Woche für das Leben 2000

Statement des EKD-Ratsvorsitzenden, Präses Manfred Kock

28. Juni 2000

Plakat der Woche für das Leben

Die Evangelische Kirche in Deutschland richtet seit 1994 die Aktion "Woche für das Leben" gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz aus. Zentrale ethische und gesellschaftliche Fragen wie den Lebensschutz können wir in ökumenischer Gemeinsamkeit vertreten. Der Schutz des Lebens ist kein "Sonderanliegen" einer Konfession, denn hier geht es um eine gemeinsame Aufgabe. Unsere Zusammenarbeit hat sich bewährt. Einer der Höhepunkte war die gemeinsame Erklärung "Gott ist ein Freund des Lebens" von 1989, die mit ihren zentralen Aussagen nach wie vor so etwas wie eine "Magna Charta" des Lebensschutz-Engagements der Kirchen ist. Aus der Tatsache, dass wir mit den Katholiken gemeinsam jetzt das zehnjährige Jubiläum begehen, mögen Sie ersehen, wie sehr für uns evangelische Christen diese Aktion zu unserer Sache geworden ist.

Lassen Sie mich einige Worte zum Motto der diesjährigen Woche für das Leben sagen. "Leben als Gottes Bild"- damit wollen wir unterstreichen: Menschliches Leben ist unendlich wertvoll. Es ist immer und unter allen Umständen wertvoll, auch in Grenzsituationen. Menschliches Leben an seinem Beginn ist kein Zellhaufen oder ein "biologisches Phänomen", es ist nicht ein stumpfes "Vorstadium" und damit tierischem Leben vergleichbar, wie der Ethiker Peter Singer etwa behauptet. Es ist vielmehr Leben, das Gott geschaffen hat nach seinem Bild, d.h. nach seinem Willen und seiner Vorstellung. Es besitzt auch in seinem frühen Stadium Würde und volle Schutzwürdigkeit. Menschliches Leben an seinem Ende ist ebenfalls Leben als Gottes Bild. Mag dieses Leben schwach werden, es ist doch Leben als Gottes Bild, es hat doch volle Würde und vollen Anspruch auf Achtung und Schutz.

Wenn wir unterstreichen, dass menschliches Leben als Gottes Bild gesehen werden muß, dann wenden wir uns damit auch gegen Menschenbilder, die Menschen als anonyme Nummern, als Kostenfaktoren, als Manövriermasse verstehen. Wir wenden uns gegen Deklassierung, Demütigung, Instrumentalisierung und Knechtung von Menschen. Der Mensch ist mehr als seine Leistungen, mehr als seine körperlich-seelischen und seine geistigen Fähigkeiten, mehr als seine Herkunft, seine gesellschaftliche Stellung oder sein Besitz.

Die Entwicklung der modernen Biomedizin in den Bereichen Pränataldiagnostik, Genomanalyse, Gendiagnostik, Gentherapie, Xenotransplantation, Stammzellenforschung nimmt gegenwärtig Formen an, die uns Sorgen machen. Es ist nicht so sehr das, was technisch möglich wird, als vielmehr der Geist, der hinter diesem Fortschritt steht. Hier kommt ein neues, anderes, problematisches Bild vom Menschen und vom menschlichen Leben ins Blickfeld. Aussagen einiger Wissenschaftler verstärken unsere Befürchtungen, etwa dann, wenn der amerikanische Biologe Lee Silver erklärt: "Jetzt wird alles machbar". Oder wenn der Biophysiker Gregory Stock vollmundig behauptet: "Wir übernehmen gerade die Kontrolle über unsere eigene Evolution. Es gibt keinen Weg, diese Technik aufzuhalten." Im Deutschlandfunk konnte man vor wenigen Wochen einen amerikanischen Mikrobiologen im Originalton hören, der sagte: "Menschenwürde? Ich weiß nicht, was das ist. Ich bin ihr noch nie begegnet."

Ich habe durchaus nicht die Sorge, dass alle Genforscher und Mikrobiologen so denken, aber wenn solche Menschenbilder und solche Maßstäbe im Denken der Menschen Raum gewinnen, beunruhigt mich das sehr wohl, denn sie meinen etwas ganz anderes als die unantastbare Würde und die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die Kirchen werden diese Entwicklung wachsam mitverfolgen und die nötigen kritischen Anfragen stellen.

Denn es ist ein Unterschied, ob wir Menschen nach ihrer Gesundheit beurteilen, nach ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Hautfarbe bzw. ihrer ethnischen Zugehörigkeit, oder ob wir in jeder Frau und in jedem Mann ein Bild Gottes sehen. Das Bild vom Menschen, das wir uns machen, ist maßgeblich dafür, wie wir Lebenschancen vergeben. Wo von Menschen als von "Untermenschen" gedacht wird, da werden auch Lebensbedingungen für "Untermenschen" geschaffen, Benachteiligungen und Ausgrenzungen. Die Bedrohung des Lebens beginnt in den Köpfen der Menschen und in ihren Herzen.

Aber auch der Schutz des Lebens beginnt in den Vorstellungen, im Nachdenken und in der Ausprägung des Bildes, das wir uns vom Menschen machen. Wir Christen müssen deshalb eintreten für eine Kultur des Erbarmens und für die Bewahrung der "ethischen Ressourcen" in der Gesellschaft, damit von ihnen Schutzwirkungen für den Menschenausgehen können. Es geht darum, dass ein Leben als Gottes Bild sich unter menschenwürdigen Bedingungen entfalten kann.

Wir sind überzeugt, dass Gemeinden und Kirchenkreise, die in der Woche für das Leben Veranstaltungen unter dem Motto "Leben als Gottes Bild" durchführen werden, etwas von der großen Aktualität dieses Mottos deutlich machen und dass die Woche für das Leben ein Erfolg wird.

Hannover, den 28. Juni 2000
Pressestelle der EKD