2. Tagung der 12. Synode der EKD

8. bis 11. November 2015 in Bremen

Bericht des Präsidiums der 12. Synode der EKD - "Erbarmt euch derer, die zweifeln" (Judas 22)

Präses Dr. Irmgard Schwaetzer

09. November 2015

Irmgard Schwaetzer (Foto: EKD)

Liebe Synodale,

der Monatsspruch für diesen November wirkt wie ausgesucht für den Zustand der deutschen Gesellschaft in diesem Herbst: „Erbarmt euch derer, die zweifeln“. Wir nehmen Deutschland heute als ein verunsichertes Land wahr. Das Ausrufungszeichen hinter den Worten der Kanzlerin „Wir schaffen das!“ ist bei vielen zu einem Fragezeichen geworden: Schaffen wir das? Und: Wie schaffen wir das?

So scheint der Monatsspruch für November aus dem weitgehend unbekannten Brief, der unter dem Namen Judas als letzter in der Reihe der Briefe im Neuen Testament steht, die Gemütslage der deutschen Gesellschaft gut zu beschreiben: „Erbarmt euch derer, die zweifeln“.

Judas spricht in seiner Mahnrede die Glaubenszweifler an:

(20) Ihr aber, meine Lieben, erbaut euch auf euren allerheiligsten Glauben und betet im Heiligen Geist, (21) und erhaltet euch in der Liebe Gottes und wartet auf die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben. (22) Und erbarmt euch derer, die zweifeln; (23) andere reißt aus dem Feuer und rettet sie; anderer erbarmt euch in Furcht und hasst auch das Gewand, das befleckt ist vom Fleisch. (24) Dem aber, der euch vor dem Straucheln behüten kann und euch untadelig stellen kann vor das Angesicht seiner Herrlichkeit mit Freuden, (25) dem alleinigen Gott, unserm Heiland, sei durch Jesus Christus, unsern Herrn, Ehre und Majestät und Gewalt und Macht vor aller Zeit, jetzt und in alle Ewigkeit! Amen.

Nun steht heute in Deutschland nicht nur der Zweifel am christlichen Glauben im Vordergrund, eher schon der Zweifel an der eigenen Kraft und Entschlossenheit, das Richtige im Umgang mit Flüchtlingen zu tun – und vielleicht ist das dann doch eine Form von Glaubenszweifel. Judas spricht den Christen aus dem Herzen. Er spricht alle Facetten einer unübersichtlichen Situation an, die Menschen anfechten kann. Und er verweist uns an Gott, den Einzigen, dem wir vertrauen, dass er uns in dieser unübersichtlichen Situation den Weg weisen kann. Dann steht die Frage vor uns, ob wir ernst machen mit der Botschaft des Neuen Testaments, in dem uns Jesus das doppelte Liebesgebot gibt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ (5.Mose 6,5). Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3.Mose 19,18), Mt 22, 37-39.

Viele schwanken zwischen der Hoffnung, dass Zäune und Abgrenzung doch helfen in Abwehr von Flüchtlingen und der Erkenntnis, dass wir von solchen Illusionen lassen müssen. Denn nur, wenn wir die Wirklichkeit erkennen und annehmen können, wenn wir uns nicht von der Angst überwältigen lassen, können wir auch die Kräfte mobilisieren, die wir zur Bewältigung der Krise brauchen. Daran müssen wir einander erinnern, wenn die Sehnsucht nach einfachen Lösungen wächst. Unsere verunsicherte Gesellschaft steckt mitten in einer Auseinandersetzung um die Werte des Christentums, die auch als Grundwerte unserer Demokratie und der universal geltenden Menschenrechte anzunehmen sind: Respekt und Toleranz für Anders-Denkende und Anders-Glaubende, gleiche Wertschätzung für Frauen und Männer. Dies können und dürfen Christen sich nicht abhandeln lassen und sie dürfen ihre Überzeugung nicht verstecken: Sie zeigen sie in ihrer Haltung, in ihrem Tun und in ihrem Reden.

