"Medien für eine menschliche Gesellschaft"

Kirchen stellen gemeinsame Erklärung "Chancen und Risiken der Mediengesellschaft" vor

Pressetext, 30. April 1997

Einen breiten gesellschaftlichen Dialog und eine kritische Reflexion über die Gestaltung der Mediengesellschaft fordern die evangelische und die katholische Kirche in ihrer gemeinsamen Erklärung "Chancen und Risiken der Mediengesellschaft". In dem Dokument, das am 30. April 1997 in Frankfurt/Main vom Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, vorgestellt wird, setzen sich die Kirchen für eine an der Würde des Menschen und am Gemeinwohl orientierte Weiterentwicklung der Medien ein. Sie betonen die Bedeutung der Medien als wichtige Kultur- und Bildungsfaktoren, ihre Bedeutung für die demokratische Meinungs- und Willensbildung sowie ihre Rolle bei der gesellschaftlichen Integration. Die Gestaltung der Mediengesellschaft ist für die Kirchen deshalb eine der wichtigen gegenwärtigen und zukünftigen politischen Gestaltungsaufgaben.

Die rasanten Entwicklungen und schnellebigen Veränderungen auf den Gebieten der Medientechnik, der Medienpolitik und -ökonomie haben Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche. In Wirtschaft und Arbeit, Bildung und Wissenschaft, Kunst und Unterhaltung, in der Familie, in der Öffentlichkeit und im Bereich der Politik, nicht zuletzt auch in Kirche und Gemeinde sind die Menschen mit den Auswirkungen dieser Veränderungen konfrontiert. Viele Menschen sind von der Entwicklung fasziniert und setzen auf die Chancen der Medien- und Informationsgesellschaft; andere sind beunruhigt und warnen vor möglichen Risiken. Entscheidend für die Beurteilung der Chancen und Risiken sind die zugrundegelegten Zielvorstellungen und Wertorientierungen. Auf diese grundlegenden Ziele und Werte, die in engem Zusammenhang mit dem Bild des Menschen und der menschlichen Gesellschaft stehen, wollen die Kirchen aufmerksam machen. Sie wollen für die sich abzeichnenden Entwicklungen Orientierungs-, Beurteilungs- und Handlungskriterien formulieren, die ein verantwortliches Handeln in der Mediengesellschaft ermöglichen.

Die katholische und evangelische Kirche, die schon in der Vergangenheit den Prozeß der Medienentwicklung mit Stellungnahmen und Gutachten begleitet haben, nehmen zu den aktuellen Entwicklungen "aufgrund ihrer Verantwortung für das Leben und das Zusammenleben von Menschen" Stellung. Sie erinnern daran, daß der Ausgestaltung des Mediensystems wegen seiner prägenden Kraft für die Wahrnehmung, das Denken und die Wertorientierungen der Menschen eine gesellschaftliche Schlüsselstellung zukommt, die verantwortlich wahrgenommen werden muß. In die Verantwortung gerufen sind die handelnden Personen: Mediennutzerinnen und -nutzer, Journalistinnen und Journalisten, alle, die politisch und unternehmerisch im Medienbereich handeln. Verantwortlich gestaltet werden müssen aber auch die Institutionen und Strukturen, in denen gehandelt wird. Die Kirchen setzen sich deshalb für die Transparenz der Kommunikationsprozesse und für Zugangsgerechtigkeit zum Kommunikationssystem ein und fordern ordnungspolitische Vorkehrungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt.

Die Kirchen sehen in den Medien "Mittel der sozialen Kommunikation", die der Entfaltung menschlicher Lebensmöglichkeiten und dem Zusammenleben in der (Welt-)Gemeinschaft dienen sollen.

