"Statement zur Eröffnung der Woche der ausländischen Mitbürger am 23. September 2000 in Hannover"

EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock

23. September 2000

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Evangelische Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz und die Griechisch-orthodoxe Metropolie von Deutschland werden heute Nachmittag hier in der Marktkirche zu Hannover die diesjährige "Woche der Ausländischen Mitbürger" - an vielen Orten sagt man "Interkulturelle Woche" - mit einem ökumenischen Gottesdienst eröffnen. Wir tun dies gemeinsam und danken der hiesigen Gemeinde für die Gastfreundschaft. Dankbar sind wir auch, dass die Stadt Hannover und das Land Niedersachen die Eröffnungsveranstaltungen heute hier in Hannover unterstützen. Dass dafür eigens die Kampagne "Hannover verbindet" als lokale Initiative entwickelt wurde, empfinden wir als eine sehr willkommene Förderung unseres Anliegens.

Das Motto der diesjährigen Woche der Ausländischen Mitbürger lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Als das Motto im vergangenen Jahr ausgewählt wurde, hat keiner von uns ahnen können, dass es in diesen Monaten eine besondere Aktualität bekommen würde. Die Serie der Gewalttaten gegen Ausländer hat uns sehr erschüttert und macht uns weiterhin sehr besorgt. Bewusst wird das zur Zielscheibe genommen, was für uns unantastbar ist: die Würde eines jeden Menschen unabhängig von seiner Herkunft, seinem Geschlecht oder religiösen Bekenntnis.

Jeder Mensch ist ein Bild Gottes, ein Wesen, das Gott entspricht. Deshalb hat niemand das Recht, die Würde eines anderen Menschen anzutasten. Im Gegenteil, wir sind alle verpflichtet, Gottes Antlitz in jedem Menschen, auch in jedem Fremden zu erkennen.

Für mich ist es ein Tabubruch, wenn der erste Satz des ersten Artikels unseres Grundgesetzes - "Die Würde des Menschen ist unantastbar" -, der ja in der biblischen Tradition von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen seine Wurzeln hat, nicht mehr die selbstverständliche Grundlage unseres Zusammenlebens ist. Es ist erschreckend zu sehen, dass der Boden humaner Tradition dünner geworden ist. Das ist ein Ansporn für uns als Kirchen, noch entschiedener für diesen wichtigen christlichen und humanitären Grundgedanken einzutreten.

Doch lassen wir uns nicht täuschen. Gewalt ist nur die Spitze des Eisberges. Die Ablehnung von Fremden sitzt tief. Davon sind auch die nicht ausgenommen, die in unserer Gesellschaft in verantwortlichen Positionen sind. Mich beunruhigt es sehr, wenn in den letzten Monaten in unbedachten Äußerungen zwischen nützlichen Ausländern und solchen, die uns angeblich ausnützen, unterschieden wird. Ich halte das für sehr problematisch. Dies fördert Vorurteile, Ablehnung und Ausgrenzung und nicht den Respekt vor der Würde jedes Menschen.

Aus der Würde des Menschen ergeben sich für mich humanitäre Verpflichtungen. Asylgewährung ist solch eine grundgesetzliche und völkerrechtliche Verpflichtung und keine Wohltat. Politische Flüchtlinge haben Anspruch auf eine faires rechtsstaatlichen Verfahren. Deswegen darf auch in der anstehenden Debatte um die Reglung von Zuwanderung und Asyl dieses Recht wie auch die Rechtswegegarantie nicht angetastet werden.

Immer wieder sind Kirchengemeinden damit konfrontiert, dass das Ausländergesetz mit Unnachgiebigkeit die Ausweisung von zum Teil lange hier lebenden Menschen verlangt. Wir brauchen eine Härtefallregelung im Ausländergesetz, die es erlaubt, in Einzelfällen zu menschlichen Lösungen zu kommen. Die Bundesregierung hatte in der Koalitionsvereinbarung vor zwei Jahren dazu Lösungen in Aussicht gestellt. Wir erwarten jedoch weiter, dass diese auch umgesetzt werden. Wir sind als Kirchen bereit, die Suche nach Lösungen zu unterstützen.

