Beschluss zu einer Verstärkung des Förderprogramms "Demokratie leben!"

2. Tagung der 12. Synode der EKD, 8. bis 11. November 2015 Bremen

11. November 2015

Beschluss

der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer 2. Tagung

zu

einer Verstärkung des Förderprogramms "Demokratie leben!"

Überall in Deutschland engagieren sich Christinnen und Christen für eine demokratische Willkommenskultur. Zehntausende Menschen sind in den vergangenen Monaten vor Bürgerkriegen, Folter und ethnischer Verfolgung, vor Gewalt und Ausgrenzung nach Deutschland geflohen. Die vielen Engagierten, diakonischen Einrichtungen, Kirchengemeinden, Willkommensbündnisse und Initiativen, welche die Flüchtlinge vor Ort begleiten und betreuen, leben die christlichen Werte von Nächstenliebe und Gottebenbildlichkeit aller Menschen – "Was ihr für eines meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr mir getan." (Mt. 25, 40).

Die Bilder einer gelebten Willkommenskultur stehen in schmerzlichem Gegensatz zur dramatischen Zunahme rassistisch motivierter Angriffe in Wort und Tat und neonazistischer Gewalt: Zivilgesellschaftliche Initiativen zählten bisher mindestens 710 Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete, darunter 78 Brandanschläge. Selbst das Bundeskriminalamt warnt davor, dass Betreibende von Flüchtlingsunterkünften, Helferinnen und Helfer, Politikerinnen und Politiker ins "Zielspektrum fremdenfeindlich motivierter Täterkreise" geraten. Letztes Beispiel für die direkte Auswirkung rassistischer Hetze war der Mordversuch an der inzwischen gewählten Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Vor der Zunahme rechtsextremistischer Gewalt – auch und gerade aus der sogenannten ‚Mitte der Gesellschaft’ haben zivilgesellschaftliche Akteure schon seit Jahren gewarnt. Die Synode der EKD hat sich seit 2009 entsprechend geäußert. Erst in der Herbstsynode 2014 in Dresden begrüßte die Synode das damals neu aufgelegte Bundesprogramm "Demokratie leben!", beklagte aber die noch unzureichende Mittelausstattung. Nur wenige hundert Meter entfernt traf sich PEGIDA zu ihren ersten Veranstaltungen.

Im Rahmen der Haushaltsbereinigung wurde das Programm um 10 Millionen Euro aufgestockt. Dafür ist die Synode dankbar. Seitdem ist die Notwendigkeit zivilgesellschaftlicher Arbeit gegen rechtsextremistische und rechtspopulistische Hetze jedoch noch um ein Vielfaches gestiegen.

Das Bundesprogramm unterstützt dringend notwendige Arbeit zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen, wie zum Beispiel die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R), die mit Handreichungen, Workshops und Konferenzen aktuell wichtige Akzente für die Begleitung und Unterstützung Geflüchteter und die Abwehr rassistischer und rechtsextremer Hetze und Gewalt setzt. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej) und die Evangelischen Akademien Deutschlands werden aus dem Programm mit Projekten zur Zusammenarbeit mit jungen Musliminnen und Muslimen und zur Entwicklung von Strategien gegen Antisemitismus gefördert.

Die zunehmende rassistische Gewalt stellt akut auch zivilgesellschaftliche Beratungsprojekte vor vielfältige neue Anforderungen. Die Geflüchteten und ihre Helferinnen und Helfer, die Betroffenen der Gewalt dürfen in dieser Situation nicht allein gelassen werden. Es ist offensichtlich, dass die bisher zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen im Bundesprogramm "Demokratie leben!" gegen Rechtsextremismus von derzeit 40,5 Millionen nicht ausreichen, insbesondere nicht für solche mobilen Beratungsstrukturen. Bereits im letzten Jahr empfahl die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus ein Budget von 70 Millionen Euro. Gelebte Willkommenskultur braucht eine starke, hauptamtlich begleitete Zivilgesellschaft.

Die Synode der EKD dankt allen engagierten Helferinnen und Helfern sowie Politikerinnen und Politikern in den Kommunen, Ländern und auf Bundesebene für ihr Engagement, menschenwürdige Lebensbedingungen und gesellschaftliche Teilhabe von Flüchtlingen zu ermöglichen.

Die Synode der EKD bittet alle Christinnen, Christen und alle engagierten Bürgerinnen und Bürger, weiter für eine solidarische Willkommens- und Aufnahmekultur für Geflüchtete und ein solidarisches Miteinander in unserer Gesellschaft einzutreten und sich weiterhin klar und mutig an die Seite von Verfolgten, Unterdrückten und Angegriffenen zu stellen. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass dies das Handeln im Sinne des Evangeliums ist.

Die Synode der EKD dankt dem Deutschen Bundestag für die bisher dem Bundesprogramm "Demokratie leben!" zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel. Zugleich stellt sie fest, dass diese, auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen und Ereignisse des letzten Jahres, noch immer weit hinter dem notwendigen Maß zurückbleiben. Bereits im letzten Jahr empfahl die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus ein Budget von 70 Millionen Euro. Zu diesem Zeitpunkt war PEGIDA noch eine kleine Demonstration, nur wenige Meter vom Tagungsort der Synode in Dresden entfernt.

Die Synode bittet deshalb den Rat der EKD, sich dem Deutschen Bundestag gegenüber erneut mit Nachdruck dafür einzusetzen, das Budget des Förderprogramms "Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, erheblich, mindestens um 25 Millionen Euro zu erhöhen. Die Zivilgesellschaft braucht klare Unterstützung. Die Bewältigung der anstehenden Aufgaben: Beratung und Begleitung der Betroffenen rechter Gewalt und der Engagierten in Willkommensbündnissen, sowie der Ausbau von Demokratiebildung ist nicht kleiner geworden. Das Engagement der Zivilgesellschaft kann nur mit adäquater Mittelausstattung gelingen.

Bremen, den 11. November 2015

Die Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland

Dr. Irmgard Schwaetzer