"Achtet auf das Leise, das Kleine, das Geringe"

Wort des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, zum Weihnachtsfest 2000

25. Dezember 2000

Die Welt ist laut. Aufmerksamkeit findet vor allem das, was schrill und grell ist. Wer wahrgenommen werden will, muss aus dem Rahmen fallen. Dieser Zusammenhang treibt im politischen Geschäft, in der Kultur, in den Medien immer neue und immer seltsamere Blüten. Je aufsehenerregender und unfasslicher ein Vorgang, desto begehrter die Berichterstattung und desto größer die Schlagzeile. Der Sebnitz-Schock müsste eigentlich tief sitzen. Aber ich fürchte, Empörung und Scham sind nur von kurzer Dauer. Das Spektakuläre und Unglaubliche übt eine scheinbar unwiderstehliche Faszination aus - bei den Akteuren in den Medien ebenso wie bei deren Nutzern.

Weihnachten hat es schwer in einer solchen Welt. Denn Weihnachten ist - ganz im Gegensatz zu dem Trubel und Glitzer der Vorweihnachtszeit - ein Fest der leisen Töne. Jesus ist abseits von den Schauplätzen der großen Politik, im hintersten Winkel der damaligen Welt geboren worden, ein Kind kleiner Leute in Bethlehem. In dieser Stadt im Heiligen Land ist Weihnachten in diesem Jahr ein beklommenes Fest. Gewalt und Hass zwischen Palästinensern und Israelis lassen keine fröhliche Weihnachtsstimmung zu. Mütter weinen um ihre Kinder. Palästinensische Christen geben aber die Hoffnung auf Frieden nicht auf. Denn Jesus, das Kind kleiner Leute, ist der Heiland der Welt. Ins Dunkel der Verzweiflung tritt Gott in der Gestalt eines verletzlichen Kindes. Kein gewaltiger Auftritt, nicht medienwirksam, doch menschengerecht. Darum gehört zum christlichen Weihnachtsfest die Botschaft: Achtet auf das Leise, das Kleine, das Geringe!

Paulus hat das schon in den Anfängen der christlichen Kirche so ausgedrückt: "Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist" (1. Korinther 1,27f).

Was spektakulär und laut daherkommt im Weltgeschehen und in der Medienberichterstattung, ist häufig mehr Schein als Sein. Das wirklich Wichtige im Leben ist leise. Nicht nur die Geburt Jesu selbst. Auch die Taten der Nächstenliebe, die ohne großes Aufsehen Tag für Tag im Geist und in der Kraft Jesu geschehen. Keine Schlagzeile redet je von denen, die über Monate oder gar Jahre einen schwerkranken Familienangehörigen pflegen oder das Leben auch eines behinderten Kindes heilig halten, das Kind zur Welt bringen und es aufziehen. Diese Menschen - sind die eigentlichen Helden und Heiligen unserer Zeit.

Hannover, 25. Dezember 2000
Pressestelle der EKD