In einer ausführlichen theologisch-anthropologischen Begründung entfaltet das Papier die Bedeutung von Medien und Kommunikation. Aus christlicher Sicht ist der Mensch Geschöpf Gottes und er ist durch diese Beziehung zu Gott, die die Bibel Gottebenbildlichkeit nennt, gekennzeichnet. Die Identität des Menschen wird wesentlich auch durch menschliche Beziehungen herangebildet, also durch die Kommunikation mit seinen Mitmenschen und mit der Gesellschaft. Durch Kommunikation werden Menschen zu dem was sie sind, im körperlichen wie im geistigen Leben. Kommunikation ist "die Substanz des Lebens", erklären die Kirchen.

Die Mediengesellschaft ist aus Sicht der Kirchen eine besondere Herausforderung für die Bildungsarbeit. Der eigenverantwortliche und kritische Umgang mit den vielfältigen Medienangeboten wird zu einer Aufgabe lebenslangen Lernens. Die Vermittlung von Medienkompetenz muß deshalb integrierter Bestandteil jeder Bildungsarbeit sein. Zu ihr gehört auch die Sensibilisierung für die Manipulationsmöglichkeiten durch die neuen Medientechnologien. Gegen eine sich abzeichnende Verstärkung der Wissenskluft zwischen Informationsreichen und Informationsarmen müssen entschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Die Kirchen fordern vor allem die Entwicklung pädagogischer Konzepte für den Einsatz neuer Medien im Bildungsbereich.

Außerdem setzen sich die Kirchen nachdrücklich für den Erhalt und die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Gerade im Blick auf die neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten muß der öffentlich-rechtliche Rundfunk funktions- und konkurrenzfähig bleiben. Er ist den Interessen aller Bürgerinnen und Bürger verpflichtet und muß ihnen auch neue Medienangebote zugänglich machen.

Im Blick auf die notwendigen ordnungspolitischen Maßnahmen haben aus Sicht der Kirchen Formen der Selbstregulierung und der öffentlichen Kontrolle einen hohen Stellenwert. Sie sollten darum gestärkt und weiterentwickelt werden. Ebenso werden in der Erklärung Fragen des Persönlichkeitsschutzes und des Kinder- und Jugendschutzes angesprochen. Der Gesetzgeber hat den einzelnen Menschen in seinen Persönlichkeitsrechten vor Normüberschreitungen und Tabuverletzungen durch die Medien zu schützen. Auch der Schutz religiöser Überzeugungen ist notwendig.

Im weltweiten Zusammenhang müssen die Rechte und Partizipationsmöglichkeiten der Entwicklungsländer bei der Einführung neuer Kommunikationstechniken stärker respektiert werden. Die neuen Technologien können diesen Ländern helfen, Zugang zu den weltweit verfügbaren Wissensbeständen zu erlangen. Der Gefahr eines weiter wachsenden Nord-Süd-Gefälles muß entgegengewirkt werden. Um die Berichterstattung über Länder der sogenannten Dritten Welt in Deutschland zu verbessern, fordern die Kirchen eine gute Ausbildung und Qualifizierung der Auslandskorrespondenten.

Auch die Kirchen selbst sehen sich in der Pflicht, sich sowohl mit Beiträgen an der konkreten Gestaltung der demokratischen Medien- und Kommunikationsordnung zu beteiligen, als auch neue technische Möglichkeiten im Rahmen ihrer eigenen Publizistik zu nutzen.

Die Erklärung wurde von einer gemeinsamen Kommission aus Kommunikationswissenschaftlern, Journalisten und Theologen unter dem Vorsitz von Weihbischof Friedrich Ostermann (Münster) und Kirchenpräsident Professor Dr. Peter Steinacker (Darmstadt) vorbereitet. Sie richtet sich an die Mitglieder der Kirchen und an alle interessierten und betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die sich an der öffentlichen Debatte über die Gestaltung der Mediengesellschaft beteiligen wollen. Ebenso richtet sie sich an diejenigen, die in den Medien selbst und in der Medienpolitik Verantwortung tragen oder in der medienpädagogischen Arbeit engagiert sind.

Frankfurt/Hannover, 30. April 1997
Pressestelle der EKD