"Eine prägende Gestalt des Nachkriegsprotestantismus"

Die EKD trauert um Vizepräsident i.R. D. Erwin Wilkens

29. Januar 2000

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) trauert um den langjährigen Vizepräsidenten ihrer Kirchenkanzlei, D. theol. Erwin Wilkens, der am 28. Januar 2000 im Alter von 85 Jahren verstorben ist. Erwin Wilkens war eine der markanten und prägenden Gestalten des Nachkriegsprotestantismus. Seine 1993 erschienenen Lebenserinnerungen hat er unter den Titel "Bekenntnis und Ordnung. Ein Leben zwischen Kirche und Politik" gestellt. Mit diesem Titel hat er die Eckpunkte seines Lebensweges und seiner beruflichen und theologischen Existenz benannt.

Erwin Wilkens war am 11. Juli 1914 in Lingen/Ems geboren. Mit dem Ende der Schulzeit und der Entscheidung zum Theologiestudium, das er in Münster, Tübingen und Göttingen absolvierte, begann seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Er wußte davon viele farbige, aufschlußreiche Geschichten zu erzählen, die zum Teil auch Eingang in seine Erinnerungen gefunden haben. Das Ende des 2. Weltkrieges erlebte er als Offizier im Generalstab des Heeres. Im Rückblick hat er geschrieben: "Mit der Deutung der nationalsozialistischen Ära werden wir Älteren nie fertig werden. Immer wieder neu steht man ratlos vor diesen Absurditäten und Abgründen."

Nach einigen Jahren im Pfarramt von 1945 bis 1951 und im Dienst der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) von 1951 bis 1964 wurde er 1964 Mitarbeiter der seinerzeitigen Kirchenkanzlei der EKD und 1974 deren Vizepräsident. Erwin Wilkens' besondere Leidenschaft lag auf dem Gebiet der öffentlichen Verantwortung der evangelischen Kirche, also des kirchlichen Dienstes in Politik, Staat und Gesellschaft. Er hat es selbst so beschrieben: "Es ist und bleibt ein Erbe der Bekennenden Kirche, daß die evangelische Kirche mit der Tradition einer unkritischen Staatskirche gebrochen hat. Nur aus einer Position der Unabhängigkeit heraus konnte sie ihren politischen Dienst durch Verkündigung von Gottes Gebot und Gerechtigkeit gegenüber den Regierenden und Regierten kritisch wahrnehmen."

Wilkens' Name bleibt vor allem verbunden mit der sogenannten Ostdenkschrift von 1965: "Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn". Die "Ostdenkschrift" gilt mit Recht als eine der einflußreichsten und wichtigsten politischen Äußerungen der EKD. Ihre Wirkung verdankt sie nicht dem Umstand, daß sie kompromißlos zugespitzte politische Positionen vertreten hätte. Das hätte auch gar nicht dem Verständnis entsprochen, das Erwin Wilkens vom Verhältnis von Kirche und Politik hatte. Die "Ostdenkschrift" hat mit klugen Abwägungen und eher leisen Tönen das rechte Wort zur rechten Zeit gefunden und durch den Tabubruch, den sie seinerzeit darstellte, der Aussöhnung vor allem mit Polen den Weg geöffnet.

Erwin Wilkens hat viele Jahre seines Lebens und seiner Schaffenskraft dem "Kirchlichen Jahrbuch" und damit der Aufbewahrung der Erinnerung an die Vorgänge der kirchlichen Zeitgeschichte gewidmet. Er ist selbst ein bedeutendes Stück der jüngsten Geschichte der evangelischen Kirche in Deutschland. Die EKD und viele Menschen in Kirche und Öffentlichkeit erinnern sich seiner mit dankbarem Herzen und danken Gott für seine Begabungen, sein Leben und sein Werk.

gez. Valentin Schmidt
Präsident des Kirchenamtes der EKD

Hannover, 29. Januar 2000
Pressestelle der EKD