Zum Kosovo-Krieg

Erklärung des Rates der EKD

29. Mai 1999

Angesichts der äußeren Not und der Gewissensbedrängnis, die der Kosovo-Krieg hervorruft, bittet der Rat der EKD die Gemeinden und jeden einzelnen Christen, nicht müde zu werden im Gebet. Wir beten um ein Ende der verbrecherischen Gewalt, die den Kosovo-Albanern zugefügt wird, und um ein Ende der Bombardierungen, die im Kosovo und in ganz Jugoslawien viele unschuldige Opfer fordern und für die gesamte Bevölkerung verheerende Auswirkungen haben. Wir beten um Klarheit für unser eigenes Urteil und um Vergebung der Schuld, in die alle verstrickt sind. Für die Menschen in politischer Verantwortung beten wir um Weisheit und Beharrlichkeit in der Suche nach einer politischen Lösung. Wir glauben, daß Gott die Welt in seinen Händen hält und Menschenherzen wenden kann.

Beten und Handeln gehören zusammen. Vertreibung und Krieg müssen beendet, den Vertriebenen muß die Rückkehr ermöglicht werden. Wir danken allen, die durch persönlichen Einsatz und Geldspenden dazu beitragen, die Not der Opfer dieses Krieges zu lindern. Diese Hilfe muß fortgesetzt und verstärkt werden, sie soll allen Opfern des Krieges zugute kommen, ganz gleich auf welcher Seite sie sich befinden. Dazu gehört auch die weitere Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen in unserem Land.

Wir sind uns einig: Die internationale Staatengemeinschaft kann und darf Verbrechen gegen die grundlegenden Menschenrechte, wie sie in der Verantwortung von Milosevic seit vielen Jahren in Bosnien und jetzt im Kosovo geschehen, nicht tatenlos hinnehmen. Sie stehen im Gegensatz zu Gottes Gebot. Unter uns bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob das militärische Vorgehen der NATO zu rechtfertigen ist. In dem Dilemma, daß nach Gottes Willen weder Menschenrechtsverletzungen noch Krieg sein sollen, bleibt niemand ohne Schuld.

Viele haben während dieses Krieges ihr eigenes Urteil immer wieder überprüft, vielleicht auch verändert. Dabei hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß es in den unterschiedlichen Positionen nicht - wie in den friedensethischen Auseinandersetzungen früherer Jahrzehnte - um ein Gegeneinander von Glauben und Unglauben, von Bekenntnis und Verleugnung des Bekenntnisses geht. Auf dem Boden gemeinsamer friedensethischer Grundsätze, wie sie von der EKD 1994 unter dem Titel "Schritte auf dem Weg des Friedens" veröffentlicht wurden, ringen wir um die heute nötigen und möglichen Mittel zum Frieden. Niemand kann sich in dieser Situation seines Urteils völlig sicher sein. Darum sind wir es uns gegenseitig schuldig, aufeinander zu hören.

Nachdrücklich stellen wir uns hinter alle Anstrengungen, Vertreibung und Krieg auf dem Weg politischer Vernunft rasch zu beenden. Die internationale Staatengemeinschaft wird sich schon jetzt auf ein lange währendes politisches und wirtschaftliches Engagement auf dem Balkan einstellen müssen. Wir begrüßen die Überlegungen, Ländern dieser Region im Rahmen der EU zu mehr Stabilität zu verhelfen. Eine Realisierung solcher Vorschläge setzt voraus, daß die Bereitschaft bei der Bevölkerung der EU-Staaten geweckt und aufrechterhalten wird, die dabei entstehenden Belastungen auf Dauer zu tragen.

Wir rufen unsere Gemeinden auf, weiterhin in ökumenischer Zusammenarbeit, gerade auch mit den serbisch-orthodoxen Christen in Deutschland, zu Friedensgebeten einzuladen. Wir unterstützen die Bemühungen der Konferenz Europäischer Kirchen, des Ökumenischen Rates der Kirchen und anderer ökumenischer Organisationen, in Gemeinschaft mit den Kirchen im Osten und Südosten Europas die Anerkennung und Durchsetzung universaler Menschenrechte zu fördern und den Schutz von Minderheiten zu stärken. Die zivilen Friedensdienste, die in der Phase der Entstehung und Zuspitzung des Kosovo-Konfliktes keine ernsthafte Chance hatten, werden nach dem Ende des jetzigen Krieges dringender denn je gebraucht, um die Mauern von Haß und Mißtrauen abzutragen und Versöhnung zu stiften.

Hannover, den 29. Mai 1999
Pressestelle der EKD