Zur Verabschiedung von Bischof Christian Zippert in den Ruhestand und zur Einführung von Dekan Dr. Martin Hein als Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in der St. Martinskirche in Kassel

EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock

31. August 2000

Liebe Festgemeinde!

In diesem Gottesdienst wird der Dekan Dr. Martin Hein, der nach der Ordnung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck zum Bischof gewählt wurde, in sein Amt eingeführt. Zugleich wird sein Vorgänger, Bischof Dr. Christian Zippert, in den Ruhestand verabschiedet.

Zu diesem Amtswechsel lese ich die Losung dieses Tages aus dem
1. Samuel Buch 3, 4:

„Der HERR rief Samuel.
Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich„.

Liebe Brüder Christian Zippert und Martin Hein!

Eine schöne Losung will mir das scheinen für diesen Tag. Gott ruft ins Bischofsamt, wie vor alten Zeiten Samuel, den Priester und Propheten. Und die Antwort lautet: „Siehe, hier bin ich„.

Sie, Bruder Zippert, haben Ihre Amtszeit vor Augen, die nun endet. In der Wahl zum Bischofsamt haben Sie Gottes Ruf gehört, haben sich zur Verfügung gestellt – ohne Wenn und Aber. Manches Mal haben Sie gewiss auch geseufzt unter der Bürde des Amtes. Aber Sie sind da gewesen. „Siehe, hier bin ich!„

Und Martin Hein, auch Sie haben in der Wahl zum Bischofsamt den Ruf Gottes gehört und sagen wie damals Samuel: „Siehe, hier bin ich„.
Sie haben nicht, wie Samuel an der Bundeslade gelegen, als Gottes Ruf erging. Die Übertragung des Bischofsamtes erfolgt nach kirchlicher Ordnung mit Kandidatensuche, Wahl und feierlicher Einführung. Aber darin ist Gottes Ruf zu vernehmen. Das ist klar.

Viele haben dazu um Gottes Segen gebeten, haben die Hände gefaltet, haben mit Rat und fördernder Kritik den jetzt scheidenden Bischof begleitet. Und ebenso wird es mit dem neuen Bischof sein. Er steht in der Gemeinde Jesu Christi nicht allein. Die ihn gewählt haben und die ihn nicht gewählt haben, werden zu ihm stehen und ihn stärken für den Dienst.
Die aus den Evangelischen Kirchen, aus den ökumenisch verbundenen Auslandskirchen, aus den Mitgliederkirchen der ACK, sie alle haben es so bei Christian Zippert getan und werden es so tun bei Martin Hein. Diese Fülle der Unterstützung stärkt für ein Amt, das ganz persönlich wahrgenommen werden will mit den Gaben und Kräften, die zur Verfügung stehen; das stärkt für ein Amt, das auch einsam machen kann. Und so gilt nichts anderes als der Satz: „Siehe, hier bin ich„!

Der Ruf an Samuel, damals am Heiligtum zu Silo war undeutlich. Der junge Priesterschüler, der da die Nacht an der Bundeslade verbrachte, vermutete, sein Lehrer, der alte, fast blinde Eli habe gerufen. Und Eli vermutete bei Samuel unruhigen Schlaf. Erst beim dritten Mal klärt sich, wer der Rufende war: Gott, der sich mit Namen bekannt gemacht und den Bund geschlossen hatte mit dem Volk auf dem Weg in die Freiheit. Der ruft Samuel mit Namen. Und der antwortet klar: „Rede, Dein Knecht hört!„

Sie, lieber Martin Hein, sind beim Namen gerufen. Der Weg, der vor Ihnen liegt, ist ein wichtiger Abschnitt für Sie und für die Kirche. Der Weg wird schwer sein, denn die Kirche steht in einer Umbruchsituation. Aber bei alle dem, was von Ihnen erwartet wird, geht es um nicht mehr und nicht weniger als um „Hinhören„.

Sie haben Erfahrungen gesammelt in der Arbeit der Kirche; Sie sind wissenschaftlich ausgewiesen und haben gelernt, die Praxis der kirchlichen Arbeit zu reflektieren. Sie wissen, wie wichtig das Wort der Kirche heute ist.

Bei all dem ist und bleibt es die erste und wichtigste Aufgabe: Hinhören. Hören auf Gottes Wort, hören auf die Fragen und Sorgen der Menschen, hören auch auf alles Unausgesprochene, Unsichere, Suchende.

Gott rief Samuel beim Namen – Er war bereit zu hören und Gottes Willen zu vermitteln. Es war eine verwüstete Zeit damals. Das Wort war teuer geworden, selten wirksam. Die traditionellen Priester und Propheten kreisten um ihre Interessen. Silo hatte aufgehört, Gottes Stätte zu sein. Die Regelmäßigkeit des Kultus war kein Beweis für Gottes Nähe. Heute ist die Zeit darin durchaus vergleichbar. Und heute ergeht das Wort Gottes in der Gestalt des Fleischgewordenen Wortes: Jesus von Nazareth. Seine Botschaft braucht diese Welt nötiger denn je. Wie bei Samuel ist diese Gottesbotschaft frisch und lebendig. Das ist die Hoffnung für heute, auch für diesen Abschnitt der Geschichte von Kurhessen-Waldeck. Diese Kirche steht in der Gemeinschaft unserer Evangelischen Kirchen in Deutschland und in ökumenischer Verbundenheit mit Schwesterkirchen. Die Zeit für das gemeinsame Zeugnis ist wichtiger denn je.

