Chancen und Risiken der Mediengesellschaft

Vorstellung der gemeinsamen Erklärung von EKD und DBK

Statement Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, Vorsitzender des Rates der EKD, 30. April 1997

Die Synode der EKD hat sich auf ihrer Tagung in Suhl 1992 intensiv mit Medienfragen beschäftigt und zum Abschluß eine Denkschrift zu den "Chancen und Risiken der Mediengesellschaft" angeregt. Ich freue mich, daß die Deutsche Bischofskonferenz diesen Anstoß seinerzeit aufgenommen hat, so daß Bischof Lehmann und ich Ihnen heute als Ergebnis die gemeinsame Erklärung zur Mediengesellschaft vorstellen können.

Wir erleben derzeit vor allem die elektronischen Medien in einer großen Veränderung:

  • Digitale Übertragungstechniken erweitern das Programmangebot bis ins Unüberschaubare,
  • das Internet ermöglicht die schnelle Kommunikation rund um den Globus,
  • bisher getrennte Techniken wie Hörfunk, Fernsehen und der Computer wachsen zu Multimedia-Angeboten zusammen.

Dabei entstehen faszinierende Möglichkeiten für Information und Unterhaltung, für die Kommunikation von Menschen. Es ist nicht leicht - ich gestehe dies ein -, sich dieser Faszination zu entziehen. Aber es ist notwendig, die neuen Möglichkeiten kritisch zu prüfen, denn sie sind auch mit Risiken verbunden. Ich nenne hier nur drei:

  • die Aufspaltung der Gesellschaft in Menschen, die kompetent die neuen Medien nutzen und mit ihnen umgehen können und anderen, denen dies nicht gelingt; also in Informationsbesitzer und Informationshabenichtse.
  • die immer stärkere Konzentration von publizistischer Macht auf Kosten der Vielfalt und der Informationsfreiheit,
  • die Gefahr von Vereinsamung und Vereinzelung.

Als Instrumente der sozialen Kommunikation sind die Medien von unmittelbarem Interesse für die Kirche. Das Evangelium, die gute Nachricht von Gottes rettendem Handeln in Jesus Christus, ist eine öffentliche, an die ganze Welt gerichtete Botschaft. Die Kirche lebt aus diesem Evangelium, das in die Freiheit ruft und Menschen unabhängiger macht. Es gehört zu ihren Aufgaben, sich für die Bedingungen für Freiheit und Mündigkeit aller Bürgerinnen und Bürger einzusetzen. Daher das Interesse an der Art und Weise wie die Medien organisiert sind, welche Inhalte sie anbieten und wem sie gehören.
 
Christen haben sich seit jeher der Medien bedient, um das Evangelium öffentlich und aller Welt weiterzusagen. Der Umgang mit den jeweils aktuellen Medientechniken ist darum für die Kirche nicht neues, sondern eine fast 2000 Jahre alte Praxis:

  • Die Evangelisten haben die Reden und Taten Jesu in ihren Berichten festgehalten und erst so die Weitergabe ermöglicht; ohne die "Medienarbeit" von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes wüßten wir heute kaum etwas von Jesus Christus.
  • Die Reformatoren, allen voran Luther und Melanchthon, haben ebenso die neueste Medientechnik ihrer Zeit, den Buchdruck, genutzt, um ihre Ideen von einer Erneuerung der Kirche zu verbreiten.
  • Heute nutzen die Kirchen nicht nur Hörfunk und Fernsehen sondern seit gut einem Jahr auch das Internet für die Kommunikation des Evangeliums.

Doch es ist nicht allein die Bedeutung der Medien für die Weitergabe des Evangeliums, weshalb sich die Kirchen für Medien und Kommunikation in unserer Gesellschaft mitverantwortlich fühlen. Die Medien haben eine nicht zu überschätzende Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen. Sie informieren und unterhalten, sie vermitteln Wertvorstellungen und lassen uns Anteil nehmen an dem, was um uns herum und in der Welt geschieht. Weil die Medien eine solche prägende Kraft haben, geht es bei der Gestaltung neuer Medientechniken und -angebote um wichtige ethische Fragen und Fragen des Menschenbildes.