An die Innenminister von Bund und Ländern appelliere ich, sich bei ihrer nächsten Tagung im November für eine Bleiberechtregelung für die rund 35.000 bosnischen Kriegsflüchtlinge zu entscheiden. Die überwiegende Mehrheit ist seit Jahren in Deutschland und gut integriert. Sehr viele gehören zu Gruppen, denen eine Rückkehr in ihre Heimat nicht zumutbar ist, wie beispielsweise Traumatisierte, Alte und Menschen aus gemischt-ethnischen Familien.

Die Woche der Ausländischen Mitbürger will auch dieses Jahr ein Zeichen setzen, dass das gewaltfreie, zivilisierte Zusammenleben Menschen unterschiedlicher Herkunft, nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall sein muss. Alltägliches Zusammenleben und ein Aufeinander Zugehen von Nachbarn und Kollegen schafft Freundschaften, mindert Konflikte und gibt Gelegenheiten, Verbundenheit mit denen zu zeigen, die von Diskriminierung und rassistischen Aggressionen betroffen sind. Integration ist Prävention gegen Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit.

Die Zusammenarbeit der Kirchen untereinander und mit anderen Organisationen vor allem auch mit den Gruppen der Migranten bei der Vorbereitung und Durchführung der "Woche der Ausländischen Mitbürger" ist für uns nicht zufällig, sondern ein bewusstes Signal gemeinsamen Handelns. Denn wir brauchen in dieser Sache nicht nur viele kleine Bündnisse, sondern eine große Koalition.

Das Engagement vieler Gruppen wäre vergeblich, wenn die Politik nicht klare und eindeutige Signale für eine aktive und zukunftsoffenen Integration setzt. Wir brauchen eine Trendwende, die erkennbar macht, dass Fremde in Deutschland willkommen und nicht bedroht sind. Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz, das Anfang dieses Jahres in Kraft trat, wird von vielen Zugewanderten als halbherzig empfunden. Die Einbürgerungsgebühren von 500,- DM für jedes Kind schrecken sozial schwächere Familien ab. Eine deutliche Reduzierung wäre eine eindeutige Geste. Auch sollte die Ende des Jahres auslaufende Frist für Kinder unter 10 Jahren, zu vereinfachten Bedingungen die doppelte Staatsangehörigkeit zu erlangen, verlängert werden.

Ich möchte auch von meiner Seite all denen sehr herzlich danken, die sich in diesem Jahr in dieser "Woche der Ausländischen Mitbürger" und auch bei vielen anderen Gelegenheiten für ein friedvolles Zusammenleben und gegen Fremdenfeindlichkeit engagierten. In meinen Dank schließe auch alle die ein, die in den zurückliegenden 25 Jahren aktiv waren.

Ich bitte die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, engagierte Bürgerinnen und Bürger, die sich für Menschenrechte und den Schutz der Würde von benachteiligten und diskriminierten Menschen einsetzen, zu unterstützen. Sie dürfen nicht durch halbherzige politische Vorgaben entmutigt werden. es wäre fatal, wenn sie den Eindruck gewinnen, daß die Politik ihr Engagement ins Leere laufen lässt.

Aktivitäten wie die "Woche der Ausländischen Mitbürger" sind heute fast noch dringliche als vor 25 Jahren. Ich wünschte mir, dass wir in einigen Jahren sagen können, dass das beispielhafte Miteinander von Christen und Nichtchristen, von In- und Ausländern und die vielen guten Aktion während dieser einen September-Woche zur Normalität aller Kalenderwochen und in allen Abschnitten des Kirchenjahres wird.

Hannover, 23. September 2000
Pressestelle der EKD