"Gott gibt die Welt nicht verloren"

Botschaft des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, zum Weihnachtsfest 2001

25. Dezember 2001

Die Welt sei anders geworden nach dem 11. September. So hatten viele gesagt. Im ersten Erschrecken und in den Wochen danach spiegelte das unser Lebensgefühl. Bedrohung durch Terror, das kann jeden treffen. Die Angst rückte nahe und ergriff Viele. Inzwischen ist unverkennbar: Auch daran gewöhnen die Menschen sich.

Die Politik, die Wirtschaft, das Lebensgefühl der Menschen kehren zurück in die alten Gleise. Sie machen so weiter wie bisher. Von der Ausrichtung des gesamten politischen Handelns auf die Überwindung friedensgefährdender Konflikte, von der Schaffung einer gerechteren internationalen Ordnung, von der Notwendigkeit fundierter Ursachenanalysen und langfristiger Konzepte der Konfliktvorbeugung war die Rede. Eine solche Politik bietet tatsächlich die besten Aussichten, Hass und Fanatismus als den gefährlichsten Brutstätten für terroristische Bewegungen das Wasser abzugraben. Die finden ihren Nährboden in der ungerechten Verteilung des Reichtums, vor allem wenn Scharfmacher die Religionen benutzen, um Menschen zur Gewalt zu verführen. Aber statt für Gerechtigkeit und Überwindung des Elends zu kämpfen, beginnen wir uns daran zu gewöhnen, mit dem Mittel militärischer Gewalt den kurzfristigen Erfolg für ausreichend zu halten. Aber das ist allenfalls Feuerwehreinsatz statt vorbeugender Brandschutz. Wir brauchen aber beides.

Und insofern ist die Welt nach dem 11. September nicht anders geworden. Es wird wieder die alte Leier gespielt. Nachlässig und gleichgültig geht die Welt am Elend vorüber – bis irgendwo wieder etwas explodiert; dann werden im Handumdrehen Milliarden locker gemacht für militärische Schläge. Das Elend wächst. Die Ursachen werden nicht behoben.Einmal aber ist wirklich etwas Neues, etwas Einmaliges geschehen: Mit der Geburt Jesu ist die Welt anders geworden.

Gott ist
offenbart im Fleisch,
gerechtfertigt im Geist,
erschienen den Engeln,
gepredigt den Heiden,
geglaubt von der Welt,
aufgenommen in die Herrlichkeit.

Darin sind die Rätsel aufgehoben: Offenbart – erschienen. Von Gott können wir eine Vorstellung nicht entwickeln. Alles entzieht sich menschlicher Erklärung. Und doch ist das Geheimnis öffentlich geworden.

Die Krippe,  das Kreuz:  offenbart – erschienen – geglaubt. Kein Privatereignis, sondern öffentlich. Öffentlich wird es, weil es verkündigt wird seit 2000 Jahren. Ein Geheimnis, aber öffentlich, für Augen von Menschen, deren Herz sich öffnet. Gott überlässt die Welt nicht den chaotischen Kräften der Gewalt. Er gibt die Welt nicht verloren. Er schaut nicht vom Himmel zu, wie die Menschen die Erde zugrunde richten. Er mischt sich ein. Er wird in dem Kind von Bethlehem ein Bruder der Menschen, ein Geschöpf unter den leidenden Mitgeschöpfen. Es gibt Hoffnung für diese gnadenlose, unglückliche Welt.

Hannover, den 25. Dezember 2001
Pressestelle der EKD