Erinnerung als Abschied

Sterben ist ein Teil des Lebens

21. November 2008


Er steht am Grab. Es ist abgeräumt, mit Tannengrün bedeckt, ein kleines, herbstliches Gesteck liegt in der Mitte. Nicht mehr die farbige Pracht blühender Blumen wie im Sommer schmückt die letzte Ruhestätte, sondern einzig der herbstliche Schmuck, der auch diesen Ort über den Winter bringen soll. Alle Nachbargräber haben schon ein Grabmal: In Stein gehauene Erinnerung an Menschen, die nicht mehr leben; Namen, Geburts- und Sterbedatum, dazu manchmal ein Engel oder ein aufgeschlagenes Buch, ein Zitat aus der Bibel oder das Symbol des Handwerks, dem der Verstorbene nachgegangen ist. Nur dieses Grab hat immer noch das schmucklose Holzkreuz, das kurz nach der Beerdigung aufgestellt worden ist. Die Informationen sind die gleichen, aber die Wunde ist noch zu offen, um sie schon in Stein hauen zu lassen.

Menschen erzählen ihm, dass sie zu dem Grab kommen, um mit der Vermissten zu reden. Ein Grab ist ein wichtiger Ort, hat er in diesen Monaten gelernt: der Ort des Abschiednehmens, der Ort des Trauerns. Er hat auch gelernt, dass Trauer für jeden Menschen anders aussieht. Um sich zu erinnern, braucht er dieses Grab nicht. Die Gegenwart derer, die nicht mehr lebt, findet an anderen Stellen statt – aber es braucht diesen Ort, um zur Ruhe zu kommen und um das Leben zu ahnen. Im Sommer ist das leicht: die blühenden Blumen erinnern an das erfrischende Lachen, die schwärmenden Mücken an das bewegende Leben. Jetzt ist November, das Grab ist für den Winter vorbereitet, wirkt still, fast tot. Und hat doch die Gewissheit, dass es im kommenden Frühjahr wieder erblühen wird.

Am Ewigkeitssonntag, dem letzten Sonntag im Kirchenjahr, erinnern sich die Menschen derer, die im vergangenen Jahr verstorben sind. In den meisten Gottesdiensten werden die Namen der Verstorbenen aus der Kirchengemeinde verlesen. Die Stille dieser Tage und die Erinnerung an die, die nicht mehr leben, gehören zum Jahreskreis und zum Leben: Sie erinnern, dass der Tod zum Leben gehört. Sie widerstehen der Neigung, das Sterben zu verdrängen. Diese Zeit fordert auch neu auf, über eine Kultur der Sterbebegleitung nachzudenken.

Die Würde des Menschen hört mit dem Sterben und im Tod nicht auf. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ (Jes. 43,1) Der Ewigkeitssonntag kann uns dabei helfen, uns daran zu erinnern. Die Namen der Toten werden genannt. Die Angehörigen werden eigens zum Gottesdienst eingeladen. Die Gräber der Verstorbenen werden besonders geschmückt. Tod und Leben gehören unauflöslich zusammen. Beide gehören zur Würde des Menschen.