„Leicht und froh, unbeschwert und natürlich“

Die Tänzerin Gret Palucca gab dem Tagungsraum der Synode den Namen

01. November 2007


„Seit ich tanze, improvisiere ich. Ich beginne. Ich stehe im Saal und höre eine Musik, mehrere Musiken. Ich habe nicht die Absicht, dieses oder jenes zutun. Ich bewege mich wie von selbst. Dann gibt es einen Punkt, wo der Körper auf einen Rhythmus, ein Stück Melodie reagiert, im Gleichklang oder im Gegensinn.“ Diese Sätze stehen an der Seitenwand des Großen Saales im Internationalen Congress Center Dresden inmitten einer Lebensbeschreibung der deutschen Tänzerin Gret Palucca. In diesem Saal wird ab Sonntag, 4. November, die 10. Synode der EKD tagen. In der ursprünglichen Planung des Internationalen Congress Center Dresden sollte der große Saal nach der 1902 in München geborenen und 1993 in Dresden gestorbenen Ausdruckstänzerin benannt werden. Auf den Hinweistafeln im Congress Center heißt er prosaisch „Großer Saal“, doch an der Seitenwand wird das Leben der lange Jahre in der Stadt an der Elbe lebenden und lehrende Tänzerin Gret Palucca erzählt. Die Buchstaben an der hellbraunen Wand sind so eingefärbt, dass schemenhaft die Umrisse einer unbändig lustvoll Tanzenden erscheinen – so wie Gret Palucca getanzt hat: leicht und froh, unbeschwert und natürlich.

Um Tanz wird es im Plenum der Synode in den kommenden Tagen kaum gehen. Die 120 Mitglieder der Synode werden den Bericht des Rates diskutieren. Sie stellen sich der Frage, was es heißt evangelisch Kirche zu sein. Der Haushaltsplan für das kommende Jahr wird besprochen. Gewichtige Themen für die Zukunft der evangelischen Kirche. Musik wird in den Sitzungen von Sonntag bis Mittwoch manchmal erklingen: bei den Andachten wird ein Choral angestimmt, die Posaunenbläser der Synode werden zum Ende der Sitzungspausen die Tagungsteilnehmenden einladen, ins Plenum zurück zu kommen. Sicher wird dabei keiner beschwingt das Tanzbein ausstrecken. Die Erinnerung an die große Tänzerin auf der Seitenwand und der Blick auf die am Congress Center vorbeiströmende Elbe bringen andere Saiten des Lebens zum Klingen als die gedruckten Vorlagen und die Berichte aus Einrichtungen und Werken der Kirche. Alles zusammen ist das Leben, elektrisierend nicht nur der Tanz von Gret Palucca – wie ein Kritiker geschrieben hat – sondern genau so die Verantwortung der Synodalen für Kirche und Gesellschaft.

Gret Palucca hat in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Dresden bei Mary Wigman Ausdruckstanz gelernt, so ist in ihrer Lebensbeschreibung im Großen Saal zu erfahren. Weil sie sich über die Choreographie ihrer Lehrerin hinwegsetzt, kommt es zum Bruch zwischen den beiden, doch wie ein Lauffeuer verbreitet sich der Ruf von dem jungen Talent. Über ihren Mann Friedrich Bienert pflegt sie engen Kontakt zu den Bauhaus-Künstlern. Von Nationalsozialisten wurde sie zuerst als „deutscheste Tänzerin“ gefeiert, dann aber haben die braunen Machthaber ihr wegen ihrer jüdischen Abstammung das Unterrichten untersagt. In den 50er Jahren kam es in der damaligen DDR immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen SED-Kulturfunktionären und Gret Palucca. Zur Einigung sei es gekommen, weiß der Text an der Saalwand, um sie in der DDR zu halten.

Mit der Lebensbeschreibung der Tänzerin an der Seitenwand wird deutlich, wie auch das Leben und Wirken einer Tänzerin von gesellschaftlichen Wirklichkeiten geprägt ist. Wirklichkeiten lassen sich nicht trennen – weder bei einer Synodaltagung noch in einem Künstlerleben. Und so klingt an, was der Maler Lásló Moholy-Nagy über die Künstlerin: „Sie ist für uns das gefundene Gesetz der Bewegung...“. Bewegung will die Synode auch in die Kirche bringen.