Statement von Professor Dr. Eberhard Busch anlässlich der Pressekonferenz in Berlin

11. September 2000

"Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland" – die Handreichung der EKD will die Glieder und Gemeinden der ihr zusammengeschlossenen Kirchen genau dazu ermutigen und ihnen dazu Anleitung und Klärung geben. Ermutigung wie Klärung sind nötig angesichts von Fremdheit, Unwissenheit und Ängsten, wie es sie bei unserer Gesellschaft, auch in den christlichen Gemeinden gegenüber den Muslimen in unserem Land gibt. Aber – "es führt kein besserer Weg zur Beseitigung von trennenden Gräben und auch zur Überwindung von Fanatismus als der, für ein freundliches Zusammenleben in Achtung vor den anderen einzustehen", wozu für uns "die Bereitschaft zur gegenseitigen Achtung der Religionen gehört", sagt die Handreichung.

So wendet sie sich in erster Linie an ihre eigenen Mitglieder. Unter denen gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen vom Verhältnis zu den Muslimen. Wahrscheinlich wird darum die Handreichung den einen als zu gewagt, den anderen als zu zaghaft erscheinen. Sie ist gleichwohl kein Kompromiss-Papier, sondern sie will die Christen in verantwortlicher Weise dafür gewinnen, den "Andersgläubigen versöhnlich und nicht feindlich zu begegnen", so, daß "sie in ihren Eigenheiten und auch in ihrem religiösen Suchen zu achten und nicht zu verachten" sind. Darum begleitet die Handreichung die Hoffnung, daß auch Muslime selbst in ihr die offene Hand erkennen, die ihnen hier zu einem verträglichen Zusammenleben mit ihnen entgegengestreckt wird. Und wir hoffen, daß die Kirche damit auch einen gesamtgesellschaftlichen Dienst tut.

Die Handreichung enthält drei Teile: eine theologische Orientierung für die Begegnung mit Muslimen, sodann eine Darlegung der rechtlichen Situation der Muslime in Deutschland und schließlich Erläuterungen zu den diversen Praxisfeldern, in denen Christen und Muslime miteinander zu tun haben.

Der wichtigste Teil ist der theologische. Er ist sachlich auch der schwierigste. Denn es gilt darüber Klarheit zu finden, wie wir in Bewährung unseres evangelischen Glaubens aufgeschlossen sein können für Menschen einer anderen Religion. Es gilt hier einen Weg zu gehen, auf dem beides zu vermeiden ist: einerseits eine Vergleichgültigung der eigenen Glaubenserkenntnis durch eine Auffassung, es komme so oder so doch alles auf dasselbe heraus, andererseits eine Verschließung in einem religiösen Elfenbeinturm, aus dessen Warte man Andersgläubige entweder nur ausgrenzen oder für sich einfangen kann. Die Handreichung geht einen Weg da mitten hindurch und tut es mit der These: es sei die Offenheit für die Andersgläubigen zu begründen gerade in der eigenen Identität der christlichen Glaubenserkenntnis.

Ihr theologischer Zentralsatz lautet daher: Es muß "die theologische Deutung der außerchristlichen Religionen sowie Grund und Art der Begegnung mit ihnen im Herzen des christlichen Glaubens selbst angesiedelt sein, im Bekenntnis zum dreieinen Gott." Es wird dann namentlich darauf hingewiesen, daß gerade der Glaube an Jesus Christus, der Christen von den Muslimen trennt, die Christen vielmehr doch nicht von ihnen trennt, sondern neben sie stellt. Denn, so heißt es, Gott wurde in Christus nicht – "Christ", sondern Mensch und hat in ihm die Welt geliebt und mit sich versöhnt und nicht bloß eine "Kirchenwelt". "So begegnen wir Christen Muslimen im Bewußtsein, daß diese Liebe und Versöhnung Gottes auch ihnen gilt."

Dem entspricht die praktische These, die die Handreichung vertritt, daß Christen im Zusammenleben (oder wie das Fachwort heißt: in der Konvivenz) mit Muslimen einen Dialog zu führen lernen, in dem sie ihres eigenen Glaubens erst recht bewußt und nicht entfremdet werden – ein Dialog, der darum das gegenseitige Glaubenszeugnis einschließt und nicht ausschließt. Dialog und recht verstandene "Mission" sind also nicht Gegensätze.