  • Wie können die Chancen der neuen Medientechniken für die soziale Kommunikation genutzt werden, erkennbare Risiken gemildert und Fehlentwicklungen verhindert werden?
  • Wie können Freiheit, Wahrheit und die Würde des Menschen in der Mediengesellschaft geschützt, gestärkt und zur Geltung gebracht werden?

Ich bin überzeugt, daß sich die Möglichkeiten der Medien für eine verantwortliche Sozial- und Kommunikationskultur nutzen lassen. Lassen sie mich dazu drei grundlegende Punkte herausstellen:

1. Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Dialog über die Gestaltung der Mediengesellschaft.

Wir alle sind von den Auswirkungen der Medienentwicklung betroffen. Sie darf aber nicht allein von der Technik und der Ökonomie bestimmt werden, sondern bedarf einer politischen Ausgestaltung. An dieser Meinungsbildung sollten sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Sie müssen sensibel werden für die damit verbundenen Fragen nach Vielfalt und Meinungsfreiheit, im Blick auf den Jugendschutz und die neuen Formen elektronischer Kommunikation. Der Wandel zur Mediengesellschaft kann nur gelingen, wenn er von möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern getragen wird.


2. Wir müssen die Verantwortung für die Vielfalt im Rundfunk wahrnehmen.

Die Sicherung der Vielfalt der Meinungen und die unabhängige Berichterstattung sind entscheidende Grundgedanken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie müssen auch in der Zukunft zum Tragen kommen. Es gilt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erhalten und weiterzuentwickeln - und dies in doppelter Hinsicht:

  • Gerade im Blick auf die neuen Kommunikationsmöglichkeiten muß er funktionsfähig und konkurrenzfähig bleiben. Es gehört zu seinen Aufgaben, die neuen Techniken für die Gesellschaft zu erschließen.
  • Ich füge hinzu: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muß sich auch selbst verändern. Er muß sich den neuen Herausforderungen stellen ohne dabei seinen Auftrag zu verlieren. Dies ist keine einfache Aufgabe - wie ich aus eigener Erfahrung weiß, denn in dieser Hinsicht haben Kirche und öffentlich-rechtlicher Rundfunk manches gemeinsam.
  • Als zweite Säule in der dualen Rundfunkordnung hat sich der private Rundfunk im vergangenen Jahrzehnt etabliert. Wir erinnern ihn an seine besondere Programm-Verantwortung, weil gerade in wirtschaftlicher Konkurrenz zu anderen Programmen, die Grenzen des ethisch Zulässigen schnell überschritten werden.
  • Zur Sicherung der Vielfalt müssen angesichts einer immer stärker werdenden Medienkonzentration effektive Maßnahmen zur Begrenzung publizistischer Macht gefunden werden. Ich möchte nicht, daß nur noch ganz wenige Anbieter darüber entscheiden, wie ich mich informieren und unterhalten kann.

3. Die Kirchen haben Mit-Verantwortung für die Medien.

In dieser gemeinsamen Erklärung wenden wir uns an die Verantwortlichen in Politik, Medien und Gesellschaft. Es ist uns bewußt, daß sich unsere Forderungen aber auch an die Kirchen selbst richten. Zwar sind die Kirchen seit langer Zeit auf diesem Gebiet aktiv, dennoch bedarf es bei uns neuer Anstrengungen, um den enormen Herausforderungen der Mediengesellschaft gerecht zu werden.

Was wir mit dieser Erklärung wollen: Es ist unser Ziel, dem öffentlichen Gespräch über die Gestaltung der Mediengesellschaft einen Anstoß und Orientierung zu geben und dabei insbesondere auf die Fragen der ethischen Verantwortung hinzuweisen. Wir wollen die Aufmerksamkeit auf ein Ziel lenken, an dem die Entwicklung neuer Medien auszurichten ist: die freie Kommunikation mündiger Menschen in einer verantwortlichen Gesellschaft.

Frankfurt, 30. April 1997
Pressestelle der EKD