1965 erschien „Ostdenkschrift“

Versöhnung gesucht

30. September 2005


Am 1. Oktober 1965 ist die später als "Ostdenkschrift" bezeichnete Denkschrift der EKD mit dem Titel „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ erschienen. Diese Denkschrift zählt zu den wichtigsten Initiativen, welche die Jahre später einsetzende neue Ost- und Deutschlandpolitik vorbereitet hat. Eine Politik, die 1970 zum Gewaltverzichtsabkommen zwischen Polen und der Bundesrepublik führte und zu einer ersten Annäherung der beiden Staaten.

Bei ihrem Erscheinen löste diese Denkschrift, die auf Versöhnung zwischen den Völkern angelegt war, zunächst einen Widerspruch unter der deutschen Bevölkerung und in der evangelischen Kirche aus. "In meiner täglich einlaufenden Post macht fast Dreiviertel der Eingänge der Protest gegen diese Denkschrift aus", berichtete Bischof Hanns Lilje seiner hannoverschen Landessynode nur einen Monat später. Hanns Lilje, nicht eben ein begeisterter Fortschrittsmann, verteidigte diese Denkschrift in doppelter Hinsicht: sowohl was das grundsätzliche kirchliche Mandat zu solchen politischen Äußerungen anging, als auch, was die konkreten Aussagen selber betraf. Fast alle anderen protestantischen Kirchenführer taten es ihm mehr oder weniger entschieden nach. Der bayerische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger hatte gleich im Oktober 1965 vor seiner Landessynode in Ansbach bekundet, die Kirche habe ein Recht, zu den Lebensfragen des Volkes Stellung zu nehmen. Tue sie das nicht, so setze sie sich dem Vorwurf aus, "wieder geschwiegen zu haben".

Die Denkschrift beschreibt die Lage der Vertriebenen, sie berichtet eingehend von den materiellen Opfern und der trotz allem bleibenden sozialen Benachteiligung, von den Schwierigkeiten der Integration in die westdeutsche Gesellschaft und sie benennt die psychosoziale Seite des Dramas. Die Denkschrift ging eindeutig von der Opferrolle der Vertriebenen aus. Sie benannte indessen auch die Opfer der Westverschiebung Polens in der polnischen Bevölkerung. Darüber hinaus aber unternahm sie den Versuch, diese Opfer eines Teiles der Deutschen in Beziehung zu setzen zur Schuld des deutschen Volkes am Eroberungs- und Vernichtungskrieg.

Auf der Grundlage dieser Beschreibung versucht die von der Kammer für öffentliche Verantwortung vorbereitete und vom Rat der EKD übernommene Denkschrift die theologischen und juristischen Aspekte der Situation zwanzig Jahre nach Kriegsende darzustellen. Die gesamte Denkschrift ist, so wurde sie später bewertet, ein Plädoyer für eine politische Vernunft, die auch für ehemals verfeindete Völker Zukunft und Versöhnung sucht. "Der Verzicht auf die einseitige Vertretung des eigenen Rechtsstandpunkts ist nicht mit einer einseitigen Nachgiebigkeit identisch. Politisch wirksame Versöhnung ist ohne Partnerschaft undenkbar, in der auch der andere seinen Standpunkt überprüfen und einen eigenen Beitrag zum Neubeginn leisten muss.“, heißt es in der Denkschrift, deren 40. Jahrestag am 5. Oktober 2005 in Warschau gefeiert wird.

Die EKD-Denkschrift "Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn" im Wortlaut

EKD-Pressemitteilung vom 14. September 2005

Einige Meldungen des Evangelischen Pressedienstes (epd) zum Thema