Gelingende Zukunft? Verheißung in der Zeit der Erschöpfung

Manfred Kock

11. März 1999, Karlsruhe, anläßlich des Kongresses "Endzeit - Wendezeit - Gotteszeit" der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) Baden-Württemberg

I. Christus spricht: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende".

Verheißung für alle Zukunft

Jahreslosung für 1999 ist das Wort Christi: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Es ist ein Geleitwort für alle, die ihr Leben in der Nachfolge Christi gestalten wollen. Es hilft, auszuhalten in schwierigen Zeiten und macht Mut, für die einzutreten, die Hilfe brauchen. Denn eine stärkere Verheißung kann kaum gedacht werden: Christus sagt uns seine Gegenwart und seinen Beistand zu, und zwar Tag für Tag, für alle Zukunft. Im Glauben an diese Verheißung müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.

  1. In einem jüngst veröffentlichten politischen Traktat, der demnächst in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Stolz auf unser Land" erscheinen wird, beklagt der renommierte amerikanische Philosoph Richard Rorty, daß in intellektuellen Kreisen und an den Universitäten eine "Schule des Ressentiments" gezüchtet wird, in der "die Studenten die Entrüstung über soziales Unrecht ebenso verlernen wie sie jenen Schuß Zuversicht verlieren", den sie nötig hätten, um politisch die Ärmel hochzukrempeln. Ich übergehe hier die Frage, ob diese Diagnose auch für das intellektuelle Klima in Deutschland zutrifft. Jedenfalls fühlte sich Bundespräsident Herzog in seiner Rede am 26. April 1997 in Berlin zu der Aufforderung veranlaßt, ein Ruck müsse durch unser Land gehen. Und er fand für diese Rede großen Beifall von vielen Seiten. Die kleine Wendung: "jener Schuß Zuversicht" ist eine in ihrer schlichten, unprätentiösen Art wunderschöne Formulierung. Wenn uns jener Schuß Zuversicht abgeht, dann verlieren wir die Fähigkeit und die Kraft, uns den Herausforderungen des persönlichen wie des öffentlichen Lebens zu stellen. Dann verkriechen wir uns im Ressentiment und verlieren uns in die weinerlichen Klagen der Tatenlosigkeit.
          
    Jener Schuß Zuversicht - das ist eine andere Wendung für Hoffnung, für Vertrauen in Verheißung. Ohne Hoffnung kann niemand leben und handeln. Das sprechendste Beispiel dafür ist immer noch die Situation der Krankheit. Hoffnung mobilisiert Kräfte der Gesundung; wo die Hoffnung verloren geht, fehlt eine wichtige innere Kraft, um sich der Krankheit entgegenzustemmen. Aber das gilt weit über den Bereich von körperlicher Krankheit und Gesundheit hinaus: Wo keine Verheißungen mehr lebendig sind, da erlahmen die Lebenskräfte.      
  2. Die Bibel ist voll von Verheißungen. Es gibt kein Dokument der Religionsgeschichte, das in vergleichbarer Weise vom Element der Verheißung geprägt ist. Das fängt in den Vätergeschichten des Alten Testaments an: Dabei geht es sowohl um die Verheißung des Beistands für das persönliche Leben als auch um die Verheißung einer Segenskraft, die das persönliche Leben weit übersteigt und die ganze Völkergeschichte erfaßt. Prophetie und Verheißung sind nahezu Synonyme: An der Frage, was von der prophetischen Verheißung schon erfüllt ist und was noch aussteht, haben sich die Wege des Judentums und des Christentums zwar getrennt, aber es ist gerade der Inhalt der noch ausstehenden prophetischen Verheißung, der sie gleichwohl im Innersten zusammenhält. Und schließlich zieht sich das Element der Verheißung wie ein roter Faden auch durch das Neue Testament. Die Jahreslosung für 1999 ist dafür ein leuchtendes Beispiel. Es ist gut, daß gerade für das Jahr 1999, das Jahr vor der Jahrtausend- und Jahrhundertwende, eine Verheißung ausgewählt wurde.
          
    Die Jahrtausendwende produziert zwar keine manifesten apokalyptischen Ängste und keine Endzeithysterie. Sie wird weltweit in einem Taumel von großen Spektakeln und rauschenden Festen gefeiert werden. Mancherorts sind zur Jahrtausendwende schon alle Hotelzimmer und Restaurantplätze ausgebucht. Der Taumel der rauschenden Feiern bedeutet aber keineswegs, daß die apokalyptischen Ängste und die Endzeithysterie vergangen und abgetan, gewissermaßen im Geist der Aufklärung überwunden seien. Sie sind schon noch da, aber sie sind abgesunken, verdrängt und wirken um so nachhaltiger im Untergrund. Anders gesagt, der Geist der aufgeklärten Vernunft hat seinen alten Optimismus verloren; düstere Prognosen vorauszusagen ist normales Geschäft des Verstandes. Ozonloch und Verschmutzung der Meere, Tschernobyl und alle Scheußlichkeiten aus den Schreckensküchen der A-, B- und C-Waffen-Produzenten sind die Kennzeichen einer menschlich machbaren Weltkatastrophe. Das Wort "Apokalypse" gerät aus dem Bereich religiöser Glaubenstradition hinüber in die rationale Weltanalyse. Der italienische Schriftsteller Umberto Eco hat in einem Dialog mit Kardinal Martini gesagt:
          