Wir wissen: Keine Kirche, die von Kurhessen-Waldeck bildet da keine Ausnahme, ist das Arbeitsfeld eines Einzelnen. Als Bischof haben Sie Menschen um sich, die den Weg mit Ihnen gehen. Die haben den gleichen Ruf gehört, sind bereit zu sagen: „Hier bin ich„. Mit denen werden Sie Ihren Weg gehen. Mit denen sind Sie für Ihre Kirche Vermittler und Impulsgeber. Sie sind nicht der erste Bischof, Sie haben Vorgänger gehabt, an die Sie anknüpfen. Und einer, Christian Zippert, übergibt Ihnen das Amt.
Was seine Zeit für die Landeskirche bedeutet hat, wird heute noch ausführlich gewürdigt. Ich will aus der Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland einiges von dem aufzeigen, was wir ihm verdanken.

Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, geographisch in der Mitte der EKD gelegen, bestimmt auch gern ihren theologischen Ort in der Mitte. Ob nun Zentrum oder der Ort, an dem sich jene treffen können, die von verschiedenen Positionen aufgebrochen sind - Sie haben, Bruder Zippert, auf sympathische und eindrucksvolle Weise diese beiden Dimensionen einer Mitte dargestellt.

Als evangelischer Christ in Bayern aufgewachsen, haben Sie sich ein tiefes Verständnis der katholischen Kirche bewahrt. Von den Kirchengebäuden, die Ihnen in Ihrem Leben wichtig waren, haben einige geradezu symbolische Bedeutung erhalten. Die Dorfkirche in Ihrer ersten Gemeinde hatte den heiligen Martin zum Patron. Der Kreis schließt sich für Sie in der Bischofskirche, der Martinskirche. Sie ist auch die Grabstätte des Landgrafen Karl, der die Hugenotten in Nordhessen angesiedelt hat und damit ein unübersehbares Zeichen der Toleranz gegeben hat. Eine unverzichtbare Eigenschaft für jemanden, der wie Sie Brücken bauen wollte. In Ihrem Propstamt waren Sie an der Elisabethkirche in Marburg. Elisabeth, die deutsche Schwester des italienischen Franziskus - Sie haben beiden Raum in ihrem Denken und Fühlen gegeben und dem in zahlreichen Predigten und Vorträgen Ausdruck verliehen. Nicht zuletzt dies und Ihre unverstellte Offenheit waren es wohl, die Sie zu einem werbenden und Vertrauen gewinnenden Botschafter des evangelischen Glaubens im ökumenischen Kontext machen. Sie haben den Reichtum der Ökumene bezeugt darin, wie Sie die ökumenischen Partnerschaften wahrgenommen haben.

Diese ökumenische Weite hat einen Grund in jener anderen Dimension der Mitte. Ich meine den Gottesdienst als Zentrum Ihres Wirkens. Ihr besonderes Profil unter den Bischöfen haben Sie vor allem anderen durch das vielfältig praktische und theoretische Engagement für den Gottesdienst. Sie sind nicht nur der sachkundige und anregende Gestalter der Agenden dieser Landeskirche, die im Raum der EKD einen guten Namen haben. Die EKD verdankt Ihnen viel im Blick auf die Säulen, auf denen der Gottesdienst ruht. Ich meine Ihre Mitarbeit bei der Revision der Bibelübersetzung und der Neugestaltung des Gesangbuches. Bibel, Gesangbuch, Liturgie - Sie haben sich zentrale Aufgabenfelder gewählt - oder sich für sie wählen und gewinnen lassen. Insbesondere die Lieder sind für Sie immer die angemessenste Weise gewesen, unseren Glauben verdichtet in Sprache zu fassen und anderen weiterzugeben. Sie haben viele Lieder in Predigten ausgelegt. Gebete haben Sie gesammelt und herausgegeben - vor allem aber in großer Zahl selber geschaffen. Vielen Menschen fällt es leicht, in Ihren Worten sich selber wiederzufinden und Ihre Worte nachzusprechen. Sie sind in unserer evangelischen Kirche ein Sprachhelfer des Glaubens geworden. Dafür sage ich Ihnen im Namen der EKD herzlichen Dank.

Lieber Bruder Hein, in dieses Vorgängers Nachfolge stehen Sie. „Hier bin ich„, haben Sie gesagt. Haben bald erkannt, es ist nicht irgendein Eli in Ihrer Nähe, der Sie ruft, nicht irgendeine Gruppe oder Richtung. Es ist Gott selbst. Öffnen Sie Ihm Ihr Ohr und Ihr Herz. Dann wird Ihr Dienst gesegnet sein.

Amen

Hannover, 31. August 2000
Pressestelle der EKD