Viele Glieder christlicher Gemeinden haben sich in diesem Sommer und Herbst hingebungsvoll um Flüchtlinge gekümmert und tun es noch. Wir können dafür nicht genug danken. Sie machen sehr praktisch deutlich, was Christentum heißt und verkündigen damit die christliche Botschaft. Danken möchten wir auch den Polizistinnen und Polizisten, den Sicherheitskräften, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hilfswerken und Behörden, die ihre so notwendige ordnende Arbeit mit der Empathie für die Flüchtlinge verbunden haben.

Das Präsidium der Synode möchte klar erinnern, wo wir als Christen stehen und warum wir helfen, ohne zu fragen „wie hältst du es mit der Religion“ (Goethe: Faust I). Es gehört zum christlichen Glauben von Anfang an hinzu, Gutes zu tun. Und zwar nicht nur „an des Glaubens Genossen“, sondern an „jedermann“, wie es im Galaterbrief (6,10) heißt. Und auch der Monatsspruch für November aus Judas 22 erinnert uns an diesen Auftrag: „Erbarmt euch derer, die zweifeln.“ Als Christen fragen wir nicht nach Religion und Konfession. Uns interessiert als Christ der Mensch in seiner Not.

Das Präsidium hat von Ihnen im Mai Aufgaben für die Vorbereitung dieser Synode bekommen: Die Begleitung der Vorbereitung des Schwerpunktthemas und die Klärung der zukünftigen Arbeit in den synodalen Ausschüssen. Bei den Vorschlägen für den Zuschnitt der Ausschüsse haben wir uns leiten lassen von der thematischen Schwerpunktsetzung, die Sie selbst vorgenommen haben.

Den Vorschlag des Präsidiums haben Sie zugeschickt bekommen, mit der Bitte, sich für Ihre Mitarbeit zu entscheiden. Davon haben Sie alle Gebrauch gemacht. Aber natürlich müssen wir erst noch den Beschluss zur Änderung der Geschäftsordnung, die wir flexibler gestalten wollen, und zur Einsetzung der von uns vorgeschlagenen vier Ausschüsse fassen. Der jetzt vorgeschlagene Zuschnitt ist mit den Ausschussvorsitzenden, den Sprecherinnen und Sprechern der Themenrunden und Synodalen Arbeitsgruppen festgelegt worden, und auch Sie waren alle in diesem Sommer mit der Klärung der Schwerpunktthemen für die nächsten Jahre an diesem Prozess beteiligt. Es hat einige Rückfragen gegeben und vereinzelt ist auch Ablehnung bei uns angekommen. Insgesamt hoffen wir aber, dass der Zuschnitt, der ja auch überraschende Themenkombinationen enthält, den Blick auf einzelne Themenbereiche weitet und die Sprachfähigkeit der Synode verbessert. Nach dem, was Sie als Schwerpunkte in Ihrem Arbeitsbereich festgelegt haben, erschien der versammelten Runde dieser Zuschnitt logisch und vielversprechend, auf den ich nun kurz im Einzelnen eingehe.

Der Zukunftsausschuss wird eine wichtige Rolle spielen bei der Frage, wohin wir uns als Evangelische Kirche in Deutschland entwickeln wollen. Da ist zum Beispiel die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung V. Sie bietet uns umfangreiche Informationen, die wir auswerten werden. Dann gilt es im neuen Ausschuss zu überlegen, wie die Erkenntnisse umgesetzt werden können. Ein anderes Beispiel ist der demografische Wandel: Er verändert die Arbeit der diakonischen Einrichtungen und der Gemeinden schon jetzt. Im Zukunftsausschuss können solche gesellschaftlichen Veränderungen in den Blick genommen werden, damit sich nicht nur jeder Arbeitsbereich für sich mit den Herausforderungen auseinandersetzt.

Fragen der Nachhaltigkeit und der Bewahrung der Schöpfung sind ein fester Bestandteil der gesellschaftlichen Debatte geworden. Dort wollen wir sie auch in der Synode führen. Sie werden folglich in dem Ausschuss für Kirche, Gesellschaft und Bewahrung der Schöpfung ihren Platz finden. Denn der gerechte Umgang mit der Schöpfung ist eine politische Frage. Die, denen durch Raubbau an der Natur die Lebensgrundlage entzogen wird, müssen sich auf den Weg machen, um überleben zu können. So hängt die Flucht vieler Menschen eng mit dem Fehlen einer nachhaltigen Wirtschaft zusammen.