    "Wir erleben - und sei's auch nur in einer zerstreuten Weise, an die uns die Massenmedien gewöhnt haben - unsere Schrecken der Endzeit ... So daß ein jeder mit dem Gespenst der Apokalypse spielt und es gleichzeitig exorziert, ja es um so mehr exorziert, je mehr er es unbewußt fürchtet und es in Form von brutalen Spektakeln auf die Bildschirme projiziert in der Hoffnung, es dadurch unwirklich gemacht zu haben. Aber die Stärke der Gespenster liegt gerade in ihrer Unwirklichkeit. Ich wage die Behauptung, daß der Gedanke an ein Ende der Zeiten heute typischer für die Welt der Nichtgläubigen als für die der Christen ist ... Die Welt der Nichtgläubigen tut so, als ignoriere sie es, aber sie ist zutiefst von ihm besessen."
          
    Besessenheit verlangt nach Heilung. Zu den heilenden Kräften, die in der christlichen Überlieferung enthalten sind, gehört gerade die Kraft der Verheißung - so wie in dem Wort Christi: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Noch einmal Umberto Eco, der sich selbst einen Ungläubigen nennt:
          
    "Nur wenn man einen Sinn für die Richtung der Geschichte hat ..., kann man die irdische Wirklichkeit lieben und - mit Nächstenliebe - glauben, daß noch Platz für die Hoffnung ist ... Wenn es diese Hoffnung nicht gibt, wäre es gerechtfertigt, daß wir, auch ohne ans Ende zu denken, sein Nahen hinnehmen und uns vor die Mattscheibe setzen ... und warten, daß uns jemand unterhält, während die Dinge laufen, wie sie laufen."
          
    Das Hohe Lied auf Glaube, Hoffnung und Liebe! Und zugleich der verzweifelte Schrei nach Glaube, Hoffnung und Liebe! Selbst die Ungläubigen erkennen, daß ohne einen Sinn für die Richtung der Geschichte niemand die Kraft aufbringt, seinen Nächsten und die Kreatur zu lieben. "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" - diese Verheißung Christi gibt unserem zerbrechlichen und flüchtigen menschlichen Leben das richtige Maß und stellt uns zugleich hinein in eine Perspektive, in der die Angst vor der Vergänglichkeit und Nichtigkeit und Vergeblichkeit menschlichen Schaffens und Wirkens überwunden ist.

 

II. Erschöpfungszustände.

Glaubenskrisen und Kirchenkrisen

Zukunftsängste sind auch unter Christen mächtig. Sie sind ein Zeichen für eine verbreitete Glaubensmüdigkeit. Es gibt nicht nur körperliche, es gibt auch geistliche Erschöpfungszustände. Das ist kein modernes Phänomen. Man braucht nur die Worte des Zweiten Jesaja zu lesen, der als Prophet im babylonischen Exil, also einer Krisen- und Umbruchzeit des Volkes Israel aufgetreten ist: "Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden". Das ist die Botschaft, die wir den Menschen auch in der Glaubens- und Kirchenkrise der Gegenwart schuldig sind. So helfen wir ihnen, daß ihr Leben gelingt.

  1. Die meisten Menschen wissen, was ein Erschöpfungszustand ist. Sie haben es bei sich selbst oder bei ihnen nahestehenden Menschen erfahren. Fortwährende Überbeanspruchung und Überlastung reiben die physischen und nervlichen Kräfte auf und führen zu körperlichen und seelischen Erschöpfungszuständen. Wie die Seele eines Menschen so kann wohl auch eine gesamte Kultur unter Erschöpfung leiden, mit der Folge - und darauf kommt es mir in diesem Zusammenhang an -, daß der persönliche Glaube und das Leben der Kirche zu leiden beginnen. Man diagnostiziert heute eine verbreitete Glaubens- und Kirchenkrise. Religiöses Desinteresse als Lebenshaltung gab und gibt es immer und überall. Als ein kultureller Prozeß aber sind solche Lebenshaltungen für die abendländische Kultur charakteristisch. In keinem Kulturkreis hat dieser Prozeß dieselbe Intensität gewonnen wie in Europa und Nordamerika. Ein Indiz dafür ist, daß in Deutschland derzeit Kirchen geschlossen, aber Moscheen und buddhistische Zentren eröffnet werden. Die Zugewanderten halten an ihrer Religion fest.
          
