Konsultationsprozess "Protestantismus und Kultur"

Auftakt-Pressekonferenz in Berlin, Statement Präses Manfred Kock, Vorsitzender des Rates der EKD

2. März 1998

Der Konsultationsprozeß zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur, den wir heute mit der Veröffentlichung des Impulspapiers unter der Überschrift "Gestaltung und Kritik" eröffnen, läßt sich unter unterschiedlichen Aspekten betrachten und kommentieren. Das wird auch aus den drei Statements deutlich werden, mit denen wir die Pressekonferenz einleiten. Ich konzentriere mich auf zwei Stichworte: Jahrtausendwende und Gedenkkultur.

Das Impulspapier und der darauf bezogene Konsultationsprozeß sind ein Beitrag der evangelischen Kirchen zur Jahrtausendwende oder - sagen wir lieber, weil das dem Maß des menschlichen Lebens mehr entspricht - zur Jahrhundertwende. Darum befindet sich auf dem Umschlag des Impulspapiers auch das Logo der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Jahrtausendwende: Unsere Zeit steht in Gottes Händen. Das Datum 2000 n.Chr. blickt zurück auf einen Zeitraum von 2000 Jahren mit Christus und blickt zugleich voraus auf eine Zukunft, die genauso wie die Vergangenheit unter dem Zuspruch und dem Anspruch Christi steht.

Die Jahrtausend- und Jahrhundertwende ist einerseits nicht mehr als ein kalendarisches, äußerliches Datum. Aber der Übergang von einem Millennium ins andere provoziert andererseits unvermeidlich viele Fragen, nötigt zu Reflexion und Ausblick: Was ist die Bilanz von 2000 Jahren Christentumsgeschichte? Manche behaupten oder befürchten, eine Epoche ginge zu Ende; die Prägekräfte des Christentums seien erlahmt.

Die Autoren des Statements und der Rat der EKD dagegen sind der "Überzeugung, daß die Kultur auf die prägenden und kritischen Kräfte des christlichen Glaubens bleibend angewiesen ist und daß der christliche Glaube seinerseits nur im lebendigen Austausch mit der gegenwärtigen Kultur verständlich und zugänglich wird." Darum regen wir den Konsultationsprozeß an. Das damit eröffnete innerkirchliche Gespräch, aber mehr noch der Dialog zwischen Kirche und Gesellschaft, Kirche und Kultur sollen dazu beitragen, daß Christentum und Kultur, gerade auch das reformatorische Christentum in seinem Verhältnis zur Kultur, erkennen und verwirklichen, was im letzten Satz des Impulspapiers so formuliert ist: "Auch im dritten Jahrtausend christlicher Zeitrechnung wird die Botschaft von der christlichen Freiheit, wie sie vor einem halben Jahrtausend in der Reformation neu entdeckt wurde, ein unentbehrlicher Beitrag zur Kultur einer freiheitlichen Gesellschaft sein" (S. 68).

Jetzt noch das zweite Stichwort: Gedenkkultur. Das Impulspapier stellt in seinem zweiten Kapitel in exemplarischer Auswahl acht Felder der Begegnung von Protestantismus und Kultur vor. Zu diesen acht Begegnungsfeldern gehört auch die Gedenkkultur.

In der jüngsten Zeit ist gelegentlich gefragt worden, warum sich die evangelische Kirche nicht in stärkerem Maße an der Diskussion um ein Holocaust-Denkmal oder -Mahnmal beteiligt. Das Impulspapier macht zu diesem Thema einige gewichtige Aussagen. Ich zitiere hier nur die zentralen Sätze: "Eine christliche Kultur des Gedenkens geht ... von der erinnernden Solidarität mit den Opfern aus. Ziel solchen Erinnerns muß sein, daß sich Vergleichbares niemals wiederholt; seine Grenzen liegen dort, wo die Taten im Gedenken verschwinden oder wo routinisiertes Erinnern in kollektives Verdrängen umschlägt" (S. 30).

Aber ich nehme die Gelegenheit, daß wir den Konsultationsprozeß mit dieser Pressekonferenz gerade in Berlin eröffnen, wahr, um aus meiner Sicht drei Leitgedanken für die praktische Gestaltung eines solchen Mahnmals zu formulieren:

1. Ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin muß so beschaffen sein, daß es nicht ebensogut in Jerusalem, Washington oder London stehen könnte. Denn das Gedenken im Lande der Opfer und Täter muß anderer Art sein als das im Lande der Überlebenden und Geflohenen.

2. Ein solches Mahnmal soll eine Mahnung formulieren, und zwar die Mahnung der Opfer an die nachgeborenen Deutschen. Ein Mahnmal ohne Worte kommt nicht zur Sache.

3. Das berechtigte Bemühen um ein besseres Verständnis jüdischer Kultur darf die Opfer des Rassenwahns nicht nachträglich noch einmal fremd machen, um dann Sympathie für die Fremden zu fordern. Der Skandal bestand darin, daß Mitbürger und Mitmenschen von Staats wegen systematisch außer Recht gestellt und vernichtet wurden, weil ihnen angedichtet wurde, einer schändlichen Rasse zuzugehören.

Das sind Leitgedanken, an denen sich die Frage nach einer angemessenen künstlerischen Gestaltungsform orientieren könnte. Unter allen Vorschlägen, die bisher bekannt geworden sind und diskutiert werden, erscheint mir die Idee von Richard Schröder - für die bekanntlich das biblische Gebot "Du sollst nicht morden" den Kristallisationspunkt bildet - relativ am besten geeignet, die vorgetragenen Leitgedanken zu realisieren. Ich halte jedenfalls den gegenwärtigen Stand der Debatte zum Mahnmal für unbefriedigend, und ich würde mich freuen, wenn das Impulspapier und der darauf bezogene Konsultationsprozeß auch in dieser speziellen Hinsicht Plattform und Anregung für ein weiterführendes Gespräch sind.

Hannover/Berlin, den 2. März 1999
Pressestelle der EKD