Pressekonferenz zur Vorstellung der Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland" in Berlin.

Statement des EKD-Ratsvorsitzenden, Präses Manfred Kock

11. September 2000

Wer sich um das friedliche Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen bemüht, muss die Verantwortung der Religionen für den gesellschaftlichen Frieden bzw. die Bedeutung der Religiosität als Hilfe zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls von Menschen als eine wesentliche Voraussetzung für die Integration begreifen und neu ernst nehmen.

Christen und Muslime leben in Deutschland seit Jahrzehnten nebeneinander her, ohne viel voneinander zu wissen. Die wechselseitigen Kenntnisse der religiösen Sitten und Bräuche und der Lebensgewohnheiten sind mangelhaft.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hält es darum für dringend geboten, nicht nur für den Bereich der kirchlichen Gemeindearbeit - etwa für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen oder Einrichtungen der Jugendarbeit -, sondern auch für andere gesellschaftliche Handlungsfelder wie z.B. am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Krankenhaus die Kenntnisse übereinander und das Verständnis füreinander zwischen Christen und Muslimen zu verbessern. Denn der gesellschaftliche Friede in den kommenden Jahren wird davon abhängen, dass wir das Zusammenleben in Respekt voreinander einüben.

Guter Wille allein genügt nicht. Wissen ist auf beiden Seiten nötig, das sensibel macht für Empfindlichkeiten und das hilft, Unsicherheiten auf den Begriff zu bringen. Wir wollen das unsere dazutun, damit Vorurteile von sachgerechter Aufklärung abgelöst werden, dass die Menschen auf beiden Seiten des Tisches die Andersartigkeit des Glaubens akzeptieren und so auch den Gemeinsamkeiten ihr angemessenes Gewicht geben können.

Deshalb hat der Rat der EKD eine Handreichung zur Gestaltung der Begegnung von Christen mit Muslimen in Deutschland in Auftrag gegeben. Ich freue mich, dass ich das nach intensiver Vorarbeit entstandene Dokument heute der Öffentlichkeit übergeben kann.

Der Titel der Handreichung „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland" unterstreicht die Ausrichtung des Textes: Es geht darum, nicht länger nur nebeneinander her, schon gar nicht gegeneinander, sondern im gegenseitigen Respekt vor den religiösen Verschiedenheiten in dieser Gesellschaft zusammen zu leben. Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Mit allen Menschen guten Willens wollen wir ein Klima aktiver Toleranz schaffen, das der Verständigung und dem Interessenausgleich in unserem Land dient. Wir wissen aus unserer eigenen Seelsorgearbeit in den deutschen Auslands- und Überseegemeinden, dass die eigene Religion für ausländische Minderheiten von besonderer Bedeutung für das Selbstverständnis und die Bewahrung der eigenen Identität ist. Nicht zuletzt darum hält die EKD es für dringend nötig, der religiösen Komponente im Dialog mit den Muslimen in Deutschland mehr Bedeutung beizumessen.

Auch für die gegenwärtige Diskussion um die Eindämmung der Fremdenfeindlichkeit ist dies unentbehrlich. So legt die Handreichung mit theologischen Argumenten dar, dass es keine christliche Begründung für die Ausgrenzung oder gar Verfolgung von Menschen gibt, die einen anderen Glauben als die Mehrheitsbevölkerung haben und mit ihrer abweichenden Glaubenspraxis fremd erscheinen. Die Studie soll helfen, den Menschen in unseren Gemeinden die Furcht vor der Religion ihrer muslimischen Mitbürger zu nehmen. Sie sollen ermutigt werden, bewusst die Begegnung mit Muslimen in der Nachbarschaft zu suchen und dabei auch über den eigenen christlichen Glauben zu reden. Wir wissen, wie schwer das manchem fällt, weil Religion häufig als Privatangelegenheit gilt. Bei vielen Christen ist die Kenntnis selbst des eigenen Glaubens gering. Der Wunsch, Muslime besser zu verstehen, weckt jedoch auch bei vielen Kirchenmitgliedern die Neugier an der eigenen Tradition. Diese Neugier müssen wir wecken und zugleich dafür sorgen, dass Christen über ihren eigenen Glauben sprechen lernen. Das ist unumgänglich, damit das Gespräch der Mehrheitsreligion mit den Angehörigen der religiösen Minderheit gelingt und damit tragfähige Brücken der Verständigung gebaut werden können.

Wir haben uns mit dieser Handreichung vorgenommen, das Verhältnis zum Islam theologisch aufzuarbeiten. Das ist nötig geworden, weil auch in christlichen Strömungen die Unterschiede im Glauben nicht nur zur theologischen Kritik, sondern gelegentlich auch zu einer verzerrten Darstellung des Islam geführt haben. Davon wollen wir uns klar distanzieren. Gleichzeitig können wir nicht davon abgehen, unseren Glauben auch vor Muslimen offen zu bekennen, wie sie es ihrerseits auch umgekehrt tun. Das hat nichts mit Feindschaft zu tun. Wir meinen, dass es möglich ist, mit den Unterschieden friedlich zusammen zu leben, ja, auch aktiv gemeinsam das nachbarschaftliche und gesellschaftliche Leben zu gestalten. Der christliche Glaube gibt uns die Möglichkeit, dafür eine gemeinsame Basis zu finden. Auch bei Muslimen haben wir solche Bereitschaft gefunden. Auf diese Weise ist der christlich-islamische Dialog auch ein aktiver Beitrag gegen die Ablehnung des Fremden, wie sie in rechtsextremen Übergriffen zutage tritt.

In dem Dialog geht es nicht um gutgemeinte Appelle für ein gutes Zusammenleben, sondern wir wollen zu nachvollziehbaren konkreten Schritten ermutigen und dabei die Tatsachen im Auge behalten. Wir wissen von terroristischen Aktionen, die sich auf den Islam begründen; wir sind solidarisch mit den Christen, die in islamisch geprägten Staaten in ihrer Glaubensfreiheit eingeengt sind. Dennoch halten wir für die Situation in Deutschland von den bisherigen Erfahrungen her eine offene Begegnung und ein gedeihliches Zusammenleben für möglich. Wir müssen lernen, zu differenzierten Urteilen zu kommen. Das heißt, uns über verschiedene Themen so auseinanderzusetzen, dass nicht alles ineinandergemengt wird, was irgendwie zusammenzuhängen scheint. Differenziert urteilen, heißt, Kritik in Achtung voreinander üben, falsche Rücksichten vermeiden, aber eben auch nicht respektlos mit Worten aufeinander eindreschen.

Ich hoffe sehr, dass diese Handreichung dazu beitragen wird, dass das Zusammenleben von Christen und Muslimen zum Wohle unserer ganzen Gesellschaft dauerhaft gelingt. Die Handreichung möge Christen wie Muslimen Mut machen, ihren Glauben offen und öffentlich zu bekennen und sich an der Gestaltung des Dialogs in vielen Begegnungen freimütig zu beteiligen.

Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Hannover/Berlin, 11. September 2000
Pressestelle der EKD

Hinweis:
Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland: eine Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland
hg. vom Kirchenamt der EKD
Gütersloh 2000
ISBN 3-579-02373-X