    Wir müssen die bei uns festzustellenden geistlichen Erschöpfungszustände nüchtern und ehrlich wahrnehmen. Das fängt mit dem Erschrecken über die Unwissenheit und Unbildung in elementaren Glaubensdingen an. Ob im Religionsunterricht, in der Konfirmandenunterweisung oder bei Führungen in Kirchen - die einfachsten Grundlagen des christlichen Glaubens erweisen sich als erklärungsbedürftig, nicht nur bei denen, die den Kirchen fern stehen, sondern auch bei vielen, die der Kirche angehören. Die Initiative der Evangelischen Akademie Thüringen, "Reden über Gott und die Welt" auch von Nichtchristen innerhalb des Gottesdienstes als Predigten halten zu lassen, ist ein nachlässiger, ja fahrlässiger
          
    Umgang mit dem Bekenntnis der Kirche. Und erst recht zeigt die Entrüstung über die Kritik an solchem Versuch: Da wird nichts mehr genau genommen, sondern es ist so ziemlich alles möglich.
          
     Nun kann man solche Dinge ja ändern, kann die wünschenswerte Auseinandersetzung mit Nichtchristen außerhalb der Predigtform und der Gottesdienste führen. Bei gehöriger Anstrengung könnte einiges verändert werden. Aber die Erschöpfung reicht tiefer. Es gibt eine verbreitete Glaubensunsicherheit, eine große Glaubensmüdigkeit, die nicht in Gestalt bedrohenden Zweifels erscheint, sondern als eine Art "Verdunstung des Glaubens". Worauf kann ich mich verlassen? Wieviel ist dran an den anderen Angeboten auf dem Markt der Weltanschauungen? Sind wir in eine Zeit der Gottesfinsternis eingetreten? Und diese Glaubensmüdigkeit und Glaubensunsicherheit schlägt durch auf den Zustand der Kirche. Unter ihren Mitgliedern, aber auch unter ihren hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern macht sich Kleinmut breit, eine Mentalität, die die Kirche in einer scheinbar unaufhaltsamen Abwärtsspirale wähnt.
          
  2. Geistliche Erschöpfungszustände sind kein neues Phänomen. Das macht das Leiden an Glaubensmüdigkeit und Kleinmut in der Kirche nicht geringer. Aber es hilft, den Erschöpfungszustand zu relativieren, ihn nicht als definitives Ergebnis einer historischen Entwicklung zu bewerten, sondern mindestens die Möglichkeit ernst zu nehmen, daß er ein Durchgangsstadium ist. Krisen sind immer auch Chancen. Erschöpfungszustände sind nicht selten eine Schutzreaktion, mit der sich Körper und Seele eine Zeit des Atemholens und der Regeneration verschaffen. Auch die Bibel kennt geistliche Erschöpfungszustände im Leben des Volkes Gottes, aber sie beschreibt seine Geschichte nicht als eine kontinuierliche Entwicklung des Niedergangs und des Verfalls. Die Situation des Volkes Gottes heute ist nicht schlechter - allerdings auch nicht besser - als, um nur zwei biblische Beispiele zu nennen, zur Zeit des Zweiten Jesaja und des Hebräerbriefes.
          
    Die Zeit des Zweiten Jesaja, der als Prophet im babylonischen Exil aufgetreten ist, war geprägt von Krise und Umbruch. "Fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob ... Denn ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre" - so heißt einer der Gottessprüche, den der Zweite Jesaja ausrichtet. Die Formulierungen sind nicht von ungefähr gewählt. Weil allgemein eine Stimmung der Furcht herrschte, weil der Zustand des Volkes Gottes von Dürre und Durst gekennzeichnet war, war solcher Zuspruch und Trost nötig. Was mich immer wieder fasziniert beim Lesen dieses Propheten - und was einer der erstaunlichsten geistlichen Erscheinungen ist: Ausgerechnet im babylonischen Exil, da alles Äußerliche auf den Sieg der babylonischen Götter hindeutete, die Götter der Fruchtbarkeit und der Potenz, während der einzig sichtbare Ort des Gottes der Juden zerstört, die Lade verschwunden, jede Anschaulichkeit von Macht dahin war, - ausgerechnet da bildet sich der theoretische Monotheismus, bildet sich ein Gottesvertrauen gegen allen Anscheins, das aber die Verheißung aufnimmt, glaubt und entfaltet.
          
    Im Neuen Testament ist es vor allem der Hebräerbrief, der auf eine Situation geistlicher Erschöpfung bezogen ist: "Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsere Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen ... Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt" (10,23-25. 35f).
          