Jenem Grundsätzlichen entspricht ferner auch die methodische Einsicht: es seien im Gespräch mit dem Islam nicht dogmatische Teilaussagen zu vergleichen, um dann so oder so zu Urteilen über den Islam zu kommen. Sondern es sei die andere Religion als ganze zu respektieren. So kommen Muslime und Christen etwa zu ähnlichen Aussagen über den Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes. Aber der Islam kennt keinen Sündenfall; der Mensch braucht nur "Rechtleitung", um auf Gottes Weg zu bleiben. Nach christlichem Glauben braucht der Mensch Erlösung durch Gottes Eingreifen, um zum Frieden mit Gott und darin zur Erfüllung des Willens Gottes zu kommen. Was auf den ersten Blick als Gemeinsamkeit erscheint, läßt also bei genauem Hinsehen auch Differenzen erkennen. Deshalb ist es nötig, "Verbindendes und Trennendes im jeweiligen Gesamtzusammenhang zu sehen und einen Weg zu finden, der die Differenzen zu verstehen lehrt und trotz der Differenzen den Respekt vor der anderen Religion vertieft."

Jenem Grundsätzlichen entspricht auch die Stellungnahme zu dem besonders sensiblen Thema gemeinsame Gottesdienste und Gebete. Muslime können nicht das Gebet in Jesu Namen sprechen, Christen nicht das muslimische Pflichtgebet in ritueller Reinheit. Dahinter steht das unterschiedliche Gottes- und Menschenbild. Darum darf es hier nicht zu voreiligen Vermengungen und kommen. Die Handreichung plädiert für das sogenannte "multireligiöse Gebet". Darin beten Christen und Muslime nacheinander je in ihrem eigenen Ritus. Das Gemeinsame besteht dabei in der stillen, inneren Teilnahme am Gebet der jeweils anderen Seite. Das ist gegenseitige Respektierung ohne Vereinnahmung. Allerdings glauben Christen an den Gott der Gnade, "der sich der verlorenen Welt zuwendet und das Zertrennte ... versöhnen will"; und in diesem Glauben vertrauen sie darauf, daß Gott jedes Gebet erhören kann, auch das verkehrte Gebet von uns wie von anderen.. Darum ist es auch zu bejahen, wenn Christen und Muslime füreinander beten.

Der 3., der Rechtsteil der Handreichung ist, wie ich meine, von hohem informativem Wert. Er zeigt, daß in Deutschland der religiös neutrale Staat die ungestörte Religionsausübung für alle Religionsgemeinschaften gewährleistet, aber auch, daß die Religionsfreiheit nur im Rahmen der gültigen Rechtsordnung gelebt werden darf. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts beruht auf einer differenzierten Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften. Dieser Status ist dem Islam von seiner Tradition her fremd. Doch begrüßen die beiden großen christlichen Kirchen die Bemühungen von in Deutschland lebenden Muslimen, sich so zu organisieren, daß für sie die Voraussetzungen für die Verleihung dieses Status erfüllt sind.

Im 4., dem Praxisteil werden zehn aktuelle Themen behandelt. Für die evangelische Kindergarten-Arbeit werden Regeln aufgestellt, die interreligiöses Lernen und die religiöse Identitätsbildung auch von muslimischen Kindern implizieren. Die Anstellung von muslimischen Kindergärtnerinnen in evangelischen Kindergärten gilt in der EKD weithin als ausgeschlossen. – Im Schulbereich wird die Einrichtung eines ordentlichen Unterrichtsfachs "islamischer Religionsunterricht" unterstützt. – In dem Abschnitt über die christlich-muslimische Ehe werden die praktischen Fragen bis hin zum Ehevertrag abgehandelt. Es werden auch die sozialen Konfliktbereiche beschrieben, aber auch die Chance, daß solche Partnerschaften zu einem Bereich eines intensiven Dialogs werden. Die Gemeinden dürfen solche Partnerschaften nicht als Verrat am christlichen Bekenntnis beurteilen, aber werden an ihre besondere seelsorgerliche Verantwortung für sie erinnert. – Es folgen Hinweise auf eine rücksichtsvolle Gestaltung des Zusammenlebens in Arbeitswelt, Krankenhaus, Altenheime, Strafvollzug und Friedhofswesen. - In dem Abschnitt über den Moscheebau wird auch die Frage des öffentlichen Gebetsrufs besprochen. Hier wird die Herausforderung gesehen, "ob sich Muslime und Christen ... so weit verständigen können, daß der öffentliche Friede und jene Toleranz gefördert werden, die alle Religionsgemeinschaften für ihr gedeihliches Leben wie auch für das Zusammenleben über die Religionsgrenzen hinaus brauchen."

Ich schließe mit dem Verweis auf Worte des Theologen Karl Barth am Ende des Textes. Demnach geht es in echter Begegnung darum, daß man einander sieht, miteinander redet, aufeinander hört, sich gegenseitig Beistand leistet – und zwar, indem man das alles gerne tut. Ja, eben zu solcher Begegnung möchte die Handreichung animieren.

Professor Dr. Eberhard Busch, Göttingen, ist Vorsitzender der ad hoc-Kommission für Islamfragen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Hannover, 11. September 2000
Pressestelle der EKD

Hinweis:
Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland: eine Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland
hg. vom Kirchenamt der EKD
Gütersloh 2000
ISBN 3-579-02373-X