"Gerechtigkeit erhöht ein Volk"

Erklärung des Rates der EKD zur Parteispendenaffäre

28. Januar 2000

Chorin (Brandenburg), 28. Januar 2000

Politische Affären erschüttern zur Zeit das Land. Vor allem der Parteispenden-Skandal übertrifft in mancher Hinsicht früher aufgedeckte Vorfälle. Die geltenden Gesetze wurden ausgerechnet von Politikern durchbrochen, die an ihrer zweimaligen Verschärfung mitgewirkt und zuvor durch ihr eigenes Verhalten zu dieser Verschärfung Anlaß gegeben hatten.

In dieser Situation warnen wir jedoch vor jeder kollektiven Pauschalisierung - nicht einmal gegenüber der betroffenen Partei, auch nicht gegenüber den Parteien oder gar der Politik insgesamt. Wer die notwendige exakte Aufklärung verlangt, muß selber auch genau hinsehen; und das heißt zugleich: kritisch und präzise unterscheiden.

Wir bekunden all jenen Respekt, die sich um eine umfassende Aufklärung bemühen und dafür manche Belastungen, Zweifel und Vorwürfe von Gegnern und auch aus den eigenen Reihen in Kauf nehmen; sie bezeugen damit den Vorrang des Rechts vor der Macht und den Vorrang der Treue zum Gemeinwesen vor der Loyalität zur Partei.

Im weiteren Fortgang der Aufklärung wird sich erweisen: Nur in der Demokratie läßt sich politisches Fehlverhalten aufdecken und schließlich bewältigen. Die Demokratie zeichnet sich dadurch aus, daß in ihr Skandale wenn schon nicht gänzlich vermieden, so doch offengelegt werden. Dies ist ein Ausweis ihrer Leistungsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit und eben kein Grund, ihr die grundsätzliche Zustimmung zu entziehen.

Die Demokratie rechnet damit, daß Menschen gerade in politischen Ämtern Versuchungen ausgesetzt sind. Darin entspricht sie dem christlichen Menschenbild. Inhaber politischer Ämter brauchen Machtbegrenzung und Kontrolle. Darauf ist allein der demokratische Rechtsstaat eingestellt. Darin bewährt er sich auch jetzt - zumal mit der Unterstützung wachsamer Bürger und der sie informierenden Medien. Auch das Interesse an Auflagen und Quoten macht unangenehme Wahrheiten nicht unwahr.

Die Demokratie setzt geheime und freie Wahlen voraus. Geheime und ungezügelte finanzielle Einflüsse muß sie aber ausschließen. Deshalb handelt es sich bei der gesetzlichen und verfassungsrechtlich gebotenen Offenlegung der Finanzverhältnisse der Parteien nicht um bloße Formalien, sondern um elementare Funktionsbedingungen der freiheitlichen Demokratie. Die Aufklärung unerlaubter Finanzierungspraktiken ist also nicht nur aus Gründen der Gesetzestreue geboten.

Diese Aufklärung muß ohne Ansehen der Person erfolgen. Aber sie muß in einem Klima stattfinden, in dem sich jene, die an der Aufklärung mitwirken wollen, noch sehen lassen können - vor sich selbst, vor den Parteifreunden, vor den politischen Konkurrenten, vor den Bürgern. Aus christlicher Perspektive muß Schuld aufgedeckt und zur Sprache gebracht werden - aber nicht, um Menschen zeitlebens auf ihre Fehler festzulegen, schon gar nicht im Eigeninteresse ihrer politischen Konkurrenten. Es geht darum, diesen Skandal hinter sich zu lassen - aber dazu muß er zuerst vor aller Augen stehen. Nur so läßt sich die Bereitschaft der Bürger zu einem eigenen politischen Engagement für die Politik und in den Parteien glaubwürdig fördern.

"Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben" (Sprüche 14, 31). Diese Mahnung richtet sich an alle, nicht nur an die Inhaber politischer Ämter. Wer von Politikern Gesetzestreue verlangt, muß sie selber üben.

Hannover/Chorin, 28. Januar 2000
Pressestelle der EKD