  3. Diese Botschaft sind wir den Menschen in der Glaubens- und Kirchenkrise der Gegenwart schuldig. Die Kirche war in der Nachkriegszeit bestimmt von der Erfahrung des Versagens in der nationalsozialistischen Diktatur. Die Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung wurde zum Markenzeichen insbesondere des Protestantismus. Die Kirche sollte nicht noch einmal ihr politisches Wächteramt versäumen. Das brachte eine starke Politisierung des kirchlichen Lebens und Handelns mit sich. Nicht daß dies ein falscher Weg gewesen oder daß es überflüssig wäre. Aber es sind heute andere Schwerpunkte und Akzentsetzungen erforderlich. "Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott" - dieser Eröffnungsruf des Zweiten Jesaja könnte zum Leitwort der Kirche in einer Situation der Glaubens- und Kirchenkrise werden. Das ist eine aufrichtende, frohmachende Botschaft, die den Erschöpften Erquickung verspricht.

 

III. Gnade und menschliche Verantwortung.

Wer ist für das Gelingen der Zukunft zuständig?

Wie kann Zukunft gelingen? In dem Wort "gelingen" stecken zwei Akzente: daß Menschen sich anstrengen, ein gestecktes Ziel zu erreichen, und daß sie den Erfolg nicht selbst gewährleisten können. Mit anderen Worten: Der Mensch hat seine Zukunft nicht in der Hand. In der Frage, ob die Zukunft gelingt, geht es um das Ineinander von persönlicher Verantwortung und Gnade. Wer das Gelingen der Zukunft durch menschliches Handeln, etwa durch technologische Entwicklungen, garantieren will, übernimmt sich, überfordert sich und seine Mitmenschen, verfehlt das menschliche Maß. Alles ist Gnade: In diesem Bekenntnis steckt die Einsicht, daß der Mensch nicht der Schöpfer seiner selbst und der Zukunft ist.

  1. Das Thema, das mir für diesen Vortrag gestellt wurde, fragt: "Kann Zukunft gelingen?". Wer der Frage nachgeht, unter welchen Bedingungen Zukunft gelingen kann, stößt unweigerlich auf das Ineinander von persönlicher Verantwortung des Menschen und Gnade Gottes. Dies beides schließt sich nicht aus, es steht nicht einmal im Gegensatz zueinander, es ist vielmehr aufeinander bezogen, allerdings in einem eindeutigen Gefälle.
          
    Der christliche Glaube ist Ruf in die Verantwortung. Im christlichen Glauben wird nicht der Mensch kleingemacht, um Gott möglichst groß erscheinen zu lassen. Vielmehr hat Gott den Menschen, wie es in einer atemberaubenden Formulierung des 8. Psalms heißt, "wenig niedriger gemacht als Gott". Der Mensch ist gewürdigt, Gottes Mitarbeiter, ja sein Stellvertreter auf der Erde zu sein. Wenn wir uns nur immer im klaren wären, wieviel Gott uns zutraut!
          
    Freilich - der Mensch hat seine Zukunft nicht in der Hand. Das macht gerade die condition humaine aus, daß der Mensch unweigerlich an Grenzen der Machbarkeit stößt. Das gewaltige Anwachsen der menschlichen Verfügungsmacht, wie sie sich mit der modernen wissenschaftlichen und technischen Entwicklung verbindet, führt in dieser Hinsicht manchmal zu Täuschung und Selbsttäuschung. Das biotechnische Zeitalter, in das wir eingetreten sind, ist dafür ein anschauliches Beispiel. Vor allem in den USA häufen sich in erschreckender Weise Stimmen, die den Menschen in der Lage wähnen, allmählich an die Stelle Gottes zu treten und eine Natur und einen Menschen nach planvoll gewähltem Design zu gestalten. Die vergangenen Jahrzehnte der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung haben aber gelehrt, daß die unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Nebenfolgen immer nur in begrenztem Maße beherrschbar sind.
          
    Was die Menschheit entwickelt, scheint immer unübersichtlicher zu werden, ja am Ende doch eher von Zufall und von Chaos bestimmt zu sein, als von einer verantworteten und Übersicht wahrenden Gesellschaft. Die Welt trägt alle Risiken unseres Handels und unserer Unterlassungen. Wenn der Mensch das Gelingen der Zukunft durch sein eigenes Handeln gewährleisten will, dann übernimmt er sich und verfehlt das menschliche Maß. Der Mensch und seine Fähigkeiten kommen von der Gnade Gottes her und sind, damit sie tatsächlich dem Wohl der Menschen und ihrer Mitgeschöpfe dienen, auf Gottes Gnade angewiesen.
          
  2. Das Ineinander von persönlicher Verantwortung des Menschen und Gnade Gottes ist in unserer Kultur durch verschiedene Institutionen und Normen verankert. Nicht die unwichtigste dieser Institutionen ist die Zuordnung von Alltag und Sonntag.
          
