Türchen für Türchen - Der Adventskalender boomt

"Adventskalender zeigen die Vorfreude auf das größte Geschenkfest des Jahres"

30. November 2006


Mehr als hundert Jahre ist der Adventskalender alt, es gibt ihn in unzähligen Formen und mit zahlreichen Füllungen. Nicht nur die Wirtschaft, auch die Marketing-Abteilungen der Städte haben ihn entdeckt und schmücken gerne Rathäuser und andere repräsentative Bauten als Riesenkalender. Selbst für die vierbeinigen Hausgenossen sind Adventskalender im Angebot, wie die interessierte Öffentlichkeit spätestens vor zwei Jahren erfuhr, als die damalige Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf eine eigene Produktlinie für Hunde herausbrachte.

Für den Volkskundler Gunther Hirschfelder ist der Adventskalender ein lohnendes Forschungsobjekt, weil er etwas über die Gesellschaft verrät. Seine Ursprünge liegen im 19. Jahrhundert und damit in einer Zeit, in der das Weihnachtsfest in die bürgerlichen Wohnzimmer einzog und im Familienkreis unter dem Tannenbaum gefeiert wurde. Eine protestantische und städtische Erfindung: Der eigentliche Ort des Christfests war bis dahin - und in katholischen sowie ländlichen Gebieten auch noch länger - die Kirche und der Gottesdienst.

Wenn die Adventszeit naht, wird es beim Sellmer Verlag in Stuttgart richtig stressig. Das Familienunternehmen verkauft nur Adventskalender - so spezialisiert ist sonst kein Verlag in Deutschland. Das Geschäft läuft seit der Gründung vor 60 Jahren bestens, berichtet Annette Sellmer. Der Umsatz wächst beständig.

"Einen enormen Aufschwung gibt es vor allem bei den Werbekalendern", sagt Sellmer. Große und kleine Unternehmen, Fußballmannschaften oder Rockbands bestellen Kalender mit eigenen Motiven für Kunden, Mitarbeiter und Fans. Und der Export boomt ebenfalls: "Die USA und England sind unsere wichtigsten Märkte."

Der Adventskalender, sagt Hirschfelder, "nimmt die Bescherung von Weihnachten ein bisschen vorweg." Türchenweise, in kleinen Häppchen und in Erwartung des "sakralen Highlights", der Geburt des göttlichen Sohnes, der das Geschenk Gottes an die Menschheit ist.

Der heutige Boom des Kalenders hat für den Forscher allerdings wenig mit diesem religiösen Sinngehalt zu tun. "Weihnachten ist ein weltliches Fest geworden, die Geburt Jesu Christi ist doch heute kein Thema mehr." Die Funktion der weihnachtlichen Bräuche habe sich geändert. Sie sorgen für eine zeitliche Strukturierung des Jahres und umrahmen das "Fest der inszenierten Familie".

In den damit verbundenen Verwertungssog ist nach Hirschfelders Ansicht auch der Adventskalender geraten: "Er ist von etwas Besonderem zu einem Wegwerfartikel geworden." Wie das Schenken insgesamt, das "inflationär und nichts Besonderes mehr" sei, sondern eher eine Last - vor allem in der stressreichen Adventszeit.

"Adventskalender zeigen die Vorfreude auf das größte Geschenkfest des Jahres", sagt Brigitte Jung vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt. Die ersten spiegelten pädagogische Prinzipien ihrer Zeit. Jung betreut eine Sammlung von rund 200 Adventskalendern von den Anfängen um 1910 bis zur heutigen Zeit und plant eine Ausstellung für das kommende Jahr.

Adventskalender standen Jung zufolge von Anfang an im Zeichen des Handels. Auf einer Adventskalender-Reklame der Münchner Firma Reichhold und Lang von 1935 heißt es etwa: "Für anspruchsvolle Kreise" - mit dem nötigen Kleingeld. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Kalender millionenfach verkaufte Ware.

Weil er heute massenhaft verkauft wird, ist der Adventskalender eigentlich "total out", glaubt der Volkskundler Hirschfelder. Doch Annette Sellmer bezweifelt das: "Viele wissen tatsächlich nicht mehr, warum Weihnachten gefeiert wird. Aber die Bräuche sind nach wie vor beliebt." Offenbar nicht nur unter den Menschen, denen die christliche Religion nahe steht: Der Sellmer Verlag verkauft seine Kalender auch nach Japan und sogar nach Saudi-Arabien.

Hierzulande hat nicht nur der fertige Kaufkalender Konjunktur, auch Selbstgebasteltes ist angesagt. Die 35-jährige Andrea Wagner aus Frankfurt am Main hat im letzten Herbst viele Nächte damit verbracht, 24 Stofftüten zu nähen und mit Zahlen zu versehen: "Die füllen mein Freund und ich uns gegenseitig." Viel kosten müsse das nicht, eher seien dabei Kreativität und Witz gefragt.

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