Erntedank ist jeden Tag

Nicht nur am Erntedankfest danken

04. Oktober 2008


„Herr, hab Dank für diese Speise, uns zur Kraft und Dir zum Preise,“ so klang es zu Hause vor jedem Essen. Allerdings mit gewissen Einschränkungen: Gebetet wurde in der Kindheit, wenn warmes Essen auf dem Tisch stand. Gebetet wurde nicht, wenn in der Öffentlichkeit gegessen wurde: nicht im Restaurant, nicht in der Kantine und auch nicht, wenn bei Freunden eingeladen war. Was von Kindesbeinen an eingeübt wurde, hat sich gehalten: Gebetet wird vor jedem warmen Essen, wenn zu Hause gegessen wird. Nur: Der Beruf hat es mit sich gebracht – zu Hause wird kaum noch gekocht und gegessen. An Bürotagen geht es schnell mal mit den Kollegen in die Kantine und an Tagen unterwegs gibt es zwischen zwei Terminen schon auch mal einen Döner aus der Hand oder einen kleinen Zwischenstopp bei einer Fastfoodkette. Und gebetet wird nicht.

Mancher mag den Kopf schütteln: Beten für Glukosesirup, Emulgator, Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe, E 205, Aromastoffe, Auszugsmehl, etwas Rindfleisch, ein Salatblatt, Salz, Zucker und Fette, vielleicht auch noch ein wenig Käse, eine Scheibe von einer Zwiebel und eine zermatschte Tomate? All dies findet sich in einem „Hamburger“ wieder. Kritiker behaupten zudem, dass für die Produkte der Fastfoodketten Urwälder abgeholzt werden, um billiges Weideland zu bekommen. Staaten, in denen Menschen nicht ausreichend zum Essen haben, exportieren Lebensmittel, damit die Menschen in den westlichen Industriestaaten Nahrungsmittel im Überfluss haben. Das schnelle Essen in westlichen Regionen, so wird behauptet, sei eine Verhöhnung der Natur und des ausgebeuteten Menschen. Dann doch lieber nicht beten.

Trotzdem: Dass wir täglich zu essen haben, ist ein Geschenk. Sogar im doppelten Sinn: Es ist ein Geschenk Gottes, der unsere Bitte erhört wird: „unser täglich Brot gib uns heute“, und es ist ein Geschenk durch die Leistung all der Menschen, die dafür sorgen, dass wir täglich essen und trinken können. Entscheidend ist, dass es genug Nahrung gibt – erschreckend das, was wir daraus machen. Vielleicht hat es auch darin seinen Sinn, dass auf die Bitte nach dem täglichen Brot im Vaterunser die Bitte um Vergebung unserer Schuld folgt. Und dafür, dass in manchen Momenten auch individueller Hunger auf die schnelle zwischen zwei Terminen gesättigt werden kann, hilft auch dem Leben, wie es in unseren Breitengraden gestaltet ist.

Auch bei den Mahlzeiten zu beten, bei denen es in der Familie nicht eingeübt wurde – etwa in der Kantine beim Essen mit den Kollegen, an der Bude mit einer Schale Pommes-Frites und einer Currywurst in der Hand oder auch beim Italiener um die Ecke kann dann doppelten Sinn bekommen: Den Dank an Gott, dass er zu essen gibt. Erntedank ist eben nicht nur am ersten Wochenende im Oktober, sondern jeden Tag. Aber zudem ist dieses Gebet auch die Mahnung, dass Essen vermutlich nicht nur zur schnellen Sättigung gedacht war, sondern jedes Essen ein kleines Fest sein kann und alle sich – wenigstens ab und zu – Zeit nehmen sollten, so zu essen, wie es sich der Psalmdichter vorgestellt hat: „Gepriesen seist du, Gott, der du schaffst die Frucht des Weinstocks.“ Dann wird nicht nur das kurze Gebet zu Beginn der Mahlzeit zum Erntedank, sondern die gesamte Erfahrung miteinander zu essen und zu trinken.