Die Erinnerung wach halten - gemeinsam Verantwortung übernehmen

Erklärung zur Beteiligung der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie an der Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern

12. Juli 2000

Die politischen Entscheidungen zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" stehen unmittelbar vor dem Abschluss. Zweck der Stiftung ist es, über Partnerorganisationen Finanzmittel zur Gewährung von Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und von anderem Unrecht aus der Zeit des Nationalsozialismus Betroffene bereitzustellen. Die evangelische Kirche und ihre Diakonie begrüßen die Errichtung dieser Stiftung. Sie danken allen, die mit Beharrlichkeit und Sensibilität dazu beigetragen haben, dass über schwierige Phasen hinweg die Verhandlungen und Beratungen zu einem akzeptablen Ergebnis geführt werden konnten. Sie sehen in der Errichtung der Stiftung ein Zeichen und eine bleibende Verpflichtung dafür, dass die heutige Generation des deutschen Volkes die Erinnerung an finstere Zeiten seiner Geschichte nicht verdrängt und gemeinsam Verantwortung für das in der Zeit des Nationalsozialismus geschehene Unrecht übernimmt.

Die evangelische Kirche und ihre Diakonie haben sich entschlossen, selbst einen Betrag von 10 Millionen DM in die Stiftung einzuzahlen. Das Gesetz zur Errichtung der Stiftung sieht ausdrücklich vor, dass die Stiftung Zuwendungen von Dritten annehmen kann. Dies mindert nicht die Verpflichtung der deutschen Wirtschaft und des Bundes, die Stiftung mit einem Betrag von jeweils 5 Milliarden DM auszustatten. Aber es bringt deutlich zum Ausdruck, dass die Aufbringung der Mittel für die Stiftung nicht in eine direktes Verhältnis zur damaligen Beschäftigung von Zwangsarbeitern gesetzt werden kann, sondern die gemeinsame Angelegenheit der heutigen Generation des deutschen Volkes ist: der heutigen Unternehmen, der heutigen Bürgerinnen und Bürger, aber auch weiterer gesellschaftlicher Kräfte.

Die evangelische Kirche und ihre Diakonie appellieren bei dieser Gelegenheit erneut an die deutsche Wirtschaft, den auf sie entfallenden Anteil für die finanzielle Ausstattung der Stiftung so rasch wie möglich aufzubringen. Die Errichtung der Stiftung entspringt ohnehin nicht bloß moralischen Motiven, sondern dient der Abwehr von möglichen juristischen Klagen und von wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen und damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteilen. Um so mehr hat die deutsche Wirtschaft Anlass, die volle Arbeitsfähigkeit der Stiftung umgehend herzustellen.

Auch in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie sind Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen. Dies war Beteiligung an einem Zwangs- und Unrechtssystem. Wir bekennen diese Schuld. Deshalb haben wir - unabhängig von unserem finanziellen Beitrag zur Stiftung - die Bemühungen fortgesetzt, die eigene Verstrickung in das Unrecht der Zeit des Nationalsozialismus zu untersuchen. Wir werden die Ergebnisse der Forschungen, sobald sie vorliegen, publizieren und öffentlich zur Diskussion stellen. Zwangsarbeit ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar. Die dunklen Seiten der Vergangenheit müssen aufgedeckt werden, um den Opfern der Gewalt auch auf diese Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und um für sich selbst die Ursachen der Verstrickung in Unrecht und Gewaltherrschaft genauer wahrzunehmen.

Hannover/Stuttgart, den 12. Juli 2000

Präses Manfred Kock, Vorsitzender des Rates der EKD
Präsident Jürgen Gohde, Diakonisches Werk der EKD