Taufbereitschaft unter Evangelischen weiter stabil

Evangelische Kirche in Deutschland veröffentlicht vierte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung

14. Oktober 2003

Die Kirche bildet für ihre Mitglieder einen von ihnen gewünschten Lebensrahmen für Weltorientierung, Handlungsleitung und Schicksalsbewältigung. Dies ist eines der Ergebnisse der vierten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die am 14. Oktober unter dem Titel „Kirche – Horizont und Lebensrahmen. Weltsichten, Lebensstile, Kirchenbindung“ in Berlin vorgestellt wurde. Im September und Oktober 2002 wurden über 1.800 Mitglieder evangelischer Kirchen und etwa 900 Konfessionslose befragt. Insgesamt weisen die Umfrageergebnisse im Vergleich zu den vorausgegangenen Befragungen in den Jahren 1972, 1982 und 1992 eine deutliche Stabilität aus, die von den Autorinnen und Autoren gleichzeitig als beruhigend und als beunruhigend interpretiert wird.

Die Struktur der Kirchenmitgliedschaft verändere sich kaum, obwohl die Zahl der Kirchenmitglieder geringer werde. Einem kleinen Prozentsatz Hochverbundener stehe ein erheblich kleinerer Prozentsatz von Austrittsgeneigten gegenüber; dazwischen befinde sich ein weites und vielgestaltiges Feld treuer Kirchenmitglieder. Die Zahl derer, die sich ihrer Kirche „eng“ oder „ziemlich verbunden“ fühlen –  etwa 37 Prozent –, hat sich in den dreißig Jahren, in denen die EKD diese Erhebung unter ihren Mitgliedern macht, kaum geändert (1972: 37 Prozent; 1982: 36 Prozent; 1992: 39 Prozent). Dabei hatte schon die dritte EKD-Erhebung "Fremde Heimat Kirche" vor zehn Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass die unter dem Druck der Verhältnisse in der ehemaligen DDR zu einer gesellschaftlichen Minderheit gewordenen evangelischen Kirchenmitglieder der neuen Bundesländer sich in ihrer Kirchenbindung nur wenig von denen im Westen unterscheiden. Dies werde von der neuen Untersuchung im wesentlichen bestätigt.

Nach wie vor finde sich bei den Befragten eine ausgesprochen hohe Bejahung von Taufe und Konfirmation und eine eher niedrige Bereitschaft zu aktiver Beteiligung. Die Erwartungen an die Kirche und das persönliche, auf die eigene Lebensgeschichte bezogene Verständnis von Kirchenmitgliedschaft lassen sich ähnlich wie in  früheren Befragungen in der Formel zusammenfassen: Gut, dass es die Kirche gibt, aber für mich braucht sie nur zu besonderen Anlässen da zu sein. So finde sich bei den Befragten nach wie vor eine ausgesprochen hohe Taufbereitschaft (95 Prozent aller Kirchenmitglieder), aber eine nur geringe  Bereitschaft zu aktiver Beteiligung am Gemeindeleben. Für die große Mehrheit der Mitglieder stehe der lebenszyklische und familiäre Zusammenhang mit der Kirche im Vordergrund. Die Erhebung zeigt, dass die Kirche die Mehrheit aller ihrer „treuen Kirchenfernen“ eher in den lebensbegleitenden Angeboten (wie etwa Taufe, Konfirmationen, Trauungen, Bestattungen) und in Festgottesdiensten (Weihnachten, Ostern) als in Gemeindeangeboten erreiche.

In den Ergebnissen der vierten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung werde deutlich, dass die Erwartungen an die Kirche sich verändert haben: Sie soll „durch die Verkündigung ihrer Botschaft, durch Gottesdienste und Seelsorge geistliche Kommunikationsmöglichkeiten bereithalten, den Menschen durch Übergangsrituale in biographischen Umbruchssituationen helfend zur Seite stehen und sich für Notleidende einsetzen,“ fassen die Autoren das Ergebnis zusammen. Deutlich werde durch die vierte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, dass die Motive für eine Kirchenmitgliedschaft sehr unterschiedlich sind und bleiben. Dabei variiere die „Motivationslage in starkem Maß danach, in welcher Nähe sich die einzelnen zur kirchlichen Institution befinden,“ heißt es in der Auswertung. Je distanzierter ein Mitglied zur Kirche steht, desto mehr kommen „instrumentelle Motive“ zum Tragen, etwa der Gesichtspunkt, dass man auf Amtshandlungen der Kirche nicht verzichten wolle. Die evangelische Kirche komme also nach Meinung der Autoren gar nicht darum herum, den vielfältigen Motiven zur Mitgliedschaft Raum zu geben und die Kirche offen zu halten für unterschiedliche Beteiligungsformen.

Wie bei der Erhebung vor zehn Jahren wurden die Befragungen in den neuen Bundesländern getrennt ausgewertet. Dort sei das Verhältnis der Mitglieder zur Kirche in geringerem Umfange durch traditionelle Selbstverständlichkeit und Konvention geprägt. Existentiell religiöse Erfahrungen, bewusste Kirchennähe, Entschiedenheit und Partizipation spielten eine etwas größere Rolle als in den alten Ländern. Dieser Trend sei schon 1992 zu erkennen gewesen und habe sich in der Erhebung des vergangenen Jahres bestätigt. Das Gemeindebewusstsein sei bei den ostdeutschen Evangelischen stärker ausgeprägt als bei den Westdeutschen, für die der lebenszyklische und familiäre Zusammenhang mit der Kirche im Vordergrund stehe.

