Konsultationsprozess "Protestantismus und Kultur"

Auftakt-Pressekonferenz in Berlin, Statement Bischof Dr. Walter Klaiber, Vorsitzender der Vereinigung Ev. Freikirchen (VEF)

2. März 1999

"Gestaltung und Kritik" - der Titel des Diskussionspapiers zu Fragen des Verhältnisses von Protestantismus und Kultur weist auf eine Grundspannung hin, die in diesem Thema liegt. Christliche Kirchen sind Teil der Kultur ihrer Gesellschaft; sie werden von ihr geprägt und gestalten sie mit. Zugleich werden sie durch die Botschaft des Evangeliums oft in eine Distanz zur herrschenden Kultur gestellt und müssen sich mit ihr kritisch auseinandersetzen. Diese Spannung durchzuhalten, ist eine wichtige Aufgabe christlicher Kirchen. Sie dürfen weder im herrschenden Wertsystem völlig aufgehen, noch versuchen, sich ganz aus der gesamtgesellschaftlichen Kultur zurückzuziehen.


Von ihrer Geschichte und ihrem Ansatz her haben die Freikirchen eher den kulturkritischen Part in diesem Feld übernommen. Sie haben in der Gestaltung des kirchlichen Lebens und der persönlichen Existenz immer wieder auf urchristliche Vorbilder zurückgegriffen und sich von daher auch kritisch zur Gestalt der herrschenden Kultur in Gesellschaft und Kultur geäußert. Das neutestamentliche Vorbild von Kirche als "Kontrastgesellschaft" (G. Lohfink) hat hier eine neuzeitliche Entsprechung gefunden. Zugleich aber mußten die Freikirchen erkennen, daß auch sie Teil der Gesellschaft sind und von ihr geformt werden. Sie sehen zugleich mehr und mehr die Herausforderung, mit anderen Kirchen zusammen Verantwortung für die Gestaltung von Kultur und Gesellschaft mit zu übernehmen.

Wir sind daher als Vereinigung Evangelischer Freikirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland dankbar, daß sie die Freikirchen zur Mitgestaltung und Mitträgerschaft für das vorliegende Diskussionspapier und den daraus resultierenden Konsultationsprozeß eingeladen hat. Ich bin der Überzeugung, daß wir hier als Kirchen eine gemeinsame Verantwortung haben und uns auch gegenseitig helfen können. Um ein Beispiel zu nennen, das unter Punkt III "Aufgaben" in dem Papier auftaucht, können Freikirchen für die Aufgabe, "den Menschen zu eigenen Erfahrungen und Ausdrucksformen des Glaubens zu helfen" eine gewisse Kompetenz einbringen. Sie sind schon in den letzten 100 Jahren an manchen Stellen ein Katalysator gewesen, durch den Strömungen neuzeitlicher Kultur in das kirchliche Leben aufgenommen wurden und dann auch in die anderen Kirchen Eingang gefunden haben. Umgekehrt können die Landeskirchen auch ihre lange Erfahrung verweisen, wie Menschen sich auch heute in Worten und Formen der kirchlichen Tradition bergen können.

Gemeinsam aber wird es unser Anliegen sein, deutlich zu machen, daß die immer noch vorhandene christliche Prägung unserer Kultur nicht nur ein schützenswerter Restbestand ist, den wir museumsmäßig verwalten wollen, sondern daß die Botschaft des Evangeliums auch heute und im nächsten Jahrtausend ein wichtiges Ferment in unserer Gesellschaft ist, das helfen kann, sie lebensdienlicher und menschenwürdiger zu gestalten.

Ich hoffe sehr darauf, daß viele Menschen, die in den von uns angesprochenen kulturellen Bereichen engagiert sind, auf unsere Thesen reagieren - gleich, ob sie der Kirche nahe oder fern stehen. Gerade der Dialog mit den Letzteren wäre uns wichtig, weil sie aus der Distanz manche Dinge möglicherweise klarer sehen als andere.

Berlin/Hannover, 2. März 1999
Pressestelle der EKD