    Es geht beim Sabbatgebot nicht nur um das Heilighalten des Wortes Gottes oder die Heiligung des Lebens im allgemeinen, sondern um die Heiligung eines bestimmten Tages. Heiligen heißt: absondern, von den gewöhnlichen Dingen unterscheiden, herausheben. Der Dekalog verankert das Gebot der Feiertagsheiligung im Befreiungshandeln und im Schöpfungshandeln Gottes selbst: "Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn." Nicht die Steigerung des Arbeitseinsatzes, nicht die Verdoppelung der Kräfte vollenden das Werk, sondern die Ruhe von der Arbeit. Das ist für den Menschen Zumutung und Trost zugleich: die Zumutung, daß er den Erfolg seiner Arbeit nicht in Händen hat und gewährleisten kann, aber auch der Trost, daß ihm nicht mehr abverlangt wird, als menschenmöglich ist.
          
    Schon die Begründung des Gebots der Sabbatheiligung durch den Gedanken der Ruhe des Schöpfers von seinem Werk hat eine eschatologische Dimension, das heißt, sie ist auf die zukünftige Bestimmung der Welt und der Menschheit bezogen. Der christliche Sonntag erinnert an die neue Schöpfung, die in Jesus Christus schon Gegenwart ist, aber als vollendete noch aussteht. Die Welt und das Leben der Menschen gehen auf die große Ruhe Gottes zu, mit der alle Mühe und Arbeit, alles Versagen und Scheitern zu seinem Ende kommen. Darin bildet sich das christliche Grundverständnis vom Menschen ab, das besagt: Der Mensch ist nicht das, was er aus sich macht und machen kann.
          
    Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die drohenden Umbrüche in unserer kulturellen Situation, daß die überkommene Zuordnung von Alltag und Sonntag immer stärker aufgelöst wird. Der Mensch, der alles von sich, seiner Arbeit und seinen Leistungen erwartet, hat keinen rechten Sinn mehr für die Institution des Sonntags. Der Sonntag ist deshalb am stärksten dadurch gefährdet, daß immer mehr Menschen mit ihm nichts Rechtes anzufangen wissen. Die Ausweitung der gewerblichen Angebote füllt eine Zeit, die ansonsten als leer empfunden wird. Kirchen und Christen stehen vor der Aufgabe, den christlichen und humanen Sinn des Sonntags verständlich zu machen und ihm neue Attraktivität zu verleihen.
          
  3. Unter den neueren Glaubensbekenntnissen gibt es einen Text, der den Gedanken des Ineinanders von menschlicher Verantwortung und göttlicher Gnade in einer überraschenden, aber eindringlichen Formulierung enthält. Ich meine das Glaubensbekenntnis, das Dietrich Bonhoeffer im Jahr 1942 aufgeschrieben hat:
          
    "Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein."
          
    Das ist noch einmal ein ganz anderer Blick auf das Verhältnis von Verantwortung des Menschen und Gnade Gottes. Bonhoeffer knüpft dabei an die menschliche Erfahrung, nicht zuletzt seine eigene Erfahrung im Widerstand gegen den Nationalsozialismus an, daß wir uns in der Regel unserer Kräfte, unserer Gesundheit, unseres Mutes, unseres Durchhaltevermögens nicht sicher sind und sein können. Und er interpretiert diese Erfahrung im Lichte der Rechtfertigungslehre. Gott gibt uns die Widerstandskraft nicht im voraus, "damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen". Aber die Überwindung der Angst vor der Zukunft ist nur unter dieser Voraussetzung möglich. Der Mensch kann sich seiner selbst nicht sicher sein. Nur das Vertrauen auf die Gnade Gottes überwindet die Angst vor der Zukunft.

 

IV. Den Glauben anziehend machen.

Von der Sendung der Kirche

Im Zeichen zunehmender Säkularisierung versteht es sich nicht von selbst, von Gnade Gottes oder Nähe Gottes oder Verheißung Gottes zu sprechen. Die Zeit der - vielleicht nur vermeintlichen - Selbstverständlichkeiten ist vorbei. Um so mehr Gewicht bekommt die Aufgabe, verständlich, überzeugend und anziehend vom christlichen Glauben zu reden, in der hergebrachten Terminologie: Mission und Evangelisation in den Mittelpunkt der Sendung der Kirche zu rücken. Unmittelbar vor der Jahrtausendwende hat sich die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland für ihre Tagung im November 1999 das Schwerpunktthema "Mission und Evangelisation" vorgenommen. Das ist ein weiteres Indiz dafür, daß die Kirchen den Tendenzen der "Selbstsäkularisierung" energisch gegensteuern.

