Grußwort zur Eröffnung des ökumenischen Gottesdienstes anläßlich des Staatsaktes zum 50. Gründungstag der Bundesrepublik Deutschland, im Dom zu Berlin

EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock

24. Mai 1999

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Liebe ökumenische Gemeinde,

zugleich auch im Namen von Bischof Lehmann begrüße ich Sie alle sehr herzlich zum ökumenischen Gottesdienst am Pfingstmontag anläßlich des Staatsaktes zum 50. Gründungstag der Bundesrepublik Deutschland im Dom zu Berlin. Dank sage ich all denen, die diesen Gottesdienst mit vorbereitet haben, ihn musikalisch gestalten und liturgisch mitwirken.
Der Evangelischen Kirche der Union und ihrer Domgemeinde sei schließlich ebenfalls gedankt für die Gastfreundschaft an diesem Tag.

Wir blicken in diesen Tagen zurück auf die Geschichte der Bundesrepublik und die Ursprünge und Anfänge ihrer Verfassung. Wir erinnern uns, wieviele Hoffnungen mit der Gründung unseres freiheitlichen, demokratisch und rechtsstaatlichen Gemeinwesens verbunden waren. In "Verantwortung vor Gott und den Menschen" wurde ein staatlicher Neuanfang gewagt, in dem Gerechtigkeit und Freiheit, politische Selbstbestimmung und soziale Verantwortlichkeit für alle Deutschen gelten sollen.

Damals lagen noch allerorten die Städte in Trümmern. Die Ruinen mahnten, bei dem Aufbau eines demokratischen Staatswesens nicht zu vergessen, wohin menschlicher Hochmut führen kann.

Nun prägt seit einem halben Jahrhundert das Grundgesetz die freiheitliche Demokratie und den sozialen Rechtsstaat unserer Republik. Dafür sind die Menschen in unserem Land dankbar. Diesen Dank bringen wir auch in diesem Gottesdienst zum Ausdruck. Wir beziehen diesen Dank auch auf den Bereich der Freiheit des Glaubens und des Gewissens. Die Partnerschaft von Staat und Kirchen ist ein Ausdruck dieser Freiheit. Viele Formen verläßlicher Kooperation haben zum sozialen Wohlergehen beigetragen und die Lebensqualität aller Menschen in unserem Land verbessert.

Vierzig Jahre beschränkte die Teilung Deutschlands den Geltungsbereich des Grundgesetzes auf die westlichen Bundesländer. Zahllose Einzelpersonen und viele Kirchengemeinden haben in dieser Zeit durch die Pflege von persönlichen Kontakten und durch Gemeindepartnerschaften das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit wachgehalten, haben - erfüllt vom Geist der Freiheit unserer Verfassung - über die Mauer hinweg bei den Menschen die Sehnsucht nach dem Ende der Diktatur aufrechterhalten.

Vor zehn Jahren wurde die Teilung ohne Gewalt und Blutvergießen überwunden. Seitdem gilt das Grundgesetz im ganzen vereinten Deutschland.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Freiheit von Religion und Gewissen und die Sozialpflicht des Eigentums wurden durch das Grundgesetz gewährleistet. Im Ringen um sozialen Ausgleich und im Bemühen um die aktive Beteiligung von mehr Menschen an der Gestaltung unserer Republik dürfen wir uns mit dem Erreichten nicht zufriedengeben.

Der Anspruch der Verfassung muß in ständiger Auseinandersetzung mit widerstreitenden Interessen und sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnissen eingelöst werden. Es kommt entscheidend darauf an, in welchem Geist unsere Verfassung von allen Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen wird.

Das Grundgesetz hat unserem Land eine klare Orientierung an der Würde jedes Menschen vorgegeben. Die gilt es zu schützen vor dem Zugriff von einzelnen Interessensgruppen und vor der Aushöhlung durch Gleichgültigkeit. Wir spüren in diesen Tagen und Wochen intensiver als sonst, welch unendlichen Wert der Frieden für eine Gesellschaft hat. Wir sehnen uns nach dem Segen gewaltfreier Konfliktlösungen. Wir merken aufs neue, daß wir Christen - wie damals vor 50 Jahren so auch heute - Gott verantwortlich sind in allen Bereichen unseres Lebens, also auch auf dem Feld der politischen Mitverantwortung. Wir sind auf Gnade angewiesen als Deutsche mit schuldbeladener Vergangenheit und als irrtumsfähige Menschen vor den Entscheidungen über Krieg und Frieden.

Der uns berufen hat, seine Zeugen zu sein, hat uns versprochen: 'Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen'.

Wir dürfen Gott loben, ihn gemeinsam in der Vielfalt und dem Reichtum unserer liturgischen Tradition rühmen und preisen.
Ihm gilt unser Dank für alle Orientierung, die wir im Hören auf sein Wort gewonnen haben, und für alles, was uns durch unser Grundgesetz zugute gekommen ist.

An Gott wenden wir uns mit unserer Fürbitte für jene unter uns, die als politische Mandatsträger Entscheidungen treffen müssen, deren Auswirkungen nie bis ins letzte Detail vorhersehbar sind.

Gott wollen wir um seinen Segen bitten für unser Land und um Frieden insbesondere für die Menschen, deren Freiheiten und Rechte beschnitten, bestritten und vernichtet werden.

Ich wünsche uns allen in diesem Gottesdienst offene Ohren für die Worte der Schrift, offene Herzen für die Worte der Predigt und Mut zum Bekenntnis des gemeinsamen Glaubens in der Nachfolge Jesu Christi.

Hannover, den 24. Mai 1999
Pressestelle der EKD