Erntedank

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

02. Oktober 2008


Erntedank gehört zu den großen Festen in Stadt und Land. Im Evangelischen Johannesstift in Spandau wird das Erntedankfest traditionell eine Woche vor dem eigentlichen Termin gefeiert. Auf dem Gelände dieser großen diakonischen Einrichtung fanden sich am vergangenen Sonntag 40.000 Menschen zusammen, um das Erntedankfest als fröhliches Volksfest zu feiern.

In den nächsten Tagen begehen wir in Stadt und Land am Freitag den Tag der deutschen Einheit und am Sonntag das Erntedankfest. In den Kirchen werden viele Altäre geschmückt sein mit den Gaben von Feldern und Wiesen, aus Äckern und Gärten. An vielen Orten wird in alter Tradition eine Erntekrone durch den Ort zur Kirche getragen.

Das Fest heißt nicht Erntegier und auch nicht Erntestolz, sondern Erntedank. Nicht Gier bestimmt die Gaben. Erntedank ist ein Zeichen gegen die hemmungslose Gier, die in der Steigerung von Rendite und Profit kein Halten kennt. Doch wo die Erwartungen ins Maßlose gesteigert werden, ist der Absturz entsprechend tief. Das erleben wir in diesen Tagen bei den schwersten Erschütterungen, die seit achtzig Jahren über die Finanzmärkte der Welt gekommen sind. Der Tanz ums Goldene Kalb fand nicht nur in der Wüste des Sinai statt. Heute werden diesem Goldenen Kalb ungleich größere Opfer gebracht. Nur ein einziges Gegengewicht gegen die Maßlosigkeit dieses Tanzes kann ich erkennen. Die Dankbarkeit ist das Gegengewicht. Dass wir Gott loben und mit unseren Nächsten teilen – das ist die Alternative zum Tanz um das Goldene Kalb.

Nicht Erntegier und auch nicht Erntestolz! Auch nicht der Stolz auf das, was ich selbst geschafft habe, bestimmt diesen Tag; er ist bestimmt von dem Dank dafür, dass wir geschaffen sind. Wir können nicht zulassen, dass der Dank gestrichen wird und nur noch von einem Erntefest die Rede ist. Der Dank nimmt wahr, was ich empfange, ohne es selbst herstellen können: ein Leben in Würde, Freiheit und Vertrauen. Nicht nur für unser persönliches Leben ist das wichtig. Auch unsere Gesellschaft, unsere Demokratie lebt davon.

Immer mehr Menschen fragen, wie es mit unserer Gesellschaft weitergehen wird. Sie fragen, wie Würde, Freiheit und Vertrauen unsere gemeinsame Zukunft prägen. Und sie merken: Das Danken macht zukunftsfähig. Es erinnert an das Lebensnotwendige. Es hilft uns dabei, nicht nur an uns selbst zu denken. Es ruft dazu auf, die Würde des anderen zu schützen, für die Grundlagen der gemeinsamen Freiheit einzutreten und ein Vertrauen zu wagen, das verbindet.

Der Erntedank-Blick ist für jeden Dialog über die Zukunft nötig. Dieser Blick richtet sich auf die Grundlagen, auf denen wir ein Leben in der Verantwortung vor Gott und den Menschen führen können. Dass diese Grundlagen sich erneuern, darauf kommt es an. Dafür ist die Dankbarkeit der erste Schritt.