  1. Wer heute von den Verheißungen der Bibel, vom Trost Jesu Christi oder von der Gnade Gottes spricht, stößt sehr schnell auf das Problem, daß er sich nicht immer, ja immer weniger verständlich machen kann. In der Vergangenheit war es häufig so - aber vielleicht war da auch eine Menge Selbsttäuschung im Spiel -, daß ein Stichwort genügte, um bei den Gesprächspartnern die zugehörigen Assoziationen wachzurufen. Peter L. Berger hat das in den 60er Jahren unter dem Begriff der "Plausibilitätsstrukturen" eindrücklich beschrieben: Alles scheint selbstverständlich. Man braucht nicht ausdrücklich Rechenschaft zu geben über den Inhalt bestimmter Begriffe und Kategorien. Man braucht nicht für bestimmte Überzeugungen zu werben. Man bewegt sich unter Gleichgesinnten und Gleichgestimmten. Diese Zeit der - vielleicht nur vermeintlichen - Selbstverständlichkeiten ist vorbei. Das macht die christliche Existenz anstrengender. Wir merken, daß wir gar nicht geübt sind darin, das, was uns erfüllt, anderen, die nicht gleichgesinnt und gleichgestimmt sind, verständlich, geschweige denn anziehend zu machen.
          
    Aber diese Situation eröffnet auch neue Chancen. Denn in einer Zeit vermeintlicher Selbstverständlichkeiten hat das Verständnis für die Sache des Glaubens erheblich gelitten, vieles ist weggebrochen, abgesunken, versackt. Das ist vermutlich auch die Ursache dafür, daß es gegenwärtig in den Kirchen viel Streit um Grundbegriffe des Glaubens gibt: Sünde, Kreuz, Auferstehung, Rechtfertigung, Predigt, Segen, um nur einige zu nennen. Der Inhalt dieser Begriffe schien selbstverständlich, und unter der Decke der vermeintlichen Selbstverständlichkeit entwickelten sich ganz disparate Deutungen. In mancher Hinsicht sind wir auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen.
          
  2. Vor diesem Hintergrund ist die Beobachtung nicht mehr überraschend, daß die missionarische Aufgabe wieder in den Mittelpunkt des kirchlichen Interesses und Handelns gerückt ist. Noch vor zehn Jahren waren "Mission" oder "Evangelisation" Reizworte. Während die einen damit die zentrale Aufgabenstellung der Kirchen und Christen beschreiben wollten, fürchteten andere, damit sei eine Engführung und der Marsch in ein geistliches Ghetto verbunden. Die Situation hat sich vollständig gewandelt. Sicher begegnen die Begriffe "Mission" und "Evangelisation" immer noch mancherlei Vorbehalten. Aber die Sache selbst ist nicht mehr strittig. Darum wird es sich im übrigen auch empfehlen, sich bei diesem Thema einer Sprache zu bedienen, die nicht unnötig innere Abwehr produziert und "den Rolladen heruntergehen" läßt. Der Sache nach gemeint ist: Einladung zum Glauben. Eberhard Jüngel hat es kürzlich in einem Zeitungsinterview so gesagt: "Mission heißt, die christliche Botschaft so zu bezeugen, daß sie im besten Sinne des Wortes attraktiv wird ... Die Kirche Jesu Christi existiert auch da, wo nur zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Diese aber werden sich nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern das Evangelium weitersagen und aller Welt bezeugen, welche Lust es ist, ein Christ zu sein."
          
  3. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland wird auf ihrer Tagung im November 1999 in Leipzig das Schwerpunktthema "Mission und Evangelisation" verständlich, überzeugend und anziehend darzustellen haben. Mit dem Ort Leipzig hat das im übrigen nichts zu tun, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß dies ein ausschließlich oder vorrangig ostdeutsches Thema wäre. Die Situation in ganz Deutschland, ja in ganz Europa ist so beschaffen, daß die Kirchen neu lernen müssen, zum Glauben einzuladen.
          
    Wer die Schwerpunktthemen der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren durchmustert, wird dabei feststellen, daß die Fragen der öffentlichen Verantwortung der Kirche lange im Vordergrund standen: Demokratie, Entwicklungspolitik, Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik, Wirtschaftsordnung, Europa usw. Nicht daß diese Themen unwichtig waren oder in Zukunft sein werden. Aber gerade mit ihrer vorrangigen Wahl verbindet sich eine Gefahr, auf die Kirchen und Christen zunehmend aufmerksam geworden sind, nämlich die Gefahr der Selbstsäkularisierung. Kirchen und Christen müssen ihre Sache, die Sache mit Gott, ins öffentliche Gespräch bringen. Wo sie politische Fragen thematisieren, wofür es aus dem christlichen Glauben heraus gute und zwingende Gründe geben kann, dann müssen sie deutlich machen, von welchen Glaubensüberzeugungen her sie zu bestimmten politischen Schlußfolgerungen kommen. Dann kann eine politische Intervention ihrerseits zu einem Zeugnis des Glaubens werden.

