Pressekonferenz zum Jahr der Bibel 2003

Statement von Präses Manfred Kock, Ratsvorsitzender der EKD

29. April 2002

Im Blick auf die Bibel hat Jan Ross neulich in der ZEIT sinngemäß geschrieben: Ob der Glauben erwartet werden kann, mag man außen vor lassen - aber auf Lesen darf man nicht verzichten, wenn man überhaupt verstehen will, was unsere Kultur geprägt hat. Die Bibel ist eines der ältesten und bedeutendsten Bücher der Weltliteratur. Von den Geschichten, die sich Menschen eines kleinen Hirtenvolkes in Palästina erzählten, bis zu den großen, durchdachten Texten eines Apostel Paulus ist die Bibel ein gesammelter Schatz von Erfahrungen des Menschen im Gegenüber zu Gott. Menschen haben in der Bibel ihre existenziellen Situationen, ihre Infragestellungen, ihre Ängste und Sorgen, ihre Schuld und Verantwortung ausgesprochen. Sie haben aufbewahrt, was sie sowohl in Israel als auch in den christlichen Kirchen als die Stimme und Gegenwart Gottes wahrgenommen und geglaubt haben.

Die Bibel hat zugleich Kultur geprägt und die Kirchen geleitet, sie hat aber auch die Herzen berührt und Menschen geführt. Die Bibel hat große Literatur hervorgebracht und ist gleichzeitig das Herzstück aller christlich-ökumenischen Frömmigkeit. Insofern ist die Bibel wie ein Brennglas: Sie hat das Licht Gottes gleichsam auf einen Punkt gebündelt und damit erhebliche Energie in den Kulturen hervorgerufen. Andererseits aber wurde sie auch - wie eine Brille - unendlich oft aufgesetzt, um dadurch Gottes Gegenwart in dieser Welt besser zu erkennen und zu verstehen.

Das Jahr der Bibel wird von allen christlichen Kirchen und christlichen Werken und Verbänden getragen. Dabei entspricht die breite ökumenische Trägerschaft dem Gegenstand des Aktionsjahres: Die Bibel ist allen christlichen Kirchen als gemeinsame Quelle des Glaubens gegeben. Trotz unterschiedlicher Auslegung der Bibel und daraus resultierender schmerzlicher Trennungserfahrungen sind sich Christen aller Konfessionen darin einig, dass sich Glauben und Leben von der Bibel her reflektieren müssen. Die Bibel als ökumenisches Buch ist das einigende Band aller Kirchen - nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Demzufolge wird es im Bibeljahr zu vielfältigen ökumenischen Begegnungen auch zwischen Christen unterschiedlicher Prägung kommen. Daraus sind vielfältige Impulse für den Prozess der weiteren Annäherung zu erwarten. Besonders auf der Ebene der Gemeinden vor Ort wird es zu unzähligen Kontakten und zu gemeinsamer Bibelarbeit kommen.

Die kulturprägende Kraft der Bibel ist mit geübten Augen noch heute gut zu erkennen. Ungezählte Filme aus Hollywood, Romane aus den Federn auch der gegenwärtigen Schriftsteller und Ideen von Kunst- und Kulturschaffenden greifen zurück auf biblische Texte und ihre Bilder. Man denke nur an die "Joseph"-Romane von Thomas Mann oder den "König-David-Bericht" von Stefan Heym. Junge Leute aus unseren Kirchen weisen immer wieder darauf hin, wie präsent biblische Gedanken und Zitate auch in den modernen Popsongs sind. (So berichtet zum Beispiel der Sänger der Rockgruppe "U2" im Blick auf die jüngste CD der Gruppe, dass "Gott auf diesem Album durch den Raum gegangen ist".)

Oft gerät in Vergessenheit, dass auch viele Errungenschaften der Demokratie, des Sozialstaates und der Gesetzgebung aus biblischen Quellen gespeist sind. Insofern will das Jahr der Bibel auch Quellenpflege betreiben und die Herkunftstradition der modernen Kräfte freilegen. Dabei gilt es neu zu entdecken und zu betonen, dass die Bibel als Weltkulturerbe das ganze Abendland entscheidend geprägt hat.

Letztlich aber zielt das Jahr der Bibel auf das Herz des Einzelnen. Die Bibel soll in ihrem ganzen Reichtum, auch ihrer sprachlichen Schönheit und ihrer existentiellen Tiefe in Erinnerung gerufen werden, damit der einzelne Mensch sich in das Licht gestellt weiß, das von der Bibel ausgeht.

Die Bibel ist das Beste, was der Mensch je über sich selbst wird hören können, weil die Bibel von Gottes Zuwendung zum Menschen erzählt. Ob in den Gesängen der Psalmen oder in den Klagen des Hiob, ob in der Erotik des "Hohenliedes der Liebe" oder in den Jubel der Auferstehungszeugen, immer formuliert die Bibel einen Glanz für den Menschen, der auch dann leuchtet, wenn es um den Menschen herum dunkel wird.

In diesem Sinn ist das Jahr der Bibel auch eine "ansteckende", eine im besten Sinn missionarische Aktion. Uns ist als Kirchen selbstverständlich vor Augen, dass die Bibellektüre deutlich abgenommen hat. Aber: Das Jahr der Bibel will dem Verlust der Bibelvertrautheit entgegenwirken. Die christlichen Kirchen aller Konfessionen möchten die Bibel gerade für die Ungeübten und Kirchendistanzierten neu bekannt und "schmackhaft" machen durch vielfältige Aktivitäten, die alle das eine Ziel haben: Sinn und Geschmack für die Bibel in unserem Land zu stärken. Damit werden Bemühungen fortgesetzt, die die EKD-Synode 1999 zum Thema Mission und Evangelisation begonnen hat, die in der aktuellen EKD-Image-Initiative ihren Ausdruck finden, und die auch die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Schrift "Zeit zur Aussaat - Missionarisch Kirche sein" formulierte.

Berlin/Hannover 29. April 2002
Pressestelle der EKD