Engelhardt für geistlichen Aufbruch - Zum Synodenauftakt Zwischenbilanz des Zusammenwachsens der Kirchen in Ost und West

Deutsch-tschechische Versöhnung

3. November 1996 (7. Tagung der 8. Synode der EKD)

Einen geistlichen Aufbruch in der evangelischen Kirche hat der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, angemahnt. Engelhardt gab zum Auftakt der auf Borkum tagenden Synode der EKD den Bericht des Rates ab. "Wir brauchen das Erbarmen Gottes für einen geistlichen Aufbruch" sagte der Ratsvorsitzende. Gerade im Hinblick auf die Ost-West-Unterschiede sei es nötig, sich von den biblischen Texten anrühren zu lassen und sich dafür in den kirchlichen Gremien Zeit zu nehmen. Seinen Bericht stellte Engelhardt unter das Thema "Für eine Kultur des Erbarmens".

Zu Beginn der letzten Jahrestagung der ersten gesamtdeutschen Synode nach der 1991 erfolgten Zusammenführung der EKD mit dem ostdeutschen Bund der Evangelischen Kirchen zog Engelhardt eine Zwischenbilanz des Zusammenwachsens. "Zur inneren Einheit der EKD gehört das Geltenlassenkönnen von unterschiedlich geprägten Lebens- und Kirchenkontexten", so der Ratsvorsitzende. Die östliche Minderheitenkirche sei ebensowenig Modell für den Westen wie die westliche Volkskirche für die östlichen Landeskirchen.

In den letzten Jahren habe es eine Vielzahl von Gesprächen über die unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen im geteilten Deutschland gegeben. Das gegenseitige Verständnis sei dadurch gefördert worden. Es gebe aber nach wie vor "Fremdheitserfahrungen" zwischen Menschen in Ost und West, wobei Christen keine Ausnahme machten. Daher sind für Engelhardt "noch mehr Gespräche unentbehrlich - gerade Gespräche, in denen wir uns unser Leben erzählen". Dabei muß nach seiner Ansicht unter anderem auch die Frage gestellt werden, "wie Gott in seinem Erbarmen die Kirche in Ost und West bewahrt hat".

Wenn im Westen 85 Prozent, im Osten Deutschlands höchstens noch 30 Prozent der Menschen einer christlichen Kirche angehörten, sei dies "nicht nur ein quantitativer Unterschied", betonte der Ratsvorsitzende. Die Frage sei dabei nicht, ob, sondern wie die Kirche unter diesen Bedingungen auftragsgerecht und situationsgemäß leben und arbeiten könne. Als Beispiel für gemeinsames Handeln in ungleicher Situation nannte Engelhardt das Zustandekommen der Rahmenvereinbarung zur evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern. "Wir wollen in dieser entchristlichten Welt die Seelsorge für die Soldaten im Osten wie im Westen".

In seinem Bericht hob der Landesbischof auch die schwierige äußere und innere Situation der Kirchen in Osteuropa nach der neu gewonnenen Freiheit hervor. Um so bedeutsamer sei es, wieviel an authentischer Frömmigkeit und Glaubenskraft sich bei einzelnen Menschen und in Gruppen trotz Diskriminierung und Verfolgung durchgehalten habe. Engelhardt würdigte besonders die Stellungnahme der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder zur Vertreibung der Sudetendeutschen aus dem vergangenen Jahr, die "für Wahrheit und Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen eintritt". Der EKD-Ratsvorsitzende bat die Bundesregierung dringend, die deutsch-tschechische Gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen. Engelhardt wörtlich: "Um Europas willen brauchen wir auf dieser Ebene Versöhnung, die nicht nach materieller Entschädigung schielt." Er bat die Synode um ein "ermutigendes Wort" für die gemeinsame Arbeitsgruppe der EKD mit den Böhmischen Brüdern, die bald ihre Arbeit aufnehmen werde.

Borkum, 3. November 1996
Pressestelle der EKD