 

V. Protestantismus und Kultur.

Zur Erneuerung ihres Verhältnisses im nächsten Jahrhundert

Wenn die Kirchen die Botschaft von Gottes Verheißung und die Einladung zum Glauben ins Zentrum ihrer Aufgaben rücken, dann ist das kein Rückzug in die geistliche Nische. Vielmehr werden gerade so die Voraussetzungen geschaffen, daß das Christentum wieder eine vitale Kraft wird, die die Kultur prägt und kritisch begleitet.

  1. Vor einer guten Woche habe ich auf einer Pressekonferenz in Berlin zusammen mit Bischof Klaiber von der Vereinigung Evangelischer Freikirchen und Bischof Huber ein Impulspapier vorgestellt, das Grundlage eines Konsultationsprozesses zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert sein soll. Der Konsultationsprozeß ist als ein evangelischer Beitrag zur bevorstehenden Jahrhundert- und Jahrtausendwende gedacht. Am Ende dieses Jahrhunderts und Jahrtausends vertreten manche Beobachter die Auffassung, das Christentum sei dabei, seine kulturprägende Kraft einzubüßen und kulturell irrelevant zu werden. Die Kirchen müssen solche Einschätzungen ernst nehmen, aber sie haben gute Gründe, ihnen entgegenzutreten. Die Kultur ist auf die prägenden und kritischen Kräfte des christlichen Glaubens bleibend angewiesen, und der christliche Glaube wird seinerseits nur im lebendigen Austausch mit der gegenwärtigen Kultur verständlich und zugänglich.
          
    Thematisch sind Impulspapier und Konsultationsprozeß eine Weiterführung von Überlegungen, die in der Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1997 "Christentum und politische Kultur. Über das Verhältnis demokratischen Rechtsstaates zum Christentum" entfaltet worden sind: Welche Bedeutung hat das Christentum im nächsten Jahrhundert für Kultur und Gesellschaft? Sind die Prägekräfte des Christentums, wie manche meinen, ein "Auslaufmodell", oder gewinnen sie nicht vielmehr angesichts der bedrängenden Frage danach, was die Gesellschaft zusammenhält, erneut Relevanz? In diesem Sinn ist das Vorhaben eine Antwort auf aktuelle Herausforderungen in unserer Gesellschaft an der Schwelle zum neuen Jahrhundert.
          
    Methodisch orientiert sich das Vorhaben an dem Konsultationsprozeß zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, der zwischen 1994 und 1997 stattgefunden hat. Dabei ist sichtbar geworden, wie positiv die Mitglieder der Kirchen und die gesamte Öffentlichkeit auf die Möglichkeit breiter Partizipation reagierten und wie stark die öffentliche Wirkung eines kirchlichen Wortes davon profitiert, daß es aus einem breiten Diskussions- und Dialogprozeß hervorgeht. Niemand kann realistischerweise erwarten, daß der Konsultationsprozeß zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur quantitativ die Größenordnung des Konsultationsprozesses zur wirtschaftlichen und sozialen Lage erreicht. Aber Überraschungen sind möglich. Das Thema Kultur ist allerorten in den Vordergrund getreten, nicht nur in der Etablierung eines Beauftragten der Bundesregierung für kulturelle Angelegenheiten. Ich hoffe darauf, daß die Gliedkirchen und ihre Gemeinden, Einrichtungen und Werke, aber auch die Vertreter anderer christlicher Kirchen sowie die Repräsentanten von Gesellschaft und Kultur das Impulspapier und den Konsultationsprozeß als Möglichkeit zum Gespräch und zum Dialog nutzen.
          
  2. Das von einer Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Bischof Huber erarbeitete Impulspapier entfaltet das Verhältnis von Protestantismus und Kultur anhand von acht exemplarisch ausgewählten Begegnungsfeldern: Religion, Gedenkkultur, Kunst, Jugendkultur, Bildung und Wissenschaft, Medien, Sport und Spiel, Alltag und Sonntag. In seinem abschließenden Kapitel markiert es drei wesentliche Aufgaben:
         
          - Für die Kirchen und Christen selbst kommt es darauf an, die überlieferte kulturelle Gestalt des Glaubens zu pflegen und sich im Kontext der heutigen Kultur um eine neue Gestaltwerdung des Glaubens zu bemühen. Der christliche Glaube muß sich jeweils neu inkulturieren. Dies ist ein Vorgang, der sich nicht selten mit Streit verbindet. Ob es um Gottesdienstformen, Kirchenmusik, Kirchenbau, theologische Ansätze oder Bekenntnisformulierungen geht - immer wird bei dem Vorgang der Inkulturation des Glaubens eine Auseinandersetzung darüber geführt werden müssen, ob eine neue Ausdrucksform den überlieferten Glauben bewahrt oder an den Zeitgeist verrät. Pflege von Tradition ist nicht mit dem ängstlichen Beharren auf dem Althergebrachten zu verwechseln, und die Zuwendung zur Gegenwartskultur muß nicht mit Borniertheit gegenüber der Tradition erkauft werden.
         
