewissermaßen als das Licht der Welt aufleuchten, das diese Gesichter erleuchtet, sie durchscheint wie die Kerze ein Transparent.

Als Heilige gelten nach evangelischem Verständnis Christinnen und Christen, die für andere zu einem Vorbild im Glauben und in der Nachfolge Jesu geworden sind, deren Glaubensweg auch für Nachgeborene als so tröstlich, ermutigend wie wegweisend empfunden wurde und wird. Die Beschäftigung mit Elisabeth führt mitten hinein in die Probleme unserer Zeit. Sie fragt uns, wie wir das Antlitz Jesu Christi in den Gesichtern unserer Nächsten entdecken.

Der Leitspruch der Elisabeth ist ein Wort, das so auch für die Arbeit des Rates der EKD stehen können - aber auch weit darüber hinaus. So wünsche ich den Beratungen der Synode, was Elisabeth sich als Leitwort erwählt hat: „Selbst arbeiten, trösten, mit Heiterkeit wirken“: Die Arbeit für die Minderung von Not, Unfreiheit und Gewalt; der Trost für die Betroffenen, die jetzt unter Not, Unfreiheit und Gewalt leiden; und die Heiterkeit, die sich aus einem tragfähigen Gottvertrauen speist, das die letzte Wirklichkeit hinter unseren Realitäten zu schauen vermag.

Dresden, 04. November 2007