Aus dem Fenster blicken, nicht in den Spiegel

Bischofskonferenz der VELKD beschäftigt sich mit Perspektiven der Gemeindeentwicklung

21. März 2017

Welche Gemeindeformen sind in der Kirche in Zukunft möglich und nötig? Wie lässt sich die Entwicklung neuer Gemeindeformen theologisch und organisational reflektiert gestalten? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) auf ihrer dreitägigen Klausurtagung in Goslar. Grundlage für die Beratungen der rund dreißig Bischöfinnen und Bischöfe sowie kirchenleitender Personen aus dem In- und Ausland waren drei Beiträge aus unterschiedlicher wissenschaftlicher Perspektive.

Maren Lehmann, Professorin für Soziologische Theorie an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, begab sich mit ihrem Vortrag auf die „Suche nach der verlorenen Gemeinde“. Gemeinde sei immer da: mal offen, mal geschlossen, mal lustvoll, mal aufdringlich. Sie stehe unter den Bedingungen der erhöhten Komplexität der modernen Gesellschaft. Die Voraussetzung für den Umgang mit Gemeinde sei daher das Wahrnehmen dieser Vielschichtigkeit und nicht die Klage über Verfall und Bedeutungsschwund. Da die Komplexität in den Individuen ihren Ort hat, so Lehmann, liege eine Perspektive für die Kirche darin, zeitlich und sozial begrenzte Beteiligungsformen zu ermöglichen und Spannungen auszuhalten. In jedem Fall funktionierten in religiösen Netzwerken Mehrdeutigkeit und Ungewissheit besser als „öde Perfektion“.

Nicht „strukturversessen, sondern auftragsbegeistert“ möge die Kirche sein, sagte Kirchenrechts-Dezernent Dr. Hans-Tjabert Conring (Bielefeld). Das leite sich aus ihren theologischen Grundlagen her: Die „Auftragsorientierung ist ein Verfassungsprinzip zur Überwindung der bürokratischen Lähmung“. Rechtliche Bestimmungen ebenso wie die Verfasstheit der Kirche und ihrer Gemeinden als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ gewährten Freiräume zur Gestaltung des kirchlichen Auftrags. Auch die „geerbte Form“ der Kirche sei kontingent, also unter konkreten historischen und soziologischen Bedingungen entstanden und nicht alternativlos – das könne zu neuen Anfängen und zu einer Vielfalt der Formen befreien.

Konkrete Fragen der Steuerung von Gestaltungsprozessen standen im Mittelpunkt der Arbeitseinheit mit dem Leitungsteam des Gemeindekollegs der VELKD in Neudietendorf, Professor Rainer Knieling und Isabel Hartmann, die mit Methoden aus der Prozess- und Organisationsentwicklung arbeiten und dafür werben, bei allen Prozessen stets eine Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes zu wahren. Es sei wichtig, die „Ausgewogenheit von Freiheit und Form, von Offenheit und Haltepunkten zu wahren, die an den Reichtum der Tradition der evangelisch-lutherischen Kirche anknüpfen“, fasste der Leitende Bischof der VELKD, Landesbischof Gerhard Ulrich (Schwerin), zusammen. „In Zukunft wird es nicht darum gehen können, statischen Konzepten zu vertrauen, sondern vielmehr Prozesse zu initiieren, zu begleiten und zu fördern.“  

Den Auftrag, der allen Diskussionen und Gestaltungsprozessen zugrunde liegen müsse, hob Dr. Christoph Meyns als Landesbischof der gastgebenden Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig in seiner Predigt in der Marktkirche Goslar hervor: „So wahr es ist, dass wir eine Kirche der Freiheit sind, so führt doch diese Behauptung in die Irre, wenn wir nicht ernst damit machen, dass wir zugleich eine Kirche der Hingabe für den Dienst an unseren Mitmenschen sind.“ Die dafür notwendige Perspektive könne man nur gewinnen, wenn man „aus dem Fenster blickt und nicht in den Spiegel“.

Hannover, 21. März 2017

Henrike Müller
Pressesprecherin