Die Aufgabe der Kirchen in der praktischen Integration der Flüchtlinge in den nächsten Jahren wird in der Diakonie, der Jugend- und Bildungsarbeit liegen und deshalb im Ausschuss Diakonie, Jugend und Bildung bearbeitet werden. Die Kindernothilfe arbeitet z.Zt. mit dem Motto „Bildung ändert alles“. Sie verweist damit auf den engen Zusammenhang von Bildung und diakonischem Handeln. Aber auch in anderen Fragen liegen Diakonie und Bildung eng zusammen: In der religiösen Bildung von Kindern bekommt diakonisches Lernen eine wachsende Bedeutung.

Europa ist in der gegenwärtigen Situation von nationalen Egoismen bedroht. Zu deren Überwindung müssen die Zusammenschlüsse der Kirchen ihren Beitrag leisten. Die Politik der Krisenintervention und der Befriedung von Konflikten ist wiederum auf die Kraft der europäischen Union angewiesen. Deshalb sollen diese Themen im Ausschuss für Ökumene, Mission und Europa behandelt werden. Hier kommen unterschiedliche Perspektiven auf die Begegnungen mit anderen kulturellen und religiösen Erfahrungen zusammen, die dazu beitragen können, voneinander zu lernen. Das Präsidium wird Ihnen auch vorschlagen, unsere Vorstellungen von der Zukunft Europas zum Schwerpunktthema der Synodentagung 2016 zu machen, denn wir sind davon überzeugt, dass dieses Thema wichtig bleiben wird.

Zum diesjährigen Schwerpunktthema ist ein umfangreiches Magazin erarbeitet worden, das Sie bekommen haben. Hoffentlich hat Sie die Fülle der Projekte und Planungen ebenso erfreut wie uns. Das Reformationsjubiläums 2017 gewinnt Gestalt. Das Lesebuch zum Schwerpunktthema gibt ja auch einen guten Überblick über den Diskussionstand in der historischen und theologischen Rezeption der Entwicklung in den 500 Jahren nach der Reformation. Manche Wirkungen der Einsichten und Thesen der Reformation können wir zum Jubiläum wieder deutlich machen: Für mich ist immer wieder spannend, wie aktiv Frauen die Gesellschaft durch den reformatorischen Aufbruch mitgestaltet haben. Der Text des Kundgebungsentwurfs verdichtet diese Einsichten in nachvollziehbarer Weise. Wir können gespannt sein, was Sie in den nächsten Tagen daraus machen.

Zum Schwerpunktthema legt das Präsidium Ihnen eine Erklärung vor: „Martin Luther und die Juden – Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum“. Lange schon wird überlegt, wie sich die evangelische Kirche dazu äußern kann. Deshalb ein kurzer Blick zurück: Spätestens seit 2013 wird die Reformationsdekade von einer öffentlichen Diskussion um Luthers judenfeindliche Äußerungen begleitet. 2012 hatte die Synode auf ihrer Tagung in Timmendorfer Strand noch von einer Erklärung zu den judenfeindlichen Schriften Martin Luthers abgesehen, zugleich aber angeregt, die EKD möge sich im Themenjahr „Reformation und Toleranz“ bei geeigneter Gelegenheit öffentlich von Luthers judenfeindlichen Äußerungen distanzieren. Im März erschien darauf in der FAZ der Grundsatzartikel „Die dunkle Seite der Reformation“ von der Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017, Prof. Dr. Margot Käßmann; im Herbst folgte in Berlin eine prominent besetzte Podiumsveranstaltung unter anderem mit dem damaligen Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und dem jüdischen Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik zum Thema „Schatten der Reformation“. Parallel zu der sich intensivierenden wissenschaftlichen Debatte und verschiedenen Fachtagungen (Erlangen, Berlin, Loccum), die auch in die Feuilletons der großen Tageszeitungen ausstrahlten, nahmen sich die Kirchen des Themas an in Wanderausstellungen, Themenheften und Materialsammlungen. Der Wissenschaftliche Beirat veröffentlichte eine Orientierung („Die Reformation und die Juden“); die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau reagierte als erste Gliedkirche der EKD am 10. Oktober 2014 mit einer Synodalerklärung und die VELKD befasste sich auf der Klausurtagung ihrer Bischofskonferenz im März 2015 ausführlich mit dem Thema. Aus der VELKD kam dann der Vorschlag zu einer öffentlichen Stellungnahme im Jubiläumsjahr 2017 im Zusammenwirken von VELKD, EKD und UEK.

