Beschluss zum Flüchtlingsschutz in Europa

2. Tagung der 12. Synode der EKD, 8. bis 11. November 2015 Bremen

11. November 2015

Beschluss

der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer 2. Tagung

zum

Flüchtlingsschutz in Europa


Die Welt erlebt derzeit die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem 2. Weltkrieg. Der anhaltende Krieg in Syrien, der Terror des IS, die Zwangsrekrutierung für ein brutales Regime in Eritrea und die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan u.a. veranlassen immer mehr Menschen zur Flucht. Da es an sicheren und geregelten Zugangswegen fehlt, begeben sich Schutzsuchende in die Hände von Schleppern, die ihre lebensgefährliche Reise in und durch die EU organisieren und daran verdienen. Ungeordnete Flüchtlingsankünfte in der EU und die große Anzahl der hilfesuchenden Menschen überfordern nicht nur die Länder auf der Westbalkanroute. In Ermangelung unionsweiter Koordinierung und Zusammenarbeit agieren auch die EU-Mitgliedstaaten zunehmend hilflos unter Missachtung des europäischen und internationalen Flüchtlingsrechts. Fremdenfeindliche und rechtsextreme Parteien versuchen aus dieser Situation durch Hetze und Gewalt politisch Profit zu schlagen. Obgleich inzwischen in vielen Ländern der Europäischen Union Flüchtlinge ankommen, verhindern bislang nationale Egoismen die notwendige Einigung auf mittel- und langfristige Reformen der europäischen Asyl- und Migrationspolitik.

Die Gebote zur Aufnahme von Flüchtlingen und zum Gastrecht für Fremde gehören zum Kernbestand des christlichen Glaubens. Flüchtlingen und Fremden zu helfen, ist unaufgebbarer Teil christlicher Existenz. Wo Christinnen und Christen sich in der Gesellschaft engagieren, bringen sie diesen Teil ihrer Existenz ein.

Die Synode bittet den Rat der EKD unter Verweis auf die Erklärung der Konferenz Diakonie und Entwicklung zur aktuellen Situation der Flüchtlinge vom 15. Oktober 2015, die Verlautbarung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa zur Europäischen Flüchtlingskrise vom 11. Oktober 2015 und das "Communiqué der Internationalen Konferenz von Bischöfen und Kirchenführern" vom 30. Oktober 2015 in München, sich gemeinsam mit ökumenischen Partnern gegenüber der Bundesregierung und den europäischen Institutionen dafür einzusetzen, dass

  1. Schutzsuchenden sichere und legale Wege nach Europa eröffnet werden, damit sie in einem geordneten Verfahren einreisen können; beispielsweise über ein verbindliches  und großzügiges europäisches Neuansiedlungsprogramm, die Erleichterung des Familiennachzugs und der Vergabe humanitärer Visa;
  2. die EU-Staaten durch umfassende Information und Rechtsberatung der Flüchtlinge Anreize für deren Registrierung setzen, anstatt zu versuchen, diese mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen;
  3. die gemeinsamen  Standards und Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems überall in der EU angewendet werden, insbesondere hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen;
  4. der Schutz und die Aufnahme von Flüchtlingen als eine gemeinsame europäische Aufgabe wahr- und angenommen wird; insbesondere indem eine Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas unter Berücksichtigung der familiären, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Schutzsuchenden erreicht wird;
  5. das europäische Asylrecht nicht durch die Einführung einer Liste sicherer Herkunftsstaaten geschwächt wird; insbesondere darf die Türkei nicht als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden;
  6. Hilfsorganisationen wie dem UNHCR und dem Welternährungsprogramm die notwendigen finanziellen Mittel zur Versorgung der Flüchtlinge in den Herkunftsregionen zur Verfügung gestellt werden, neben der Grundversorgung mit Nahrung und Unterkunft muss auch Zugang zu schulischer Bildung, Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen, gewährleistet werden. Seitens der GeberInnen muss mit realistischen Haushaltsansätzen Planungssicherheit für steigende Bedarfe gewährleistet werden, um Engpässe in der Versorgung sowie Verteuerungen zu vermeiden;
  7. die Ursachen für Flucht und Vertreibung ernsthaft angegangen werden, indem die nationalen und europäischen Politiken z.B. in Handels-, Agrar-, Klima- und Rüstungsexportpolitik kohärent zur Entwicklungspolitik und zu den Verpflichtungen aus den neuen nachhaltigen Entwicklungszielen gestaltet werden, sowie langfristig eine sichtbare Verstärkung der Bundesmittel für Entwicklungshilfe eingeplant wird;
  8. bei den anstehenden UN-Klimaverhandlungen in Paris (COP 21), ein ambitioniertes und verpflichtendes Abkommen zur Reduktion der Emissionen und zum Umstieg auf erneuerbare Energien zustande kommt, das alle Unterzeichnerstaaten auch zur Unterstützung der am meisten von den Folgen des Klimawandels betroffenen Länder und Personen verpflichtet.


Bremen, den 11. November 2015

Die Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland

Dr. Irmgard Schwaetzer