Toleranz als Respekt unter Gleichen

Synode diskutiert Schwerpunktthema

07. November 2005


Die Nagelprobe der Toleranz bestehe nicht im Ertragen des anderen, sondern darin, sich wechselseitig anzuerkennen. Dies führte die Zeit-Journalistin Elisabeth von Thadden zum Schwerpunktthema „Tolerant aus Glauben“ auf der 4. Tagung der 10. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus. Bis heute sei die Toleranz eine der Grundfragen an die Werte moderner pluralistischer Gesellschaften geworden. Im Umgang mit den Unterschieden werde die Kirche als „Steuermann“ dringend gebraucht.

Die Debatten um das Kruzifix-Urteil und das Kopftuchverbot hätten gezeigt, dass es bei der Diskussion um die Toleranz um mehr gehe als um die Duldung von Unterschieden. „Vielmehr stellen sie uns vor die Frage, ob eine demokratisch verfasste Gesellschaft den Schritt machen will, Unterschiede als Abweichungen von der Norm nicht nur zu erlauben, sondern darüber hinaus den Respekt aufzubringen, die Haltungen von Minderheiten als ebenso legitim zu respektieren wie diejenigen von Mehrheitskulturen.“ Der Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe, der dem Vorbereitungsausschuss für das Schwerpunktthema vorsteht, erinnerte an die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh in seiner Einbringungsrede: „In der damaligen Debatte ging es um Toleranz und ihre Grenzen, um Christsein in einem Kontext religiöser, weltanschaulicher und kultureller Vielfalt, um die Grenzen der Zivilgesellschaft und um das protestantische Profil“, erinnerte Gröhe, der auch Mitglied im Rat der EKD ist.

Das Toleranz-Konzept des Philosophen Rainer Forst bezeichnete Elisabeth von Thadden „im Dickicht diffuser Toleranz-Vorstellungen“ als das einzig sinnvolle. Von Toleranz lasse sich nur reden, wenn man erstens davon ausgehe, dass eine Überzeugung als falsch angesehen werde – sonst würde sie bejaht oder gleichgültig hingenommen, aber nicht toleriert. Es müssten Gründe bestehen, warum das für falsch Gehaltene dennoch zu tolerieren sei. Und drittens müssten Grenzen benannt und klar gestellt werden, dass das Intolerierbare zurückgewiesen und geahndet werde. Der moderne Toleranzbegriff betone den Respekt unter strukturell Gleichen, die wechselseitige Anerkennung von Gesellschaftsmitgliedern und ihrer Rechte. Daraus folge, dass ein Gemeinwesen weltanschaulich neutral sein müsse.

Dies sei, so die promovierte Literaturwissenschaftlerin die „Paradoxie der Toleranz“: „Wie kann man es moralisch für richtig halten, etwas zu tolerieren, das man für falsch hält?“ Man könne es aus Erschöpfung, wie etwa in der „furchtbaren Erschöpfung durch den religiös begründeten Dreißigjährigen Krieg“. Aus dieser Erschöpfung resultierte die Erkenntnis von der Vorrangigkeit des politischen Gemeinwesens vor den privaten Auffassungen der Bürger: „Fortan soll man glauben können, was man will, solange man sich an die Normen, Regeln und Gesetze des Gemeinwesens hält.“

In der Frage, wie sich feste Glaubensüberzeugung und die religiöse, weltanschauliche und kulturelle Pluralität der modernen Gesellschaft verhalten, seien Christen ebenfalls nicht zu passiver Duldung, sondern zu aktivem Bekenntnis aufgefordert. Die Frage nach der Toleranz lasse sich als ein „Zentrum der christlichen Botschaft“ verstehen, die Geschichte des Christentums als ein „Weg zum Wesen des christlichen Selbstverständnisses“, so Elisabeth von Thadden.

Die Synode diskutiert bis Donnerstag die Fragen der Toleranz, Voraussichtlich wird sie am Donnerstag eine Kundgebung verabschieden.

Das Referat von Elisabeth von Thadden zur Einführung in das Schwerpunktthema

Einbringung der Vorlage des Kundgebungsentwurfs zum Schwerpunktthema durch EKD-Ratsmitglied Hermann Gröhe

Referat und Einbringung als MP3 / Podcast

Kundgebungsentwurf zum Schwerpunktthema "Tolerant aus Glauben"

Materialien und Informationen zur 4. Tagung der 10. Synode der EKD