Präsentation der "Diakoniedenkschrift"

Bischof Dr. Walter Klaiber, Vorsitzender der Vereinigung Ev. Freikirchen (VEF)

15. Oktober 1998

Die Rolle der Freikirchen in der diakonischen Arbeit

1. Der diakonische Gedanken ist in den Freikirchen von Anfang an beheimatet gewesen. Schon wenige Jahre nach der Gründung freikirchlicher Gemeinden kam es in ihnen zur Bildung von Krankenvereinen, die für den Besuch und die Versorgung der Kranken in den Gemeinden zuständig waren. Auf Drängen von unverheirateten Frauen und unter der Leitung weitsichtiger Pastoren wurden im letzten Jahrhundert viele freikirchliche Diakonissenmutterhäuser gegründet. Hier war der Einfluß von Theodor Fliedner wirksam. Die Schwestern arbeiteten zunächst in der Armenpflege, später auch in der Privatkrankenpflege und die Diakonissenmutterhäuser bauten dann teilweise große Krankenhäuser auf.

2. Auf diesem geschichtlichen Hintergrund gibt es in den Freikirchen zur Zeit vor allem zwei Ebenen diakonischen Handelns. Es gibt große, rechtlich selbständige Diakonie- und Sozialwerke, die vor allem Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Rehabilitationskliniken und Beratungsstellen betreiben. Die kirchliche Bindung und der evangelische Charakter dieser Einrichtungen wird durch engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und durch eine entsprechend orientierte Leitung bewahrt. Die andere Ebene sind gemeindenahe Aktivitäten von Gruppen, die oft im ökumenischen Verbund arbeiten und sich um die Begleitung von Asylbewerber, Aussiedler oder Suchtkranken kümmern. Auch eine Vielzahl von Eine-Welt-Läden und Entwicklungsprojekten ist dieser ökumenischen Diakonie zuzurechnen.

3. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die deutschen Freikirchen aufgrund der Aktivitäten ihrer ausländischen Mutter- und Schwesterkirchen zu ernst zu nehmenden ökumenischen Partnern. Es kam zur Bildung eines gemeinsamen Hilfwerks der evangelischen Kirchen, und bei der Gründung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche wurde die Freikirchen ebenfalls einbezogen. Zusammen mit der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche und dem Alt-Katholischen Bistum in Deutschland bilden die Freikirchen im Rahmen des Diakonischen Werkes die Diakonische Arbeitsgemeinschaft und sind sowohl im Diakonischen Rat als auch der Diakonischen Konferenz mit Sitz und Stimme vertreten. Die Aktion "Brot für die Welt" dankt ihre Popularität nicht zuletzt auch dem Einsatz und Engagement der Freikirchen.

4. In der vorliegenden Denkschrift ist den Freikirchen insbesondere das Anliegen einer gemeindenahen und in die Arbeit der Kirche integrierten Diakonie wichtig. Sie können dabei auf eine bewährte und immer noch lebendige Tradition des Einsatzes von Freiwilligen in vielen Bereichen zurückgreifen. Die Motivierung und Befähigung christlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Arbeit der Diakonie hat für sie hohe Priorität. Wir helfen mit unserer diakonischen Arbeit den Menschen, weil sie Hilfe brauchen; aber wir wollen auch nicht verleugnen, daß wir dies tun, weil wir durch die Begegnung mit Gottes Hilfe und Liebe, wie wir sie in Jesus Christus erfahren, dazu motiviert sind. Wir möchten daher die Menschen, die uns anvertraut sind, in ihrer unzerstörbaren Menschenwürde wahrnehmen und ernst nehmen. Gerade deshalb unterstützen wir auch voll die gesellschaftspolitischen Aspekte der Denkschrift, weil wir die Sorge teilen, daß unsere Gesellschaft in der Gefahr ist, Menschenwürde von Kostenüberlegungen abhängig zu machen und Schwache und Hilfesuchende auszugrenzen.

Ich hoffe, daß diese Denkschrift für die Arbeit von Kirche und Diakonie wichtige Denkanstöße gibt, aber daß sie auch in den gesellschaftlichen und politischen Bereich hinein Signale gibt, die beachtet werden.

Bonn, 15. Oktober 1998
Pressestelle der EKD