Im Medizinstudium über Tod und Sterben nachdenken

"Spiritual Care" sensibilisiert für Glaubensfragen bei der Behandlung Sterbender

28. Januar 2011

Duftlampe im Zimmer eines Patienten. (Foto: epd-bild / Falk Orth)

Die 15 Studentinnen und Studenten, die in dem kahlen Hörsaal des Münchner Uni-Klinikums Großhadern sitzen, wirken ein wenig skeptisch. Kein Wunder: Der evangelische Theologe Traugott Roser, ihr Professor für "Spiritual Care", hat sie gerade aufgefordert, anhand verschiedener Postkartenmotive ihr persönliches Verständnis von Spiritualität zu erklären. Nicht gerade das, was man sich unter einer Medizin-Vorlesung vorstellt.

"Die meisten Medizinstudenten verbinden den Begriff Spiritualität mit 'Kirche' oder 'Esoterik' und kommen eher mit einer ablehnenden Haltung in den Kurs", weiß Roser aus Erfahrung. Schon seit 2004 gehört Palliativmedizin verpflichtend zum Stundenplan eines jeden Münchner Medizinstudenten. "Spiritual Care" (etwa: spirituelle Pflege) ein Fachbereich davon.

Das Ziel ist es, den Nachwuchsmedizinern das Bewusstsein zu vermitteln, dass es bei todkranken Menschen so etwas wie einen "spirituellen Schmerz", aber auch innere Kraftquellen geben kann, die in einer guten Behandlung berücksichtigt werden sollten. Damit fällt der Kurs aus dem Rahmen: "Es gibt im verschulten Medizinstudium sonst keinen Platz, um sich mit Sterben und Tod zu befassen", sagt Roser.

400 Studenten absolvieren den Kurs im sechsten und im neunten Semester. Matthias Mutke ist einer von ihnen. "Der Kurs baut ein Tabuthema ab", sagt der 23-Jährige. Viele Kommilitonen hätten ein großes Bedürfnis, über Fragen rund ums Sterben nachzudenken. Er selbst hat in seinen Praktika schon sterbende Menschen begleitet. "Ich weiß also, wie das ist", sagt Mutke, "aber nach diesem Kurs werde ich mich eher trauen, offen mit den Patienten zu reden."

Seine Kommilitonin Johanna Meier nimmt die zusätzlichen Stunden im vollgepackten Medizinstudium gerne in Kauf. "Schließlich stehen wir als Ärzte später vor Menschen, die sterben werden." Damit umzugehen könne man in dem Kurs lernen.

Traugott Roser gibt seinen Studenten ein einfaches Frageschema an die Hand, das sie in das Arzt-Patientengespräch einbauen können: Bezeichnet sich der Patient im weitesten Sinne als gläubig? Wie wichtig ist ihm das? Und soll es in der Behandlung berücksichtigt werden? "Danach kann der Arzt entscheiden, ob er sich zuständig fühlt oder lieber jemand anderen - etwa einen Seelsorger - hinzuzieht", sagt Roser. Kein Arzt müsse Glaubensgespräche führen, denen er sich nicht gewachsen fühlt. Die Möglichkeit dafür zu öffnen, sei aber seine Aufgabe: "Der Arzt ist oft die einzige Vertrauensperson, die ein Thema wie Spiritualität ansprechen kann."

Auf fünf Jahre ist die Stiftungsprofessur für "Spiritual Care" befristet. Roser und sein Kollege Eckhard Frick wollen die Zeit nutzen, um weitere wissenschaftliche Studien über den Nutzen ihrer Disziplin zu erstellen. Das ist nötig, denn viele Mediziner betrachten die Forschung am Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin immer noch mit Argwohn.

Das wird sich möglicherweise erst ändern, wenn Matthias Mutke und seine Kommilitonen einmal in Leitungspositionen nachrücken. Mutke jedenfalls findet es spannend, dass man mit solidem wissenschaftlichem Handwerkszeug auch einem so diffusen Thema wie Spiritualität beikommen kann. "Die Wissenschaft liefert die Resultate für einen Leitfaden ärztlichen Handelns", doziert der angehende Arzt. Und zwar auch bei Fragen des Sterbens und des Glaubens.

(epd)