Konsultationsprozess "Protestantismus und Kultur"

Auftakt-Pressekonferenz in Berlin, Statement Bischof Dr. Wolfgang Huber, Mitglied des Rates der EKD

2. März 1999

Mancherorts wird heute die Auffassung vertreten, Religion und Kirche hätten ihre kulturelle Bedeutung eingebüßt. Vor allem im Osten Deutschlands kann man auch der Meinung begegnen, sie seien kulturell schädlich.

Solchen Behauptungen widersprechen wir. Die gegenwärtige kulturelle Prägung unserer Gesellschaft ist ohne den Einfluß des Christentums, zu dem der Protestantismus das Seine beigetragen hat, nicht zu verstehen. Und auch die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft im neuen Jahrhundert, zu Beginn des dritten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung, bleibt auf den Beitrag der Religion und die Impulse des christlichen Glaubens angewiesen.

Die Debatte darüber wollen wir in dem auf zwei Jahre angelegten Konsultationsprozeß "Protestantismus und Kultur" führen. Von uns aus soll deutlich werden: Eine radikale Säkularisierung ist keineswegs förderlich für die freie Entfaltung der Kultur, sondern trägt die Gefahr der Verengung in sich.

Mit diesem Konsultationsprozeß kehren wir keineswegs zu der Vorstellung einer Symbiose von Glaube und Kultur zurück, wie sie dem "Kulturprotestantismus" des 19. Jahrhunderts zugeschrieben wird. Wir bleiben aber auch nicht bei einer Trennung zwischen beiden Größen stehen, wie sie als Gegenreaktion im 20. Jahrhundert proklamiert wurde. Vielmehr gehört beides zusammen: die Bejahung der Kultur in der Vielfalt der Formen, in denen das Selbstverständnis einer Gesellschaft symbolischen Ausdruck findet, und die kritische Auseinandersetzung mit den Formen von Kultur, in denen die Würde von Menschen mißachtet oder die Ehre Gottes verspottet wird. Im Verhältnis von Glauben und Kultur verbinden sich also Gestaltung und Kritik.

Die Aktualität des Themas liegt auf der Hand. In acht Begegnungsfeldern wird sie in unserem Impulspapier beschrieben. Dabei treten Phänomene der "Hochkultur" - also im besonderen das Feld der Kunst - genauso in den Blick wie Bereiche der Massenkultur - exemplarisch an den Themenfeldern Jugendkultur, Medien, Sport oder Freizeit. Das Impulspapier präzisiert in knapper Form den Ausgangspunkt, von dem aus wir die Bildungsverantwortung der Kirche und auch den Ort von Theologie als Wissenschaft bestimmen. Es markiert spezifische Verantwortlichkeiten der Kirche in der Gestaltung von Religion, in der Kultur des Sonntags oder in der Prägung von Gedenkkultur.

Nicht alle Orte eines Austausch zwischen Kirchen und Kultur sind damit angesprochen. Eine Erweiterung der Themenfelder ist naheliegend und erwünscht. Ich nenne als Beispiel das Thema "Religion im Film" bzw. "Film als Religion".

Wir setzen den Konsultationsprozeß, den wir jetzt beginnen, nicht mit dem Konsultationsprozeß zu wirtschaftlichen und sozialen Lage gleich, den wir von 1994 bis 1997 zusammen mit der katholischen Kirche durchgeführt haben. Aber wir fühlen uns durch die damalige Erfahrung ermutigt. Wir laden Christen wie Nichtchristen in den verschiedenen kulturellen Bereichen zum Dialog ein. Eine Serie von Veranstaltungen zwischen dem 22. und 28. März hier in Berlin soll dazu ein erster Anstoß sein. Der Konsultationsprozeß wird darüber hinaus von dezentralen Initiativen in den verschiedenen Teilen Deutschlands leben; hier und da werden wir ihn auch in das grenzüberschreitende europäische Gespräch hineintragen. Wir hoffen auf vielfältige Initiativen aus unseren Kirchen. Wir wollen viele Anstöße aufnehmen. Am Ende wird - in einem zweiten Positionspapier - eine weiterentwickelte evangelischen Position zum Thema stehen.

Ein solcher Klärungsprozeß ist gut für unsere Kirche. Aber er dient auch der Kultur.

Berlin/Hannover, 2. März 1999
Pressestelle der EKD