Weltsichten und Lebensstile als neue Fragekomplexe

Die aktuelle Untersuchung über Kirchenmitgliedschaft hat gegenüber den vorhergehenden das thematische Spektrum erweitert, indem sie fragt, wie Kirchenmitglieder und Konfessionslose, Religiöse und Nichtreligiöse die Welt betrachten und interpretieren, und wo zwischen ihnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen. Über Fragen zu aktuellen gesellschaftlichen Konfliktthemen – wie etwa zur aktiven Sterbehilfe, zum Leben mit Muslimen, zur Arbeitslosigkeit und zur Gesundheitspolitik – wird Aufschluss darüber gesucht, wie sich religiöse Überzeugung im Weltbild und im Handeln niederschlage. Dabei werden auch Möglichkeiten deutlich, wie die Kirche bei Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche anknüpfen könne.

Bei der Frage der aktiven Sterbehilfe etwa sprach sich ein großer Teil dafür aus, die Entscheidung darüber in die Hand der Einzelnen zu legen, falls ein Leben in Würde nicht mehr möglich ist. Allerdings äußerten sich die Konfessionslosen hierbei erheblich einhelliger als die Evangelischen. Unter den Kirchenmitgliedern wurde auch stark die Ansicht vertreten, dabei handle es sich um eine absolute Grenze, die nicht überschritten werden dürfe. Besonders im Osten Deutschlands vertreten Evangelische wie auch Konfessionslose häufiger die Meinung, es müsse solche Grenze geben: "Die Entscheidung über das Ende des Lebens liegt nicht bei uns, sondern bei Gott."

In der Offenheit für religiöse Sprache zeigt sich ein Unterschied zwischen den Konfessionslosen in Ost und West. Während im Westen auch viele Konfessionslose mit religiösen Formulierungen durchaus etwas anfangen können, sei dies im Osten kaum noch der Fall.

Auffällig hoch ist die Zustimmung zu der Aussage, das Christentum sei Teil der Leitkultur, auf die sich alle Menschen einzustellen hätten. Im Osten Deutschlands, wo diese Aussage höhere Zustimmung findet als im Westen, konnten diese Meinung auch mehr als die Hälfte der Konfessionslosen uneingeschränkt zustimmen. Ein beträchtlicher Teil der Konfessionslosen in Ost und West kann darüber hinaus der Einstellung zustimmen, dass es Aufgabe der Kirche sei, „in Situationen sozialer Ungleichheit und der Fremdenfeindlichkeit an Gleichheit und Nächstenliebe auch dem Fremden gegenüber zu erinnern.“

In dieser vierten Mitgliedschaftsuntersuchung wurde der Fragehorizont im Blick auf Lebensstile und Milieus erweitert. Der in den früheren Untersuchungen mit Kategorien wie "Distanz" und "Unbestimmtheit" definierte Großteil der Kirchenmitglieder kann auf diese Weise bestimmten sozialen Lagen, kulturellen Wurzeln und individuellen Lebensstilen zugeordnet werden. Insgesamt bestätige die Untersuchung die häufig geäußerte Vermutung, dass die Kirche in der älteren Generation stärker verankert ist als bei den jüngeren Menschen und ihren „typischen“ Lebensstilen. Die Autoren leiten daraus die Frage ab, ob nicht die „dominanten Lebensstile der sogenannten Kernmitglieder eine Zugangsbarriere für eine stärkere Kirchenbindung“ von Menschen anderer Lebensstile  darstellten.

Erstmalig werden im Bericht über die Erhebung, die im Auftrag der EKD und der beiden Landeskirchen in Bayern und Hessen-Nassau die Erhebung durchgeführt und ausgewertet wurde, in persönlich gezeichneten Beiträgen kontroverse Interpretationsmöglichkeiten auf. So fragt Detlef Pollack (Frankfurt/ Oder – New York), ob es nicht das eigentlich Unbegreifliche sei, „dass sich in den Strukturen das Verhältnis der kirchlichen Mitglieder zur Kirche so wenig verändert, obwohl doch gleichzeitig beachtliche Erosionsprozesse ablaufen“. Für Michael Moxter (Hamburg) ist deutlich, dass sich zwar die Mitgliedschaft genau bestimmen lasse, aber das Stichwort „Kirchlichkeit“ ein ungenaues Phänomen bleibe. Die „fließenden Grenzen einer Zugehörigkeit“, die sich sogar in „demonstrativer Distanz“ äußern könne, machten die Interpretation schwierig. Für Klaus Tanner (Halle) steht die Kirche im Vergleich zu anderen großen Institutionen „gut da“. „Es verdankt sich einer enormen Leistungen in den Kirchen“, wenn es gelungen sei, einen Kurs zu steuern, durch den die Lage der Kirche relativ stabil gehalten werden konnte.

Hannover / Berlin, 14. Oktober 2003
Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Hinweis:

Die EKD führt seit 1972 im Zehn-Jahres-Abstand Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen durch. Mit empirischen Mitteln geht sie dabei der Frage nach, wie ihre Mitglieder das Verhältnis zu ihrer Kirche sehen und leben. Die Ergebnisse der vorangegangenen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen sind unter folgenden Titeln veröffentlicht:

1972  Wie stabil ist die Kirche?
1982  Was wird aus der Kirche?
1992  Fremde Heimat Kirche

Die Ergebnisse der neuen Kirchenmitgliedschaftsstudie können beim Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover zum Preis von 3 € bestellt werden.
E-mail: Versand@ekd.de  oder per Fax: 0511/2796-457

Statement des EKD-Ratsvorsitzenden, Manfred Kock bei der Pressekonferenz in Berlin

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