Nachdem die Synode sich bereits bei ihrer konstituierenden Sitzung in Würzburg auf das Schwerpunktthema „Reformationsjubiläum 2017 – Christlicher Glaube in offener Gesellschaft“ verständigt hatte, verdichtete sich im Präsidium der Eindruck, dass eine solche Erklärung nicht erst 2017, sondern bereits im Herbst in Bremen durch die EKD abgegeben werden sollte, zumal von verschiedener Seite aus der evangelischen Kirche wiederholt entsprechende Forderungen an die EKD herangetragen wurden. Nachdem der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, eine Einladung des Präsidiums zur Synodaltagung in Bremen zu unserer Freude angenommen hatte, war im Frühsommer klar, dass die Synode in Bremen eine Stellungnahme zu diesem Thema abgeben sollte.

Das Präsidium bat darum das Kirchenamt der EKD, eine entsprechende Erklärung in enger Abstimmung mit den Ämtern der VELKD und der UEK sowie unter Einbindung des Gemeinsamen Ausschusses von EKD, VELKD und UEK „Kirche und Judentum“ vorzubereiten. Vom Vorsitzenden des Rates der EKD, Landesbischof Prof. Dr. Bedford-Strohm, kam im Anschluss an ein Gespräch mit Dr. Schuster der Vorschlag, das Wort der Synode so zu gestalten, dass es offen ist für Weiterführendes im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017. Die Vorbereitung einer entsprechenden Erklärung wurde auch frühzeitig an den Zentralrat kommuniziert und von diesem mit großem Interesse und Zustimmung mit verfolgt. Bereits im Juli hat eine Arbeitsgruppe bestehend aus Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses einen ersten Textentwurf erarbeitet. In seiner Sitzung am 1./2. Oktober 2015 hat der Gemeinsame Ausschuss in Hamburg dann den kurz zuvor im Präsidium in erster Lesung beratenen Entwurf einer Erklärung abschließend bearbeitet. Das Präsidium hat sich diesen auf breiter Basis abgestimmten Text zu eigen gemacht und bringt ihn als Antrag in die Synode ein.

Liebe Synodale,
andere Themen, die hier in Bremen noch erörtert werden, wie die Fortentwicklung des Verbindungsmodells und die Änderung der Grundordnung der EKD, haben das Präsidium natürlich auch beschäftigt. Aber davon soll dann auch an anderer Stelle die Rede sein.

Wichtige Entscheidungen liegen vor uns, vor allem bei der Wahl zum Rat der EKD. Unser Dank gilt den Mitgliedern des Ratswahlausschusses, die uns eine Liste von Persönlichkeiten vorgelegt hat, die hohe Sachkompetenz mit großem Engagement für unsere Kirche verbinden. Unser Dank gilt aber auch jetzt schon den Kandidatinnen und Kandidaten, die sich zur Wahl stellen. Wir können sehr dankbar sein, dass so viele Menschen bereit sind, Verantwortung in der Leitung  unserer Kirche zu übernehmen. Sie machen Ernst mit der reformatorischen Erkenntnis des „Priestertums aller Getauften“, die den Nicht-Ordinierten in der evangelischen Kirche die Mitwirkung an allen Aufgaben öffnet. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, im Wahlverfahren die Wertschätzung für jeden, der sich der Wahl stellt, deutlich zu machen. Und da wir alle gespannt auf die Kandidatinnen und Kandidaten sind, und ihnen später genug Zeit einräumen wollen, schließe ich den Bericht des Präsidiums.