          - Die evangelischen Kirchen sehen sich als kritische Begleiterinnen der kulturellen Entwicklung. Sie wenden sich dabei sowohl gegen eine moralisierende Kulturverteufelung als auch gegen einen rückwärtsgewandten Kulturpessimismus. Wohl aber benennen sie Maßstäbe, anhand derer die Menschen die Geister unterscheiden sollen. Dazu zählen u.a. der Respekt vor der Ehre Gottes und die Achtung vor der gleichen Würde aller Menschen.
         
          - Auch in Zukunft wollen die evangelischen Kirchen als ein besonderer Teil der gesamten christlichen Tradition die gesellschaftliche Kultur prägen. Die Qualität menschlichen Zusammenlebens entscheidet sich nicht allein an der wirtschaftlichen Entwicklung und ihren politischen Rahmenbedingungen. Sie hängt auch stark von kulturellen Voraussetzungen ab. Die von der Reformation neu entdeckte Botschaft von der christlichen Freiheit wird auch im dritten Jahrtausend ein unentbehrlicher Beitrag zur Kultur einer freiheitlichen Gesellschaft sein.

 

VI. "Unsere Zeit in Gottes Händen"

Das Motto der evangelischen Kirche für die Jahrtausendwende

Als Motto für die Jahrtausendwende haben die evangelischen Kirchen gewählt: "Unsere Zeit in Gottes Händen". In diesem Motto ist gebündelt, was Kirchen und Christen zur Erfüllung des Wunsches beitragen können, daß die Zukunft gelingen möge: Gott ist Herr der Zeit. Er begann mit Christi Geburt eine neue Zeit. Er gibt der Zeit ihr Ziel.

  1. Auch auf dem Umschlag des Impulspapiers, das die Grundlage für den Konsultationsprozeß von Protestantismus und Kultur bildet, ist das Motto abgedruckt, das die evangelischen Kirchen für die Begehung der Jahrtausendwende gewählt haben: "Unsere Zeit in Gottes Händen". Das Datum 2000 n.Chr. blickt zurück auf 2000 Jahre mit Christus und blickt zugleich voraus in eine Zukunft, für die uns Christus verheißen hat: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."
          
    Die Jahrtausendwende ist einerseits nur ein kalendarisches, äußerliches Datum. Aber andererseits lagern sich an dieses äußerliche Datum, weil die runde Zahl eine geradezu magische Anziehungskraft entfaltet, viele Fragen und Zukunftsängste an. Darum ist das Motto für die Jahrtausendwende eine notwendige und hilfreiche Botschaft: Gott hat die Zeit in seinen Händen. Im Glauben an diese Verheißung müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.
          
  2. Gott ist der Herr der Zeit, so glauben wir es. Er lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er setzt Anfang und Ende. Alle Zeit ist in seinen Händen. Und sie ist den Menschen als Gabe aus seinen Händen gegeben. "Kauft die Zeit aus", ermahnt die Bibel deshalb. Nutzt sie zum Guten. Freut euch eurer Lebenszeit, ehe die Tage des Abschieds kommen. Bedenkt, daß jedes Jahr ein Jahr des Herrn ist. ANNO DOMINI lebt ihr, im alten und im neuen Jahrtausend. Dem Herrn der Zeit seid ihr verantwortlich.
          
    "Gott begann eine neue Zeit." "Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn", heißt es in der Bibel. Mitten in der Zeit, die wie ein Kreislauf des Immer-Gleichen erscheint, hat Gott mit einer neuen Zeit begonnen, die unlöslich mit dem Namen Jesus Christus verbunden ist. Das Jahr 2000 ist das Jahr 2000 nach Christi Geburt. Mit Jesus Christus hat die Zeitenwende begonnen. Der gekreuzigte und auferstandene Christus ist zu allen Menschen gesandt, damit sie unter seinem Wort und mit der Kraft seines Geistes lernen, in Freiheit und Gerechtigkeit vor Gott zu leben.
          
    Gott gibt der Zeit ihr Ziel. Er lenkt die Geschichte auf sein Ziel, das Menschen von sich aus nicht erreichen können: auf den neuen Himmel und die neue Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt. Darum gibt er in die Zeit das Wort von der Ewigkeit, der neu qualifizierten Zeit Gottes. Darum weckt er die Hoffnung auf den endgültigen Sieg der Güte Gottes.